Der Gedanke an eine Bilderbuchfamilie mit Kindern und Hund hat bei Julia noch nie Sehnsucht ausgelöst, im Gegenteil: Der Gedanke schwanger zu werden, hat sie schwer belastet. Über ein YouTube-Video hat sie davon erfahren, dass auch junge Frauen sich sterilisieren lassen können. Damit stand ihr Entschluss fest: Das will sie auch.
Am Telefon erzählt Julia uns ihre Geschichte über den schweren Weg bis zur Sterilisation – ein Protokoll:
"Dass ich keine Kinder haben möchte, ist für mich so klar, wie es für andere Menschen klar ist, dass sie keine Baby-Giraffe als Haustier haben wollen. Und das eigentlich schon immer. Früher dachte ich, ich müsste Kinder bekommen, aber als ich dann in der Pubertät realisiert habe, dass es meine eigene Entscheidung ist, ist mir irgendwie ein Stein vom Herzen gefallen. Dabei ist es gar nicht so, dass ich keine Kinder mögen würde – sie kommen nur einfach in meiner Lebensplanung absolut nicht vor.
Ich habe auch keine schlechte Kindheit gehabt oder sonst irgendwie schlechte Erfahrungen mit Kindern gemacht. Trotzdem hatte ich nie den Wunsch, selbst Kinder zu bekommen. Und dann kommen auch noch so Punkte dazu, wie, dass die Welt überbevölkert ist, dass die Umwelt immer mehr in Mitleidenschaft gezogen wird und, dass es sowieso schon super viele Kinder gibt, die kein Zuhause haben. Warum sollte man dann nicht lieber denen ein Zuhause bieten, als noch selbst Kinder in die Welt zu setzen?
Aber auch eine Adoption kommt für mich momentan nicht in Frage. Und ich glaube auch nicht, dass das in Zukunft groß anders sein wird. Sollte ich meine Entscheidung bereuen, was ich nicht glaube, wäre das aber eine Option für mich. Denn selbst bei unserem Familienhund, den ich sehr liebe, bin ich manchmal überfordert und denke: "Oh Gott, das ist so eine große Verantwortung." Wie wäre es dann erst mit einem Kind, das komplett auf einen angewiesen ist? Ich meine, das Kind hat ja verdient, dass man immer da ist, funktioniert.
"Aber was ist, wenn du es bereust?", fragen mich die Leute immer und immer wieder. Ja, wenn ich es bereue, ist das Schöne daran, dass ich allein diese Entscheidung bereue und nicht ein Kind, das ich vielleicht bekommen und hätte bereuen können. Und wenn ich es wirklich so sehr bereuen sollte, dann gibt es immer noch die Option der Adoption oder der künstlichen Befruchtung. Aber für mich selbst habe ich diese Entscheidung unter der Prämisse getroffen: Es gibt keinen Weg zurück. Selbst, wenn die Regierung plötzlich sagen würde, sterilisierte Menschen dürfen keine Kinder adoptieren, würde ich mich sterilisieren lassen. Ich habe da wirklich viel drüber nachgedacht.
Wenn man anders verhütet, zum Beispiel mit der Pille, dann wird das gesellschaftlich akzeptiert. Man kann sie ja jederzeit absetzen, sich jederzeit doch noch dazu entscheiden, Kinder bekommen zu wollen. Dass ich die Pille schon mal genommen habe und sie überhaupt nicht vertragen und sogar mentale Probleme bekommen habe, tut da überhaupt nichts zur Sache. Es ist auch nicht so, dass ich mich nicht auch in Bezug auf die Spirale oder Kupferkette informiert hätte. Aber ich habe so viele Horrorgeschichten darüber gehört, zumal das auch noch sauteuer ist und im Prinzip nur zwischen drei und fünf Jahre hält, dass es für mich nicht so richtig in Frage kam.
Anfang 2020, ich war gerade dabei, meine Bachelorarbeit zu schreiben, bin ich auf YouTube auf ein Video vom Y-Kollektiv gestoßen, das sich mit dem Thema Sterilisation befasst. Ich habe mich dann richtig in das Thema eingelesen und viel darüber nachgedacht, aber im Prinzip war das für mich, als hätte ich meine Traumreise gewonnen und müsste nur noch das Formular ausfüllen. Ich wollte das unbedingt.
Im Dezember 2020 bin ich dann auch mit meinem Freund zusammengekommen – und dann stand ich halt vor der Frage: Wie verhüten? Kurzfristig habe ich dann wieder angefangen, die Pille zu nehmen, was blieb mir auch anderes übrig? Dass ich keine Kinder haben möchte und dass ich meine Meinung auch nicht ändern werde, habe ich meinem Freund aber schon gesagt, bevor wir zusammengekommen sind. Er war schon überrascht von der Finalität hinter meinem Wunsch, aber ist mit der Prämisse "Julia möchte keine Kinder, das ist final" eine Beziehung mit mir eingegangen und hat mich auf meinem Weg auch unterstützt und war immer für mich da, hat viele Tränen getrocknet.
Denn der Weg zur Sterilisation war für mich nicht immer ganz einfach. Bei meiner Recherche zur Sterilisation bin ich dann auch recht schnell auf den Verein "Selbstbestimmt Steril" gestoßen, wo man als Frau ganz viele Infos bekommt, wie das mit der Sterilisation abläuft und welche Schwierigkeiten da so auf einen zukommen könnten. Vor allem hat der Verein aber eine Karte erstellt, aus der hervorgeht, wo in Deutschland Ärzte überhaupt Sterilisationen vornehmen. Bevor ich mir eine Praxis ausgesucht habe, bin ich dann aber erstmal zu meiner eigenen Gynäkologin gegangen. Die hat leider überhaupt nicht gut reagiert, das war eine ganz, ganz furchtbare Erfahrung für mich.
Sie hat mich absolut nicht für voll genommen, hat mir im Prinzip unterstellt, ich hätte eine furchtbare Kindheit gehabt und sei viel zu jung, um eine solche Entscheidung zu treffen. Dann wollte sie wissen, was mein Freund davon hält und meinte, dass sowas verboten werden sollte. "Und was ist, wenn sich Ihr Freund von Ihnen trennt?", hat sie gefragt. Ich war kurz ein bisschen irritiert von der Frage, aber habe versucht, ruhig zu bleiben und nur darauf geantwortet, dass das dann zwar traurig wäre, aber dann halt nicht zu ändern sei.
"Aber was, wenn Sie dann nie wieder jemanden finden? Was, wenn ihr Partner später Kinder will? Viele Männer wollen Kinder." Ich habe dagegen argumentiert, und meinte, dass ich mit einem solchen Mann wohl nicht zusammenkommen würde, das würde dem nicht gut tun und mir auch nicht. "Aber wollen Sie denn einsam sterben?", fragte sie weiter. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich wünschte, ich hätte das Gespräch aufgenommen. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass sie so ausrastet.
Als ich aus der Praxis raus bin, bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich war so fertig und so wütend. Um meine Gefühle zu verarbeiten, habe ich erst einmal ein zehnminütiges Audio aufgenommen, um alles, was meine Gynäkologin gesagt hatte und was mir durch den Kopf schwirrte, festzuhalten. Bis heute habe ich mich nicht getraut, mir das Audio noch einmal anzuhören. Ich meine, wenn ich im gleichen Alter zu ihr gekommen wäre und gesagt hätte, dass ich schwanger werden wolle, hätte sie mir ganz bestimmt nicht versucht, das auszureden. Dabei ist es doch eine genauso weitreichende Entscheidung: Wenn ich mich dafür entscheide, ein Kind zu bekommen, verändert das mein Leben doch genauso, als wenn ich mich dafür entscheide, kein Kind zu bekommen.
Naja, ich habe diese Praxis jedenfalls nie wieder betreten. Ein professioneller Umgang in einem Aufklärungsgespräch wäre schon wünschenswert. Klar, man sagt immer: "Sag niemals nie", und damit haben die Menschen ja auch nicht ganz unrecht. Aber ich bin mir zu 99,9 Prozent sicher, dass ich keine Kinder haben möchte. Und ich bin über 18 Jahre alt und darf eine solche Entscheidung für mich fällen.
Ich habe also weiterrecherchiert und bei einer Praxis angerufen, die den Eingriff laut Website vornimmt. Allerdings meinten die schon am Telefon, dass ich erst in vier Monaten einen ersten Termin bei der Ärztin bekommen könnte, um überhaupt in Erfahrung zu bringen, ob sie die Operation bei Frauen in meinem Alter durchführt, zu welchen Konditionen und so weiter. Ich habe den Termin erst einmal genommen, habe dann aber noch weitergesucht.
Bei der zweiten Praxis, wo eine Freundin von mir sich hatte sterilisieren lassen, hatten sie das Alter, ab dem sie den Eingriff vornehmen, auf 25 hochgeschraubt. Ging also nicht. Mittlerweile war ich so frustriert, keine Praxis zu finden, dass ich dachte: "Okay, egal wie weit ich fahren muss, ich mach das jetzt." Und dann habe ich über die Karte von "Selbstbestimmt Steril" eine wunderbare Praxis in der Nähe von Würzburg gefunden.
Schon als ich das erste Mal in der Praxis anrief, hatte ich direkt ein positives Gefühl, weil die mich gar nicht komisch behandelt haben. Die Ärztin hat mich ein paar Tage später zurückgerufen, gefragt, wer ich bin, was ich mache und warum ich mich gern sterilisieren lassen würde. Also im Prinzip wollte sie verstehen, was meine Beweggründe sind und was für ein Typ Mensch ich bin. Und dann haben wir gleich zwei Termine vereinbart: einen zum persönlichen Kennenlernen und einen zweiten für die OP am Tag danach.
Dann ging alles recht schnell. Ich bin mit meinem Freund, weil man auch eine Begleitperson braucht, nach Würzburg gefahren. Ich war so aufgeregt, als müsste ich ein Referat halten. Gar nicht wegen der Steri, sondern vor allem wegen des ganzem Brimboriums. Ich habe die Narkose bekommen und weiß noch, dass ich von zehn abwärts runterzählen sollte – ich glaube, ich bin bis acht gekommen, dann war ich weg.
Als ich wieder aufgewacht bin, ging es mir toll. Ich habe sofort gespürt, wie sich eine riesige Erleichterung in mir breit gemacht hat, mir ist wirklich eine riesige Lkw-Ladung Last vom Herzen gefallen. Ich habe sofort angefangen, zu weinen. Vor Erleichterung. Es kam sofort eine Schwester auf mich zu, die ganz besorgt fragte, ob alles in Ordnung sei, ob sie mir helfen könne. Ich meinte nur zu ihr: "Nein, mir geht es wundervoll, ich bin gerade einfach nur erleichtert." Mein Freund hat mich mit einem Strauß Blumen abgeholt und dann sind wir zurück nach Marburg gefahren.
Zu verinnerlichen, dass ich nicht mehr schwanger werden kann und keine Angst mehr davor haben muss, war schon ein Prozess. Nach dem Sex bin ich immer superschnell aufs Klo gerannt, auch wenn das natürlich überhaupt nichts bringt. Aber für meinen Kopf war das unfassbar wichtig. Ich habe auch teilweise mehrere Schwangerschaftstests gemacht. Das habe ich zwar auch in den ersten paar Monaten nach der Sterilisation noch gemacht, aber mittlerweile bin ich da echt entspannter geworden. Trotzdem freue ich mich jedes Mal, wenn meine Periode kommt – einfach, weil ich dann sehe, dass es funktioniert.
Jetzt sind genau neun Monate um, seit ich die Sterilisation hinter mir habe, genau der Zeitraum, in dem ich ein Baby hätte bekommen können. Dass das nicht mehr passieren kann, hat mich richtig erlöst, ich war noch nie so mit mir im Reinen, noch nie so glücklich. Meine Jumbo-Box an Schwangerschaftstests habe ich an Freundinnen verschenkt. Ich muss mir keine Gedanken mehr machen.
Am 4. Juni ist meine Sterilisation genau ein Jahr her, ich habe das Datum groß in meinem Kalender markiert und möchte den Tag mit meinen Freundinnen feiern: Ich kann keine Kinder mehr bekommen und bin glücklich damit."