Die Sneakers waren daneben, er hat so grunzend gelacht, sie hat zu viele Emojis versandt ... Manchmal staunt man über die Gründe, die Freund:innen angeben, wenn es mit dem vergangenen Date wieder einmal nicht gepasst hat.
Gerade wenn Menschen schon lange Single sind und sich laut Eigenangaben sehr nach einer Partnerschaft sehnen, fangen sich besonders pingelige Kandidaten irgendwann den harten Spruch aus ihrem Umfeld ein: "Deine Ansprüche sind einfach zu hoch!" Ist das nur fies? Oder am Ende wahr?
Psychologe Christian Hemschemeier arbeitet als Paartherapeut und coacht auch in Online-Kursen. Wir sprachen mit ihm über das Thema Ansprüche, Selbstschutz und Überforderung auf dem Dating-Markt.
"Da kann etwas dran sein", sagt er. "Es gibt beides. Es gibt Menschen mit keinen Standards und Menschen mit 'Über-Standards' – kurioserweise finden die häufig zusammen."
Keiner hört natürlich gerne, dass er die Messlatte beim Dating zu hoch ansetzt, denn das impliziert auch, dass man sich selbst überschätzt, "aber ist tatsächlich so, dass wenn ich Klienten oder Klientinnen habe, die sagen, sie finden niemanden, ich immer als Erstes versuche zu ermitteln, ob sie 'Überstandards' haben", gesteht der Therapeut aus der Praxis, "denn das ist ein häufiger Grund für Dauer-Singletum."
"Alle Guten sind schon vergeben", heißt es oft. Doch nicht die Auswahl, sondern das vorschnelle Aussortieren eigentlich netter Dating-Kandidat:innen ist eine Hürde für die Partnersuche. Wann sind wir überhaupt so wählerisch geworden?
Christian Hemschemeier sagt, dass die Forschung zeige, "dass diese Entwicklung unter anderem auch an den sozialen Netzwerken liegt. An der Darstellung von 'Powercouples' und 'Couplegoals', also glücklicher Paare, die wahnsinnig attraktiv, aktiv und abenteuerlustig sind." Er führt aus:
Auch ein weiteres Phänomen des modernen Datings mache sehr wählerisch: Tinder, Bumble, Hinge und Co. Der Supermarkt-Effekt auf Apps suggeriere, dass all diese Menschen theoretisch verfügbar wären, wie Produkte in einem Onlineshop. Das sei aber ein Trugschluss.
"Dating-Apps suggerieren, man hätte so eine große Auswahl, dass man sich leisten könnte, besonders wählerisch zu sein", erklärt der Psychologe. "Also: Der hat kein Sixpack, ist nicht 1,85 cm groß – direkt weggewischt. Besonders meine Klientinnen sortieren auch schnell aus, wenn die ersten Sätze der Kontaktaufnahme nicht sofort spannend sind."
Dass Frauen im Großen und Ganzen bei der Partnerwahl wählerischer sind als Männer, bestätigt sich regelmäßig auch in Erhebungen der Dating-Portale selbst. "Ein wenig hängt das damit zusammen, dass für Frauen – zumindest in einer gewissen Altersspanne – tatsächlich die Auswahl größer ist, sie also mehr Angebote bekommen", erklärt Hemschemeier das Geschlechtergefälle.
Zudem "leben wir alle in einer Leistungsgesellschaft und wollen auch unser Dating-Game 'optimieren', also den besten Partner finden". Nicht immer steckten dahinter rein romantische Motive, nicht immer gehe es "um Liebe", mahnt der Therapeut: "Manche wollen einfach einen tollen Partner, um besser dazustehen und suchen entsprechend nach Kriterien wie Aussehen und Status."
Doch abgesehen von echten Oberflächlichkeiten: Warum entwickelt ein Mensch auf dem Datingmarkt überhohe Ansprüche und ein anderer lässt sich eher auf kleine Makel des Dates ein?
In der Therapie würde bei Menschen mit überhohen Ansprüchen geschaut, "ob jemand eigentlich ein bindungsängstliches Muster hat, denn das führt oft zu diesen Überstandards", sagt Hemschemeier. "Der oder die Bindungsängstliche sucht tausend Gründe, warum es mit diesem oder jenem Menschen nicht klappen kann. Man würde angeblich eine Beziehung wollen, aber leider ist keiner gut genug. Manchmal steckt dahinter Selbstschutz."
Ein ziemlich klares Symptom für Bindungsangst sei es, wenn man sich nur auf Bindung einlassen würde, wenn der oder die Andere es nicht will, führt der Psychologe aus:
Das Interessante dabei sei, dass gerade die Menschen, die ansonsten sehr hohe Ansprüche hätten, alles akzeptierten, sobald sie sich selbst in der "Bittsteller"-Position befänden. Plötzlich sind das Lachen und die Emojis egal, selbst gravierende Defizite, wie Untreue oder Lieblosigkeit würden hingenommen. Hemschemeier dazu:
Noch typischer könnte ein Muster nicht sein, sagt er. Bindungsängstliche würden "Alles ertragen, solange der Andere sie nicht ran lässt, aber alles kritisieren, sobald der Andere ihnen nahe kommt."
So absurd das aus der Ferne klingt – für Betroffene ist dieses Verhalten mit enormem Leidensdruck verbunden. Und natürlich kann es sein, dass Freund:innen daher irgendwann zu einer Therapie raten oder eben zum berüchtigten Satz greifen, man solle doch die Ansprüche mal etwas senken.
Erfolgversprechend seien solche Tipps nicht, sagt Hemschemeier: "Die allermeisten Dating-Ratschläge werden nicht angenommen, weil jeder meint, er weiß es besser und gar nicht bereit ist, sich zu ändern." Selbsterkenntnis und der Wunsch nach Verhaltensänderung müssten von innen kommen und leider dauert es oft, bis das geschieht.
Doch manchmal kommt der Wendepunkt tatsächlich. "Wenn man genug gelitten hat, denkt man vielleicht schon mal darüber nach", weiß der Experte aus der Praxis. Es gäbe Wege, sich aus der Bindungsangst hinauszubewegen, zum Beispiel mit professioneller Hilfe. Und vielleicht klappt es dann tatsächlich noch mit der zuverlässigen, herzlichen Person – trotz hässlicher Sneakers.