Kindertagesstätten in Deutschland sollen schrittweise wieder geöffnet werden – diese Nachricht klingt erstmal gut für berufstätige Eltern. Doch die erste Euphorie ist schon verpufft, denn in der Praxis wird schnell klar: Unter den Corona-Auflagen ist ein Regelbetrieb gar nicht möglich und bringt die Kita-Mitarbeiter in teils absurde Situationen.
Wir haben uns bei Erziehern mal umgehört, wie die Lage in Deutschlands Kitas derzeit aussieht.
Weiterhin werden nur Kinder notbetreut, deren Eltern einen systemrelevanten Beruf ausübe. Welche Tätigkeiten darunter fallen, legen die Bundesländer fest. Darüber hinaus gibt es Ausnahmen (zum Beispiel Alleinerziehende), die eigens definiert sind und mit der jeweiligen Kita abgesprochen werden müssen.
In Hamburg erklärt die Familien-Behörde beispielsweise: "Sofern ein Elternteil im Homeoffice arbeiten kann, besteht im Grundsatz kein Anspruch auf Notbetreuung." Und aus dem Berliner Senat heißt es: "Aufgrund der nicht gänzlich auszuschließenden Infektionsgefahr sind Eltern gebeten, zu prüfen, ob eine Betreuung im häuslichen Umfeld oder in nachbarschaftlicher Selbsthilfe gewährleistet werden kann." Improvisation ist also weiterhin gefragt.
Auch die Hygienepläne der Bundesländer unterscheiden sich. Allgemein sind die Eltern dazu angehalten, Mund-Nasen-Schutz im Gebäude zu tragen und Abstand zu halten. Die Kita-Räume sollen mehrfach am Tag gelüftet, die Hände der Kinder gewaschen und die Gruppen möglichst klein gehalten werden. Kinder und Erzieher müssen keinen Mund-Nasen-Schutz tragen, wer jedoch Krankheitssymptome entwickelt, soll sofort der Kita-Stätte fernbleiben.
Außerdem ist in einigen Hygieneplänen festgelegt, dass Kita-Mitarbeiter die Ankunft der Eltern und Kinder dokumentieren sollen, um Infektionsketten nachvollziehen zu können. Einige Hygiene-Ideen muten besonders aufwendig an. In Bayern wird zum Beispiel empfohlen, bei der Kinderübergabe an der Tür, eine Decke zu verwenden.
Im Gespräch mit watson erklärt uns Erzieherin Mareike (Name geändert) aus Hessen, warum ein Regelbetrieb in Kitas momentan schlicht unmöglich ist. "Bei uns ist es so, dass ab nächster Woche die Notbetreuung schon voll ist mit unseren 15 Kindern, weil wir drei Gruppenräume haben und immer nur fünf Kinder in einen Raum dürfen", sagt sie.
Theoretisch gäbe es zwar noch eine Turnhalle als Ausweichmöglichkeit, die habe aber kein eigenes Bad und entspräche damit nicht den Hygienemaßnahmen. "Wir haben auch nur ein Außengelände, wo nicht alle gleichzeitig hin dürfen. Vom zeitlichen Ablauf her ist das aber nur schwer umsetzbar." Dasselbe gilt für die Organisation des Mittagsschlafs. Es gibt keine verfügbaren Räume, in die Kinder wechseln können, wenn sie auf ein Nickerchen verzichten.
Im Gegensatz zu Kassierern können Kita-Mitarbeiter nicht hinter Plastikfolien oder ähnlichem arbeiten. Mehr Kinder heißt aber auch mehr Kontakt und damit ein höheres Ansteckungsrisiko für die Erzieher. Der Mund-Nasen-Schutz, den sie tragen dürften, schützt sie selbst kaum. Abgesehen davon sei dieser für viele Kinder gruselig, erzählt Mareike: "Die Kleinen haben kein Verständnis für Masken und fühlen sich gerade in intimen Situationen, wie beim Wickeln, eher dadurch bedroht."
In ihrer Kita müssen alle Mitarbeiter, Eltern und Kinder über denselben Eingang und durch dieselbe Garderobe in die Räumlichkeiten, berichtet sie weiter. "Theoretisch braucht man zusätzliches Personal, das dort ständig desinfiziert."
Wie kann das sein? Warum gibt es keine besseren Lösungen, obwohl der Kita-Regelbetrieb groß angekündigt wurde? "Oft gibt es einfach nicht genug Zeit für die Umsetzung der Neu-Regelungen", erzählt Mareike. "Da wird am Samstag etwas politisch beschlossen und am Montag sollen die Kitas einen Plan bereit haben oder plötzlich weitere Kinder aufnehmen." Erschwert wird das dadurch, dass bei ihr in Hessen viele Erzieher (sie selbst auch) in Kurzarbeit geschickt wurden. Es gibt also weniger Personal als sonst.
Trotzdem: Offiziell sollen die Kitas nun wieder mehr Kinder aufnehmen. Wie das gehen soll, ist der Erzieherin völlig schleierhaft. Wenn die Räumlichkeiten keinen eingeschränkten Regelbetrieb hergeben, muss die Anzahl der Kinder weiter begrenzt sein. Das ist nur logisch.
Mareike ist mit ihren Bedenken nicht alleine. Auch Erzieher Paul aus Sachsen sorgt sich um den geplanten Kita-Betrieb in Zeiten von Corona, denn der würde alles unterminieren, "was wir Erzieherinnen und Erzieher über gute frühkindliche Pädagogik gelernt haben." Sachsen geht mit der Öffnung am weitesten: Ab dem 18. Mai sollen dort alle Kita-Kinder wieder am "eingeschränkten Regelbetrieb" teilnehmen können.