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Handy-Sucht und Social-Media-Konsum: Experte gibt smarte Tipps

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Ständig am Handy, ständig am Scrollen auf Social Media: Das tun viele, sogar ohne es zu wollen.Bild: iStockphoto / Paper Trident
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"Ähnlich wie Zähneputzen": Wie wir nicht mehr so oft am Handy "versumpfen"

Stundenlang auf Instagram abhängen, ohne sich auch nur an eines der Videos zu erinnern. Nur durch ein paar Reels scrollen und im Handumdrehen ist eine Stunde vergangen. Eine automatische Anziehungskraft vom Handy spüren. All das ist oft frustrierend – kann jedoch behandelt werden.
12.07.2025, 10:5012.07.2025, 10:50
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Viele Menschen werden diese Situationen kennen – genau wie Sven Lindberg. Er hat an der Universität Paderborn zu den Auswirkungen von Smartphones auf unsere Aufmerksamkeit geforscht.

Gegenüber watson hat Lindberg erklärt, warum wir Smartphones und Social Media wie einer Droge ausgeliefert sind – und was man dagegen unternehmen kann.

watson: Herr Lindberg, was sind Ihre Geheimtipps für eine bewusstere Screentime?

Sven Lindberg: Das Handy auf Schwarz-Weiß-Modus umzustellen. Da gibt es zwar noch nicht viele Studien zu. Google hat aber einen internen Test mit Mitarbeitern durchgeführt – und die haben bis zu 30 Prozent weniger ihr Handy genutzt. Wir haben das auch zu Hause in der Familie gemacht. Da merkt man auch, wie stark visuell man geprägt ist. Es sieht alles gleich aus und es gibt weniger diesen Reiz: "Hey, klick mich." Viele Studierende bei uns machen aber noch etwas anderes ...

... und zwar?

Sie holen sich ein sogenanntes "Dumbphone" – ein Handy ohne Internet, das nur Telefonieren kann. So ist man erreichbar, ohne ständig auf Social Media zu versinken.

Warum greift meine Hand manchmal wie fremdgesteuert in die Hosentasche – und zückt mein Smartphone?

Die Nutzung von Social Media oder Smartphones wird oft zum Ritual – ähnlich wie Zähneputzen, das man lange antrainiert bekommt. Wenn es ruhig wird oder Langeweile auftaucht, greift man automatisch und reflexartig zum Handy, um etwa auf Instagram oder Tiktok zu schauen.

Sven Lindberg ist Leiter der Klinischen Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn.
Sven Lindberg ist Leiter der Klinischen Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn.bild: privat

Wie kann man solche Rituale verändern?

Man kann die Rituale durch alternative Gewohnheiten ersetzen. Die Psychologie empfiehlt die "Wenn-Dann-Regel": Wenn ich Langeweile habe, dann spiele ich zum Beispiel eine Schach-App.

... damit ändere ich aber nichts an meiner zu hohen Screentime.

Erstmal sollte man sich die Frage stellen, was man erreichen will: Generell weniger am Handy sein? Oder lediglich seine durch Social Media verkürzte Aufmerksamkeitsspanne trainieren? Wenn man weniger am Handy sein will, sollte es doch lieber etwas Analoges sein statt die vorhin erwähnte Schach-App. Diese hingegen kann das Gehirn viel mehr fordern als passives Scrollen.

Warum ist das passive Scrollen so problematisch?

Beim Scrollen, etwa auf Instagram, konsumiert man oft nur passiv Inhalte, ohne sich daran zu erinnern, was man gesehen hat. Die Reizverarbeitung verändert sich – das Gehirn gewöhnt sich an schnelle Impulse, wodurch tiefere Konzentration schwieriger fällt.

Und welche Rolle spielt dabei der Algorithmus?

Social-Media-Plattformen sind so gestaltet, dass unser Gehirn in ständiger Erwartungshaltung bleibt – das verstärkt impulsives Nutzungsverhalten. Der Algorithmus mischt dabei spannende und langweilige Beiträge, um immer wieder kleine Belohnungen zu geben. Das hält uns gefangen, weil unser Gehirn ständig Dopamin ausschüttet, das Belohnungshormon. Selbst wenn ein Beitrag langweilig ist, bleibt die Erwartung, dass bald etwas Spannendes kommt.

"Selbstkontrolle lässt sich trainieren, aber das braucht Zeit und realistische Routinen."

"Digital Detox" ist bei vielen das große Stichwort, sie wollen ihre Screentime heruntersetzen. Wie gelingt das, wenn man nicht etwa ein "Dumbphone" kaufen oder sein Handy auf Schwarz-Weiß setzen will?

Sehr effektiv sind in diesem Fall handyfreie Zonen: Abends und morgens das Handy außer Reichweite legen und stattdessen mit einem echten Wecker wach werden, spazieren gehen oder lesen ohne Handy. Ich bin selber Fußballfan und habe früher Spiele immer 90 Minuten geguckt. Heute ist es ein Riesenunterschied, wenn eine langweilige Phase ist und das Handy da liegt. Deswegen packe ich mittlerweile das Handy weg, wenn ich die Partie mal ganz gucken möchte. Auch Journaling kann helfen.

Wie gelingt es, das Smartphone und speziell Social Media gesund zu nutzen und gleichzeitig dabei Spaß zu haben?

Wenn man regelmäßig für lange Dauer bei Instagram versumpft, ohne dass einen das entspannt und man zudem hinterher ein schlechtes Gewissen hat, ist man in einer Lose-Lose-Situation. Man muss stattdessen zu einer Art Win-Win-Situation kommen: Weniger Zeit auf Social Media und am Smartphone allgemein verbringen und diese Zeit zudem mehr genießen. Ein radikales Entfolgen unnötiger Accounts hilft etwa, um seinen Algorithmus zu optimieren und mehr Spaß an seiner Zeit auf Instagram zu haben.

Doch gerade, wenn der Algorithmus noch besser auf mich abgestimmt ist: Wie kann ich dann meine Zeit besser kontrollieren? Kurzfristig kann ich mir App-Timer einstellen – aber langfristig?

Strikte Verbote führen oft dazu, dass man später umso mehr kompensiert. Daher ist es sinnvoller, sich bewusst Zeiträume fürs Nutzen zu setzen. Eine einfache Methode ist, die App vom Handy zu löschen und Instagram nur noch im Browser zu nutzen. Solche künstlichen Hürden können helfen, impulsive Gewohnheiten zu unterbrechen. Man kann auch mit sogenannten Cheatdays, ein Mal pro Monat oder Woche, arbeiten.

Was bedeutet das?

Zum Beispiel ist Samstag der Insta-Binge-Tag, an dem ich drei Stunden cheaten darf. Generell hilft aber ein klar gesetzter Rahmen – etwa mithilfe eines Timers – um nicht in alte Muster zurückzufallen. Mit all diesen Maßnahmen entsteht ein bewusster Konsum. Der führt dazu, dass man stabiler wird in der Selbstkontrolle.

Warum haben manche Menschen diese Selbstkontrolle nicht von vornherein?

Selbstkontrolle entwickelt sich besonders in der Pubertät, Schritt für Schritt. Personen, denen das in dieser sensiblen Phase nicht ganz so gut gelungen ist, haben später in vielen Bereichen des Lebens eher Schwierigkeiten, sich selber zu regulieren – etwa die Chips-Tüte nicht ganz aufzuessen oder nicht nochmal das eine Bier mehr zu trinken. Die sind dann auch anfälliger dafür, viel mehr Zeit auf Social Media zu verbringen, als sie es wollen. Die gute Nachricht lautet: Selbstkontrolle lässt sich trainieren, aber das braucht Zeit und realistische Routinen.

Wie lange dauert es, bis neue Verhaltensweisen zur Routine werden?

Alles, was man sechs Wochen konsequent durchhält, kann zur Routine werden. Einmal eine Woche durchzuhalten, reicht nicht aus. Gerade Menschen mit schwächerer Selbstkontrolle profitieren davon, Regeln zu entwickeln, die zu ihrem Alltag passen und die sie einhalten können.

Für Leute, denen es an Selbstkontrolle mangelt, klingt das alles gar nicht so einfach.

Man kann sich auch Unterstützung holen, etwa Freunde oder Familie. Sie können einen erinnern oder von einem sogar "die Lizenz zum Nerven" bekommen, wenn es schwierig wird. Ich kann sie auch bitten, gelegentlich einen Blick auf mein Handy zu werfen, damit sie überprüfen, ob ich mich an meine eigenen Regeln halte.

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In Zeiten von Instagram, Tiktok und Dutzenden Travelguides auf Youtube ist es gar nicht so einfach, die echten Geheimtipps eines Reiseziels ausfindig zu machen. Wähnt man sich angesichts idyllisch wirkender Videos auf dem heimischen Sofa noch in Sicherheit, wird einem spätestens bei der Anzahl an Hashtags zu den entsprechenden Hotspots aber bewusst, dass man doch nur ist wie jede:r andere.

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