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Jens Spahn ins Bordell geladen: Um "Einblicke" in die Branche zu geben

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Keine Berührungsangst: Die Bordell-Welt will Politikern Einblick in ihre Arbeit gewähren. Bild: iStockphoto / papa42
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Sexworkerinnen laden Jens Spahn ins Bordell ein, um "Einblicke" in die Branche zu geben

14.10.2021, 09:50
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Politiker besuchen ständig Betriebe, um sich über die Arbeitsbedingungen und Erfordernisse der Branche zu informieren: So sah man Minister und Ministerinnen schon in Molkereien, Kliniken und Schulen. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD) hat nun Gesundheitsminister Jens Spahn in einem öffentlichen Brief ins Bordell eingeladen. Sie wollen "die Gelegenheit nutzen und Ihnen umfassend Einblicke in die Vielfalt unserer Branche geben", heißt es in dem Schreiben vom Montag. Man lade den CDU-Politiker daher zu einem Bordellbesuch ein und das – "selbstverständlich diskret".

Die Einladung des BSD

Herr Gesundheitsminister Spahn: wir laden Sie zu einem Bordellbesuch ein!

Gegenüber der Presse äußerten Sie:
1. "So mussten wir zum Beispiel die Bordelle wieder aufmachen, während die Schulen noch geschlossen waren", bedauert Jens Spahn in einem watson-Interview.
2. Im Satz zuvor bedauert er es, dass die Politik "durch Gerichtsurteile zu Maßnahmen gezwungen" worden sei. Damit bezieht er sich auf die Klagewelle im Spätsommer 2020, nach der viele Bordelle unter Auflagen wieder öffnen durften.

Diese Aussagen haben uns erstaunt, aber auch verärgert.

Sie bezogen sich hier auf die Corona-Schließungen. Dabei ist Ihnen offensichtlich der Unterschied zwischen Bordellen und Schulen nicht bekannt, obwohl wir Sie in umfangreichen Statements darüber informierten:
– in den Schulen treffen für mehrere Stunden viele Schüler*innen zusammen.
– Sexarbeit in den Bordellen findet dagegen fast immer in einem 1 : 1 Kontakt statt (1 Sexarbeiter*in trifft auf einen Kunden) und meist sind die Kontakte kurz (15 – 30 Minuten). Wir haben Sexarbeit in Bordellen immer verglichen mit Frisören, Masseuren, etc. und aus epidemologischer Vorsicht eine Öffnung der Bordelle nur mit einem 1 : 1 Kontakt gefordert.

Dass die Politik durch Gerichtsurteile zur Öffnung der Bordelle gezwungen wurde (wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes), ist Bestandteil unseres rechtsstaatlichen Systems, das für Sie als Bundesminister selbstverständlich sein sollte. Haben Sie sich auch darüber mokiert, dass Hotels, Restaurants und Theater ebenfalls den Rechtsweg gegen Ihre Corona-Beschränkungen einschlugen?

Wir werfen Ihnen nicht vor, dass Sie keine Erfahrungen mit der Sexarbeitsbranche haben, wohl aber, dass Sie sich nicht informieren, bevor Sie Regelungen für Bordelle treffen und sich dann auch noch mit FakeNews despektierlich äußern. So wollen wir die Gelegenheit nutzen und Ihnen umfassend Einblicke in die Vielfalt unserer Branche geben und laden Sie zu einem Bordellbesuch – selbstverständlich diskret – ein.

Hintergrund der Einladung war eine Äußerung des Ministers in einem watson-Interview, in der er Bildungsstätten und Bordelle miteinander verglich. Für Stephanie Klee, Sprecherin des BSD, ein Beweis fehlender Sachkenntnis: "Entweder, er hat sich kein bisschen mit der Thematik beschäftigt – was doch eigentlich sein Job gewesen wäre – oder er wollte der Branche mit so einer Aussage nochmal einen mitgeben, um den Prostitutionsgegnern und -gegnerinnen seiner Partei einen Gefallen zu tun", sagte sie dazu als Reaktion.

Die Sexworkerinnen und Bordellbesitzer und -besitzerinnen im Verband wünschen sich, dass die Politik mit ihnen in den Dialog tritt, um Lösungen für aktuelle Probleme der Branche zu finden, wie zum Beispiel eine fehlende Krankenversicherung bei einigen Sexworkerinnen. Zu oft würde über, aber nicht mit ihnen gesprochen, kritisierten die Verbände der Sexworker in den vergangenen Jahren immer wieder.

Sexworker wünschen sich mehr Mitsprache in Debatten um ihre Branche

Ein parteiübergreifendes Problem: Erst vergangenen Freitag hatte zum Beispiel eine Podiumsdiskussion der SPD Baden-Württemberg unter dem Titel "Freiheit und Verantwortung – Prostitution im Fokus" stattgefunden, in dem man "die verschiedenen Ansätze, Blickwinkel und Probleme" des Rotlichtgewerbes diskutieren wollte. Sexworkerinnen waren nicht eingeladen, stattdessen debattierten zwei Politiker, eine Psychotraumatologin und ein Bischof miteinander.

In der Coronakrise hätten sich Politiker von "ihrer privaten, moralischen Haltung leiten lassen", anstatt sich mit den realen Arbeitssituationen auseinanderzusetzen, glaubt Klee. So würde Sex zwischen Prostituierten und Freiern derzeit nur im Eins-zu-Eins-Kontakt erlaubt und würde maximal 30 Minuten dauern, was mit dem Infektionsrisiko bei einer Massage vergleichbar wäre. Für das Rotlichtmilieu hätten dennoch oft strengere Regeln gegolten als für vergleichbare körpernahe Dienstleistungen. Vielerorts durften Bordelle erst wieder öffnen, nachdem sie vor Gericht Gleichberechtigung erstritten.

"Viele stellen nach einem Besuch fest, dass ihre Fantasie nichts mit der Realität im Bordell zu tun hatte."
BSD-Sprecherin Elke Winkelmann

Die Einladung, die an Pressevertreter und die Ministerien geschickt wurde, sei "absolut ernst gemeint", bestätigt Elke Winkelmann, selbst Bordellbesitzerin aus Berlin auf watson-Anfrage. "Wir haben schon oft Politiker und Politikerinnen bei uns gehabt, weil viele überhaupt keine Ahnung von Sexarbeit haben." Mit Ausstellungen und Tagen der offenen Tür würde man versuchen, eine Transparenz zu schaffen und aufzuklären. Wie ein Bordellbesuch unter Corona-Richtlinien läuft, hatte sich auch watson im August 2020 angeschaut.

Spahn soll nicht als Kunde kommen, sondern als Politiker

"Viele stellen nach einem Besuch fest, dass ihre Fantasie nichts mit der Realität im Bordell zu tun hatte", so Winkelmann. Welche Politiker schon zu Besuch waren, verrät sie nicht, da viele sich scheuen, eine Stippvisite öffentlich zuzugeben – und sei sie noch so unschuldig.

Auch Spahn soll natürlich "nicht als Kunde in ein Bordell gehen, sondern sich hier sachkundig machen", wie der Verband auf Facebook noch einmal klarstellt. "Hätte er dies getan, hätte er auch nicht den blödsinnigen Vergleich zwischen Kitas und Bordelle gezogen." Ob sich der Gesundheitsminister dafür Zeit nehmen wird, bleibt fraglich. Eine Antwort steht bislang noch aus.

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