Witze unter der Gürtellinie, eine feuchte Aussprache oder fragwürdige modische Vorlieben – es gibt so einiges, was an dem oder der Partner:in stören kann. Oft geht es nur um kleine Peinlichkeiten, doch es gibt auch Beziehungen, in denen die "bessere Hälfte" mit Augenrollen quittiert wird, sobald sie den Mund aufmacht.
Das fühlt sich für alle Beteiligten fürchterlich an. Was steckt dahinter? Sollte man in starken Fällen der Fremdscham lieber an sich selbst arbeiten oder ist das ein eindeutiger Hinweis darauf, dass mit der Beziehung etwas im Argen liegt?
Psychologe Christian Hemschemeier weiß es. Er arbeitet als Paartherapeut und coacht auch in Online-Kursen. Wir sprachen mit ihm über aufschlussreiche Scham und ganz normale Peinlichkeiten.
Zuerst einmal gibt der Experte Entwarnung. Dass man sich ab und an für einen anderen Menschen schämt, selbst wenn man ihn eigentlich liebt, sei "normal", sagt er. Schließlich "macht jeder mal irgendwas, was man blöd findet. Einige unserer Emotionen haben aber Signal-Charakter."
Bedeutet: Es lohnt sich hinzuschauen, welches Benehmen einem wann peinlich wird, erklärt Hemschemeier: "Scham zeigt als sicheres Signal auf, mit welchem Verhalten man eigentlich nicht gut leben kann."
Zur Veranschaulichung berichtet er von einem klassischen Streitpunkt unter Paaren:
Wird das Gegenüber unangenehm aggressiv, schläft in der Ecke ein oder beginnt enthemmt, mit Fremden zu flirten? Die Scham bezieht sich dann auf ein konkretes Verhalten, das nur unter Alkoholeinfluss auftaucht.
"Das sind dann keine Gefühle, die aus dem luftleeren Raum kommen, sondern da steckt etwas dahinter", sagt der Psychologe. Anhand konkreter Vorfälle könne man am besten "erklären, was genau einen stört und zusammen besprechen, ob das in Zukunft irgendwie anders geht".
Kleine Peinlichkeiten sind also normal und zu vernachlässigen. Wenn "die Scham aber groß ist und sich auf eine spezifische Sache bezieht, sollte man das schon ernst nehmen", rät Hemschemeier Paaren. Im besten Fall kann man gemeinsam an einer Änderung arbeiten, also zum Beispiel ein Alkohollimit vereinbaren.
Es gibt aber noch eine dritte Kategorie in der Partnerschafts-Scham. Dann nämlich, wenn der oder die Andere einem scheinbar gar nichts mehr recht machen kann und einem permanent unangenehm ist. Solche Gefühle sind ein klarer Warnhinweis.
"Sich für den anderen zu schämen kann auch andeuten, dass die Liebe ein bisschen nachlässt", sagt Hemschemeier und führt aus:
Ein bisschen entzaubert zu sein, sei normal. Schließlich ist die rosarote Brille auf der Nase kein Dauerzustand. "Aber wenn einem langsam alles am Anderen peinlich ist, dann sollte man sich schon mal fragen, ob man den Partner noch liebt", berichtet der Experte weiter.
Als Paartherapeut ist ihm das Thema bekannt. Wird der oder die Liebste nur noch als nerviger Störfaktor wahrgenommen, ist die Trennung nicht mehr weit. "Wenn man merkt, dass es einen schon stört, wie der andere schläft, atmet und kaut – wenn also völlig willkürliche Alltagssachen anfangen, den Partner zu stören, dann ist das Haltbarkeitsdatum der Beziehung meist einfach überschritten", sagt Hemschemeier deutlich, "das erlebe ich oft in der Therapie."
Dann wäre es nur noch fair, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Denn schließlich sollte eine Partnerschaft bereichernd, nicht unangenehm sein und jede:r hat das Recht, auf eine:n Partner:in zu hoffen, der oder die über Witze nicht die Stirn runzelt, sondern herzlich lacht.