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Lieferando, HelloFresh und Wolt: Bestell-Boom hält trotz Gastro-Öffnungen an

A woman having slice of pizza at picnic with pepperoni pizza and rose wine on city park outdoor with friend in summertime. Flat lay. A pleasant weekend city activity.
Immer mehr Menschen lassen sich ihr Essen direkt in den Park liefern. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / CemSelvi
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Lieferdienst-Boom hält trotz Restaurant-Öffnungen an: Lieferando, HelloFresh und Wolt berichten über anhaltendes Wachstum

08.06.2021, 18:5509.06.2021, 06:47
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Im vergangenen Jahr haben die Deutschen wohl mehr Essen im Hausflur entgegengenommen als jemals zuvor. Kein Wunder: Dank Homeoffice, beschränkter Reisemöglichkeiten und Restaurant-Schließungen verbrachten wir unsere Tage vor allem in den eigenen vier Wänden und jeden Tag Nudeln mit Pesto fühlte sich irgendwann nicht mehr richtig an. In der Folge erlebten die Essenslieferanten hierzulande einen regelrechten Corona-Boom.

Doch dank sinkender Inzidenzzahlen ist die Gastronomie in Deutschland wieder auf, die Menschen zieht es zunehmend ins Freie, zu Picknicks mit Freunden oder einem Glas Wein im Nachbarcafé. Ist das gleichzeitig auch das Ende der Lieferdienst-Bestellungen? Oder haben wir uns inzwischen ans Essen-Herklicken gewöhnt? Watson fragte bei Lieferando, HelloFresh und Wolt nach, inwiefern sich die Öffnungsschritte bei ihnen jetzt bemerkbar machen.

Corona ließ die Lieferdienste boomen

Schon vor der Corona-Krise zog das Geschäft der Lieferdienste in Deutschland an, das Bewirtungsverbot unter Corona beschleunigte diese Entwicklung aber weiter, berichten die Lieferdienste. "Das Wachstum hat sich mit Beginn der Pandemie beschleunigt", sagt beispielsweise Aylin Peker im Namen des Anbieters HelloFresh. "Der konzernweite Umsatz erreichte in 2020 3,75 Milliarden Euro. Dies entspricht einem währungsbereinigten Umsatzwachstum von 111 Prozent gegenüber 2019."

"Wir erreichen Wachstumszahlen, die wir eigentlich erst später im Jahr erwartet hatten."
Fabio Adlassnigg von Wolt

Auch der Lieferdienst Wolt, der erst 2014 gegründet wurde und inzwischen fünf deutsche Großstädte bedient, erlebte in der Krise einen "Schub" sagt ihr Sprecher Fabio Adlassnigg im watson-Gespräch: "Mehr Neukunden probierten uns aus, Bestandskunden bestellten häufiger."

Zwar sei das nicht nur auf Corona-Maßnahmen in der Pandemie zurückzuführen, dennoch habe das letzte Jahr den allgemeinen Trend zu lieferbarem Essen weiter verfestigt: "Wir sind derzeit etwa fünf bis sechs Monate vor unserer Planung. Wir erreichen Wachstumszahlen, die wir eigentlich erst später im Jahr erwartet hatten", sagt er.

Deutsche bestellen trotz Gastro-Öffnungen weiter

Corona-Lockerungen, die eben auch die Öffnung der Gastronomie zur Folge haben, änderten daran nichts. Das habe man bereits im Ausland, speziell in Israel, beobachten können, wo "viele Menschen, die Wolt während des Lockdowns ausprobiert haben, auch im Zuge der schrittweisen Öffnung des Lebens weiterhin bei uns bestellt haben", so Fabio Adlassnigg. "Wir rechnen deshalb mit keinem nennenswerten Rückgang von Bestellungen."

"Für 2021 haben wir unsere Prognose erst kürzlich angehoben und planen mit einem Wachstum zwischen 35 und 45 Prozent."
Aylin Peker von HelloFresh

Auch Markt-Gigant Lieferando macht sich diesbezüglich keine Sorgen. "Die Bestellnachfrage hält an und der Trend zu Online-Essensbestellungen ist, unabhängig von Corona, durch die Bewirtungsverbote nur beschleunigt", so Sprecher Oliver Klug gegenüber watson. "Die Kunden schätzen die Auswahl und den Komfort per App – und natürlich gibt es auch noch vorsichtige Kunden, die nicht gleich in die Restaurants strömen."

Aber selbst wenn alle Öffnungsschritte vollzogen und die Pandemie vorbei ist, rechnen die Liederdienste mit anhaltendem Erfolg, ergänzt Peker von HelloFresh: "Für 2021 haben wir unsere Prognose erst kürzlich angehoben und planen mit einem Wachstum zwischen 35 und 45 Prozent." Zwar würde im Sommer saisonal bedingt grundsätzlich weniger Lebensmittel nach Hause bestellt, da sich die Menschen eher draußen aufhielten, "dennoch bestellen sie auch zum Essen im Freien, und auch der Trend zum Homeoffice wird bleiben", so Klug von Lieferando.

Menschen lassen ihr Essen auch in Parks liefern

Dass Menschengruppen sich zunehmend im Park treffen, um miteinander zu essen, sieht man im Sommer häufig. Corona dürfte diesen Trend verstärken, da die Infektionsgefahr unter freiem Himmel sehr viel geringer ausfällt. Aber lassen sich die Deutschen tatsächlich auch Essen direkt auf die Picknickdecke liefern?

Ja, so Adlassnigg von Wolt. Erst vor ein paar Wochen hätte das Unternehmen ein neues Liefergebiet im Englischen Garten in München eröffnet – und das wurde gut angenommen, wie er sagt. Die Menschen bestellten sich per App ein Picknick in den Park, manchmal aber auch einfach nur Eis oder ein "kühles Bier".

Das Geschäft mit den Outdoor-Menüs funktioniert sogar unter der Woche, wie Klug von Lieferando bestätigt. Bestellen würden "speziell Arbeitnehmer, die ihr Mittagessen in der Sonne genießen möchten und dieses per Takeaway Pay von ihrem Arbeitnehmer gesponsort kriegen. Aber auch privat dürften dieses Jahr noch mehr Menschen ihre Bestellung lieber draußen verzehren als in geschlossenen Räumen."

Lieferdienste sehen einen langfristigen Trend

Ob im Homeoffice oder im Park: Der Trend zum Essen aus dem Karton bleibt uns also auch nach Corona erhalten, vermuten die Lieferdienste selbst. Wer sich im Lockdown entsprechende Apps heruntergeladen hätte, würde diese auch in Zukunft eher mal wieder nutzen.

"Auch privat dürften dieses Jahr noch mehr Menschen ihre Bestellung lieber draußen verzehren als in geschlossenen Räumen."
Oliver Klug von Lieferando

"Während die Pandemie im Laufe des restlichen Jahres hoffentlich weiter abklingen wird, rechnen wir fest damit, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen auch weiterhin auf E-Commerce-Lösungen setzen werden, um Lebensmittel einzukaufen", prognostiziert man bei HelloFresh.

Lieferando will 2021 sogar die Flotte ausbauen und bis Ende des Jahres dreißig zusätzliche Städte in ihr Angebot aufnehmen – momentan sind es rund 50. Auch die Takeaway-Pay-Funktion des Unternehmens soll ausgebaut werden und als "digitale Kantine" funktionieren, über die Firmen ihren Mitarbeitern das Mittagessen im Homeoffice subventionieren können.

Bei Wolt arbeitet man wiederum daran, das Lieferangebot insgesamt zu erweitern – und zwar nicht mehr nur auf Mahlzeiten. "Unser Ziel ist es zur 'App für Alles' zu werden", sagt ihr Sprecher. Dann würden auch Blumen, Pralinen oder sogar Sneakers aus lokalen Geschäften innerhalb von 35 Minuten nach Hause bestellt werden können.

Klingt, als würden die Unternehmen davon ausgehen, dass sich unser Konsumverhalten, angeschubst von der Corona-Krise, langfristig verändert und die Deutschen freiwillig auf Restaurantbesuche, Kantinenessen und den Bummel beim Laden um die Ecke verzichten – selbst, wenn sie es dann endlich wieder dürfen...

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