Tausende Kilometer liegen zwischen dem chinesischen Wuhan und dem oberbayerischen Landkreis Starnberg – doch das Coronavirus hat diese Distanz überwunden. Der erste bestätigte Fall in Deutschland nährt die Furcht vor dem neuartigen Erreger. Am Dienstagabend wurde bekannt, dass auch drei Arbeitskollegen des ersten Infizierten das Coronavirus haben.
Muss sich Deutschland jetzt mit Einreisebeschränkungen oder Quarantäne schützen? Und müsst ihr Angst vor einer Ansteckung haben?
Watson hat mit dem Virologen Armin Ensser vom Universitätsklinikum Erlangen gesprochen. Die ersten Coronavirus-Fälle in Deutschland sind demnach kein Grund zur Panik.
Die Labore, in denen Proben von möglichen Infizierten untersucht werden, seien zudem ausreichend gut vorbereitet, ebenso Gesundheitsbehörden und Kliniken.
"Wir haben immer mit ansteckenden Krankheiten zu tun. Entsprechend sind die meisten Krankenhäuser in Deutschland mit modernen Isolierstationen ausgestattet", erklärte beispielsweise der Leiter des Berliner Gesundheitsamts Patrick Larscheid am Dienstagnachmittag.
Zudem werde medizinisches Personal in der Regel geschult, um Patienten mit Infektionskrankheiten schnell zu isolieren und die Ausbreitung eines Virus in einer medizinischen Einrichtung zu verhindern.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) widersprach am Dienstag Forderungen, an Flughäfen zum Beispiel Fiebermessstellen einzurichten. Dies bringe nichts.
"Infizierte, die keine Symptome zeigen, werden auch mit Fiebermessung nicht erkannt", erklärt Ensser. "Vor allem würden Sie derzeit fast nur 'Fehlalarme' durch Patienten mit den weitaus wahrscheinlicheren üblichen Erkältungskrankheiten oder der Virusgrippe bekommen."
Der Virologe wies bereits vergangene Woche darauf hin, dass zwar eine nahe Verwandtschaft zwischen Sars-Erreger und dem neuartigen Coronavirus besteht. Dies bedeute aber nicht, "dass dieser Erreger genauso gefährlich ist. Momentan schaut es nicht danach aus."
Hat sich seitdem etwas an seiner Einschätzung geändert?
Die Angst vor dem Virus hat am Montag auch eine Zahl befeuert, die ein Experte für öffentliche Gesundheit am Imperial College London nannte. Seiner Einschätzung zufolge könnte es bereits bis zu 200.000 Infizierte geben.
Wir wollten nun wissen, ob Ensser diese Zahl für realistisch hält. Der Virologe sagt: "Vieles ist Spekulation. Wie viele Infizierte es gibt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, etwa wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt oder ob auch Menschen, die trotz Infektion keine Symptome zeigen, anstecken können."
Berechnungen einer Ausbreitung folgten praktisch einer Exponentialfunktion. Bedeutet: Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Menschen stecken sich an, was wiederum dazu führt, dass sich die Ausbreitung verschnellert und noch mehr Menschen angesteckt werden.
"Auf die Zukunft gesehen ergeben sich so eindrückliche Fallzahlen. Verändern sich aber die Parameter der Berechnung, dann schwanken diese Zahlen stark", erklärt Ensser. "Sollte diese Zahl von 200.000 Infizierten korrekt sein – und das ist reine Spekulation – würde dies bedeuten, dass mehr Einschleppungen nach Deutschland zu erwarten sind."
Ensser gibt außerdem zu bedenken:
Sonst wären ja bereits mehr Menschen an einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus gestorben.
Ohnehin haben Infektionen mit 2019-nCoV bisher vor allem Männer deutlich jenseits der 40 getötet, die zudem in vielen Fällen an Vorerkrankungen litten.
Dazu können laut Ensser chronische Herz/Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen oder fortgeschrittene Krebserkrankung gehören – kommt bei diesen Erkrankten eine Infektion oben drauf, in diesem Fall mit dem neuartigen Coronavirus, kann die Grunderkrankung aus dem Ruder laufen und ein Mensch sterben.
Nur sehr wenige junge Menschen seien außerdem bei dem weitaus gefährlicheren Sars gestorben, betont der Experte.
Ihr müsst euch also nicht vor dem Tod fürchten, wenn ihr morgen mit Husten aufwacht.
Auf die leichte Schulter solltet ihr den Erreger dennoch nicht nehmen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft die weltweite Gefährdung durch das Virus als "hoch" ein.
Auch Virologe Ensser rät zur Vorsicht:
Das bedeutet aber nicht, dass ihr nun bei jeder Person mit Husten in Panik ausbrechen oder sie an ein Gesundheitsamt ausliefern müsst. Ensser weist gegenüber watson ausdrücklich auf allgemein gültige Hygienetipps hin, mit denen ihr die Gefahr senken könnt, euch mit krankheitsaulösenden Viren anzustecken.
Gleichzeitig schützt ihr im Krankheitsfall andere vor einer Übertragung.
(mit Material von dpa und AFP)