Die Impfkampagnen müssen weltweit funktioneren, um die Pandemie auf lange Sicht in den Griff zu bekommen.Bild: IMAGO / Agencia EFE
Leben
05.06.2021, 09:1705.06.2021, 09:41
Berichte aus Israel über einen möglichen
Zusammenhang zwischen seltenen Fällen von Herzmuskelentzündung
(Myokarditis) und Corona-Impfungen sind aus Sicht eines deutschen
Experten wenig überraschend und sollten für Geimpfte kein Grund zur
Sorge sein. "Das kommt nicht unerwartet und beunruhigt mich nicht. Es
geht um wenige Hundert Fälle einer Erkrankung mit meist mildem
Verlauf bei insgesamt mehr als fünf Millionen Geimpften", sagte der
Kardiologe und Pharmakologe Thomas Meinertz auf Anfrage der Deutschen
Presse-Agentur.
Von anderen Impfungen sei bekannt, dass danach in seltenen Fällen
Herzmuskelentzündungen auftreten könnten, ausgelöst durch eine
überschießende Immunreaktion. Ob es sich bei den Fällen in Israel um
eine solche Reaktion handelt, ist aber noch völlig offen. Meinertz
weist auch auf die geschärfte Selbstwahrnehmung vieler Menschen nach
einer Impfung hin. "Viele Patienten haben eine Erwartungshaltung und
berichten dann zum Beispiel von Herzrhythmusstörungen". Dabei handle
es sich um das normale Grundrauschen, das nun bemerkt wird.
Die Erkrankung sei ohnehin bei Jüngeren häufiger als bei Älteren – und einen Beleg, dass sie nun tatsächlich bei Geimpften häufiger
auftritt als eigentlich zu erwarten wäre, sieht Meinertz noch nicht.
Eine Myokarditis könne nur mit einer Biopsie des Herzmuskels sicher
diagnostiziert werden, sagte er. Bei den meist leichten Fällen in
Israel sei sie suggestiv diagnostiziert worden, zum Beispiel anhand
von Beschwerden wie Brustschmerz, mit Echokardiogramm, Laborwerten,
mittels MRT oder EKG. "Das EKG gibt nur einen Hinweis."
Nebenwirkung der Impfstoffe: Nutzen überwiegt das Risiko
Die Berichte seien kein Anlass, die Corona-Impfung generell in
Zweifel zu ziehen, sagte der Mediziner aus dem wissenschaftlichen
Beirat der Deutschen Herzstiftung. Aber sie stützen die derzeitige
Zurückhaltung der Ständigen Impfkommission (Stiko), die bisher keine
generelle Impfempfehlung für alle Kinder und Jugendlichen ausspricht.
"Man muss sich bewusst sein, dass eine Impfung ein Eingriff ist."
Für den Professor spricht trotz der Myokarditis-Fälle nichts dagegen,
Kinder mit Vorerkrankungen zu impfen, die im Fall einer
Corona-Infektion ein erhöhtes Risiko für Covid-19-Komplikationen
haben. Der Nutzen der Impfung überwiege bei diesen Patienten das
Risiko einer seltenen und wenig gefährlichen Nebenwirkung.
Ein Ausschuss des israelischen Gesundheitsministeriums hält eine
Verbindung zwischen der Corona-Impfung, vor allem der zweiten Dosis,
mit einer Herzmuskelentzündung für wahrscheinlich. Nach Untersuchung
von 275 Fällen von Myokarditis zwischen Dezember 2020 und April 2021
kam das Expertenteam zu dieser Schlussfolgerung. In Israel wurde vor
allem der Impfstoff von Biontech/Pfizer eingesetzt.
Erkrankung betrifft vor allem junge Männer
148 Fälle von Myokarditis seien in zeitlicher Nähe zu Impfungen
aufgetreten – davon 27 Fälle von 5.4 Millionen, die eine erste Dosis
erhalten haben, und 121 Fälle von gut fünf Millionen, die eine
Zweitimpfung erhalten haben. Etwa die Hälfte der
Myokarditis-Patienten litten den Angaben zufolge an Vorerkrankungen.
Die Erkrankung betreffe insbesondere jüngere Männer im Alter von 16
bis 30 Jahren, vor allem im Alter von 16 bis 19 Jahren. In 95 Prozent
der Fälle handele es sich aber um eine leichte Erkrankung, die binnen
weniger Tage vorbeigehe. Meinertz betonte, dass solche Entzündungen
meist von allein ausheilten, nur wenige Patienten behielten
Leistungseinschränkungen zurück.
Im aktuellsten Sicherheitsbericht zu Covid-19-Impfstoffen des
Paul-Ehrlich-Instituts vom 7. Mai heißt es, auf der Basis der
vorhandenen Daten aus Deutschland sei "kein Risikosignal" in Bezug
auf Herzmuskelentzündungen zu sehen. Man werde Berichte darüber
weiter überwachen und untersuchen. Eine PEI-Sprecherin erklärte auf
Anfrage, für den bevorstehenden Sicherheitsbericht würden gerade neue
Informationen verarbeitet, die von Experten der
Arzneimittelsicherheit noch verifiziert würden. "Hier ist die
Datenauswertung noch unvollständig."
Viele Herzmuskelentzündungen verlaufen nach PEI-Angaben symptomlos
oder mit unspezifischen Symptomen. Eine Myokarditis kann aber auch
lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen. Auch eine
Virusinfektion kann eine Ursache sein.
(vdv/dpa)
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