Airlines wie Condor oder Easyjet stehen in der Urlaubssaison 2023 vor großen Herausforderungen. Bild: IMAGO/Panthermedia
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Im Himmel über Europa herrscht aktuell Hochbetrieb. Es ist Sommer, in vielen Ländern beginnen die Ferien und dementsprechend viele Flieger sind in der Luft. Vergangene Woche wurde sogar ein Rekord gebrochen: Am 6. Juli waren so viele Flugzeuge am Himmel wie noch nie, meldete der Informationsdienst Flightradar24. 134.386 Flüge registrierte der schwedische Tracking-Dienst, der auch in den Tagen davor und danach hohe Flugzahlen dokumentierte.
Auf der von Flightradar24 veröffentlichten Karte der weltweiten Flugbewegungen sind nur wenige weiße Flecken zu sehen, über denen keine oder wenige Flugzeuge verkehren. Neben den Polregionen, dem Pazifik, der Sahara und der Mongolei sind das Russland und die Ukraine. Vor allem die für den zivilen Luftraum gesperrte Zone über der Ukraine hat große Auswirkungen auf den europäischen Flugverkehr. Wie groß, das hat jetzt die britische Airline Easyjet offenbart.
Easyjet sieht Airlines vor hartem Sommer
Die Billig-Fluglinie hat am Dienstag verkündet, in diesem Sommer rund 1700 Flüge zu streichen. Am stärksten betroffen sind Reisen von und zum Flughafen London-Gatwick, der Basis von Easyjet. Inzwischen seien 95 Prozent der Passagiere umgebucht worden, beruhigt die Airline. Dennoch sagt Easyjet der ganzen Branche große Probleme voraus: Neben Streiks und Personalmangel liege das vor allem am durch den Krieg in der Ukraine enger werdenden europäischen Luftraum.
Wie massiv sind die Probleme der Airlines in der diesjährigen Urlaubszeit wirklich? Watson hat darüber mit dem Luftfahrtexperten Thomas Friesacher gesprochen.
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Er warnt vor "massiven Personalnöten", die sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen werden. "Ein, zwei Lotsen melden sich krank und schon bricht das ganze System zusammen", sagt der Experte, der bis vor kurzem selbst als Pilot im Cockpit saß. Die hoch spezialisierten Lotsen können nämlich oft nicht ohne weiteres ersetzt werden. Die Folgen der Corona-Pandemie, in der viele Beschäftigte das Cockpit, beziehungsweise die Kabine, verlassen haben, spüre die Branche noch immer, sagt Friesacher.
Experte kritisiert Planungsfehler der Airlines
Neben dem personellen Aderlass in den vergangenen Jahren habe die Branche weitere strategische Fehler gemacht. Ein solcher sei der Abschied vom A380 gewesen, dem größten Passagierflugzeug der Welt. Airlines wie die Lufthansa wollen mit dem Riesenjet von Airbus nicht mehr fliegen.
Friesacher hat dafür wenig Verständnis: Gerade jetzt, wo der europäische Flugraum durch Sperrzonen wie über der Ukraine und dem generell gewachsenen Verkehrsaufkommen immer enger werde, sei der Einsatz größerer, dafür weniger Flugzeuge sinnvoll. Das mache auch aus ökologischer Sicht Sinn, findet Friesacher und verweist auf geringere Emissionen durch weniger Flugzeuge in der Luft.
Der Doppeldecker-Jet A380 wird von vielen Airlines nicht mehr benutzt.Bild: AP / Francois Mori
Luftraumüberwachung: Aktuelles System störungsanfällig
Der Experte macht in der Luftfahrtbranche zudem diverse verschleppte Altlasten aus. Ein Beispiel ist für ihn die Tatsache, dass die Luftraumkontrolle nach wie vor überwiegend in nationalstaatlicher Hand ist. Die Probleme, die eine fehlende großflächige europäische Koordinierung mit sich bringen, treten Friesacher zufolge vor allem bei Störungen wie Großwetterlagen zutage.
Denn wenn Flugzeuge zum Beispiel Gewitter umfliegen und spontan Routen durch fremde Lufträume nehmen müssen, bringe dies das System häufig an seine Grenzen.
Dass die Ukraine seit Ausbruch des Krieges im Februar 2022 konsequent umflogen wird, ist in den Augen des Ex-Piloten richtig und alternativlos. "Ich bin froh, dass wir sicherheitsbewusster fliegen und solche Lufträume meiden", sagt Friesacher. Er erinnert an den russischen Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine, bei dem alle 298 Personen an Bord getötet wurden.
Flugstreichungen aus wirtschaftlichen Gründen?
Mit Blick auf die Flugstreichungen bei Easyjet sagt Friesacher, dass weniger angebotene Flüge nicht per se schlecht für die Fluglinien seien. "Durch künstliche Verknappung können Fluglinien die Ticketpreise für ihre verbleibenden Flüge erhöhen", erklärt er. Ob das in diesem Fall zutrifft, vermag der Luftfahrtexperte jedoch nicht zu sagen.
In der Urlaubszeit im Sommer herrscht oft dichtes Gedränge an deutschen Flughäfen.Bild: dpa / Soeren Stache
Dass die Flugbranche auf einen außergewöhnlichen Chaos-Sommer zusteuere, wie es einige Expert:innen aktuell prognostizieren, sieht Friesacher nicht. Ja, derzeit stellen vor allem Extremwetterlagen das System Luftfahrt auf die Probe, sagt er, doch das sei in fast jedem Sommer der Fall.
Auch dass sich die Airlines im Sommer am Maximum befinden, sei normal. Schließlich verdienen sie in den Monaten Mai bis Oktober "das Geld für das ganze Jahr", erklärt er. Die restlichen Monate seien für viele der Unternehmen Minusgeschäfte, im Sommer wird also "geflogen, was geht". Und gerade dann zeigen sich dem Experten zufolge die Verfehlungen beim Personal und der Flugaufsicht eben besonders deutlich.
Auch wenn sie nur einmal im Jahr vorkommen: Manche Bräuche sind so geprägt von Gewalt, dass es einem das ganze Jahr über die Nackenhaare zu Berge stehen lässt, wenn man an sie denkt.