In Australien ist es seit Ende 2024 bereits Gesetz: Personen unter 16 Jahre dürfen dort keine sozialen Netzwerke, wie Snapchat, Instagram oder Tiktok nutzen. Lassen die Plattformen die Nutzung dennoch zu, droht ihnen eine Geldstrafe von umgerechnet 31 Millionen Euro.
In Deutschland sind wir noch weit entfernt von solchen Regelungen. So lehnt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) ähnliche Vorstöße bislang ab, wie Direktor Sebastian Gutknecht ausführt:
Dabei sind gerade die jüngsten Deutschen, nämlich die Gen Z, zu großen Teilen Befürworter:innen eines entsprechenden Verbots. Die aktuelle Trendstudie "Jugend in Deutschland 2025", die im Mai veröffentlicht wird, fragte nämlich genau das Thema ab. Das Ergebnis überrascht:
Das deckt sich mit den Ergebnissen der meisten dazu bislang erhobenen Befragungen unter der Gen Z. Aber warum findet gerade die jüngste Generation ein Verbot nötig? Stecken berechtigte Ängste dahinter?
Wir fragten beim Jugendforscher Simon Schnetzer nach. Er ist Autor ebenjener Trendstudie "Jugend in Deutschland", selbst Vater und Verfechter eines U16-Verbots.
watson: Es sind erneut besonders junge Menschen, die ein Social-Media-Verbot U16 fordern – ist das kurios?
Simon Schnetzer: Die Gegner:innen und Befürworter:innen unter den Jungen halten sich ja in etwa die Waage. Doch gerade junge Frauen und psychisch stark belastete Menschen befürworten ein Verbot besonders häufig. Sie sehen Social Media in jungen Jahren nicht als Chance, sondern als Belastung des Lebens.
Müsste die Umsetzung solcher Verbote bei den Plattformen oder den Eltern liegen?
Natürlich liegt viel Verantwortung sinnvollerweise bei den Eltern. Doch solange gefühlt ALLE ein Smartphone haben und dies und jenes dürfen, ist es für Eltern sehr schwer, Dinge zu verbieten. Dazu kommt, dass viele Eltern sich schlicht zu wenig auskennen. Daher fällt die Schutzpflicht und regulierende Verantwortung auch auf die Politik und die Plattformen zurück – ähnlich wie beim Alkoholverbot oder der Gurtpflicht im Auto.
Was steckt hinter der Altersgrenze 16 Jahre? Halten Menschen in jenem Alter Mobbing, Gewalt- oder Sex-Content besser aus?
16 Jahre ist ein Kompromiss. Die Argumentation dafür ist ähnlich wie beim Führerschein: Sie sind dann stärker gefestigt als Persönlichkeiten. Sie neigen weniger zu Suchtverhalten. Sie sind sich besser bewusst, was durch ihr Verhalten oder mit Daten passiert, die sie versenden oder posten. Es ist ja keine Seltenheit, dass 11-Jährige Nacktbilder versenden oder Dickpics erhalten. Besonders wirkungsvoll wäre ein Konsens unter Eltern in einem Ort, dass die Kinder ein Smartphone erst ab 13, 14 oder 15 Jahren bekommen und dann mit viel Medienkompetenz ausgestattet an den Konsum herangeführt werden.
Welche negativen Auswirkungen erleben Jugendliche, die viel Zeit auf sozialen Medien verbringen?
In unseren Workshops berichten Jugendliche von viel Mobbing, von Schlafentzug, weil sie nicht ausmachen können, von Depressionen, weil sie sich ständig vergleichen, von Suchtverhalten, weil sie ihr Gerät nicht weglegen können, von Konzentrationsstörungen, weil ständig etwas "bling" machen und passieren könnte. Es sind nicht nur diese Geschichten in Workshops, sondern die krassen Prozentwerte, dass diese Symptome ein Drittel bis die Hälfte aller Jugendlichen betreffen.
Du sprichst an Schulen mit Jugendlichen über ihren Social-Media-Gebrauch, was überrascht dabei positiv?
Hoffnung macht mir, dass wir eine sehr gut informierte und engagierte Jugend haben. Viele Eltern machen sich Gedanken und begleiten ihre Kinder gut. Und viele kommen unbeschadet durch die schwierige Teenie-Social-Media-Zeit.
Und was macht dir Sorge?
Es gibt auch ganz viele Eltern, die sich nicht darum kümmern, was Social Media mit ihren Kindern macht, oder schlicht aufgegeben haben, weil sie es selbst nicht richtig verstehen. Viele Jugendliche verschwinden in anderen Welten, Zwängen und Süchten und wer sich später fragt, warum die nicht richtig arbeiten können oder psychisch Schaden genommen haben, müssen die Antwort im Versagen von Politik, Plattformbetreiber:innen, Bildung und Eltern suchen, nicht bei den Jugendlichen selbst. Die Logik der Plattformen fördert die Sucht und Konsumneigung – wer sich was anderes einredet, träumt.
Deep Fakes, Tiktok-Shop und Radikalisierung: Welchen Herausforderungen müssen wir uns in den kommenden Jahren in Bezug auf Social-Media-Konsum stellen?
Es wird immer krasser! Social Media ist knallhartes Business – je mehr junge Menschen diese digitalen Plattformen nutzen und je mehr Zeit sie dort verbringen, desto mehr verdienen die Plattformen durch Werbeeinnahmen und durch wertvolle Daten über die Nutzer:innen.
Das bedeutet?
Sie gewinnen Einfluss darüber, wie ein Land denkt, wen ein Land wählt. Wir müssen uns bewusst werden, dass die nett daher kommenden Social Media aus Amerika und China eines der größten politischen Druckmittel auf unsere Gesellschaft und Politik werden. Zeit für mehr Medienkompetenz, Jugendschutz und eine europäische Alternative.
Was sind soziale Medien? Auch Whatsapp und Signal?
Ja, die Definition ist hier ganz wichtig. Da Whatsapp der Kanal ist, auf dem bei Teenagern am meisten gemobbt wird, müssten wir den Begriff weiter fassen und mit Whatsapp und Signal auch restriktiv umgehen.
Du selbst bist deutlich für ein U-16-Verbot. Warum?
Weil ich kleine Kinder habe und den Wunsch, dass sie in ihrer Jugend mit anderen Kindern spielen, anstatt nur auf den Bildschirm zu starren und Likes hinterherzujagen. Und was ich mir im kleinen wünsche, hat, wenn millionenfach geteilt, ganz wertvolle Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wir benötigen allerdings noch fundierte wissenschaftliche Evidenz, dass wir ähnlich wie bei Alkohol in der Schwangerschaft die schädlichen Auswirkungen belegen können.