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Neue Corona-Mutation aus Südafrika: Was wir wissen und was sie bedeuten könnte

Passagiere warten am Flughafen Frankfurt. Nach der Entdeckung einer neuen Virusvariante will die Bundesregierung den Flugverkehr mit Südafrika einschränken.
Als Reaktion auf die in Südafrika aufgetauchte Variante des Corona-Virus mit der Bezeichnung B.1.1.529 haben bereits zahlreiche Länder ihre Einreiseregeln verschärft.Bild: dpa / Boris Roessler
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Neue Südafrika-Mutation des Corona-Virus: Was wir bisher wissen und was sie bedeuten könnte

26.11.2021, 16:3327.11.2021, 11:05
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Seit Donnerstag geistert ein neues Corona-Schreckgespenst durch die pandemiegeplagte Welt: Südafrikanische Wissenschaftler hatten die Entdeckung einer neuen Corona-Variante bekannt gegeben. Die Mutation mit der Bezeichnung B.1.1.529 gebe "Anlass zur Sorge", sagten die Wissenschaftler.

Es ist derzeit noch nicht viel bekannt über die Virus-Variante. Die Wissenschaftler in Südafrika, die die Mutation entdeckt hatten, haben jedoch eine sehr schnelle Verbreitung von B.1.1.529 innerhalb von weniger als zwei Wochen festgestellt und prognostizieren, dass die Variante bald auch die momentan führende Delta-Variante verdrängen wird.

Zu befürchten ist jedoch auch, dass durch zahlreiche Mutationen, unter anderem am Spike-Protein des Virus, die Mutation das Potential hat, die bestehende Immunisierung der bisher verwendeten Impfstoffe zu umgehen. Diese sogenannte "Escape-Variante" des Virus könnte zu einer Verschlimmerung der in Deutschland bereits akuten vierten Welle beitragen. Um Gefährlichkeit oder Ansteckungsgrad beurteilen zu können, gibt es laut dem Virologen Christian Drosten allerdings aktuell noch nicht genug Daten, weshalb man die Bewertung der Variante noch nicht abschließen könne, wie er der dpa mitteilte. Dennoch sind viele Politiker und Experten alarmiert durch das Auftauchen der neuen Variante. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte B.1.1.529 am Freitagabend als "besorgniserregend" ein.

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte sich in einer Pressekonferenz am Freitag besorgt bezüglich der Südafrika-Variante: "Das ist das Letzte, was wir jetzt in unserer momentanen Lage noch brauchen können, dass in die Welle hinein noch eine zusätzliche Variante kommt." Die Bundesregierung gab angesichts der Entwicklung am Freitag die drastische Einschränkung des Flugverkehrs mit Südafrika bekannt. Ab der Nacht zum Samstag gilt das Land als Virusvariantengebiet. Die neue Einstufung wird möglicherweise auch Nachbarländer von Südafrika betreffen. Spahn forderte zudem alle Menschen, die in den vergangenen Tagen aus Südafrika und der Region nach Deutschland gekommen sind, dazu auf, sich mit einem PCR-Test sicherheitshalber auf das Virus testen zu lassen.

Bislang sind jedoch in Deutschland noch keine Nachweise für das Einschleppen der Variante gefunden worden. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sagte am Freitag: "Wir sind sehr besorgt. Und ich hoffe sehr, dass stringent dahingehend gearbeitet wird, dass zumindest die Ausbreitung dieser Variante so gut wie möglich durch Reisebeschränkungen eingeschränkt wird." Belgien hatte am Freitag einen ersten Fall mit der neuen, zunächst im südlichen Afrika festgestellten Corona-Variante B.1.1.529 registriert. Das gab der belgische Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke bekannt.

Der belgische Premierminister Alexander De Croo kündigte zudem Reisebeschränkungen für Einreisende aus Ländern im südlichen Afrika an. Es sei Vorsicht erforderlich, aber keine Panik, sagte Vandenbroucke. Großbritannien hatte bereits am Donnerstag angekündigt, den Reiseverkehr mit Südafrika und fünf weiteren afrikanischen Ländern einzustellen, Italien erwägt ähnliche Schritte. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen teilte am Freitag mit, die Kommission werde den Mitgliedstaaten die Aktivierung der sogenannten Notbremse und damit die vorübergehende Einstellung des Reiseverkehrs mit Ländern des südlichen Afrika vorschlagen.

"Die neue Variante vereinigt viel mehr Mutationen auf sich als die zurzeit vorherrschende Delta-Variante."
Prof. Timo Ulrichs, Akkon Hochschule für Humanwissenschaften gegenüber watson

Für wie beunruhigend halten Epidemiologen hierzulande die neu entdeckte Variante des Corona-Virus? Der Epidemiologe Prof. Timo Ulrichs von der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin erklärt auf Nachfrage von watson:

"Die neue Variante vereinigt viel mehr Mutationen auf sich als die zurzeit vorherrschende Delta-Variante. Falls sie fitter sein und die Delta-Variante verdrängen sollte, könnten die veränderten Oberflächenstrukturen die durch Impfung und Viruskontakt hergestellte Immunität in der Bevölkerung unterlaufen. Die Konsequenz wäre dann, dass wir mit angepassten Impfstoffen mit einer Durchimpfung der Bevölkerung wieder bei Null anfangen müssten. Aber jetzt sollten erstmal die weiteren Daten und Informationen zur neuen Variante abgewartet werden. Bisher wurden schon einige neue Varianten beschrieben, die sich aber über lokale Verbreitungen hinaus nicht durchsetzen konnten."

Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech gab am Freitag bekannt, er schaue sich die neue Variante des Coronavirus in Tests an und rechne spätestens in zwei Wochen mit Erkenntnissen. "Wir können die Besorgnis von Experten nachvollziehen und haben unverzüglich Untersuchungen zur Variante B.1.1.529 eingeleitet", teilte das Unternehmen in Mainz der Deutschen Presseagentur (dpa) mit. Die Daten aus nun laufenden Labortests würden Aufschluss geben, ob eine Anpassung des Impfstoffs erforderlich werde, wenn sich diese Variante international verbreite. Biontech teilte weiter mit, gemeinsam mit dem US-Partner Pfizer habe man schon vor Monaten Vorbereitungen getroffen, um im Fall einer sogenannten Escape-Variante des Virus den Impfstoff innerhalb von sechs Wochen anzupassen und erste Chargen innerhalb von 100 Tagen auszuliefern.

"Die vierte Welle muss so schnell wie möglich mit den gängigen Maßnahmen gebrochen werden, am besten mit einem umfassenden Lockdown."
Prof. Timo Ulrichs gegenüber watson

Das klingt zunächst etwas beruhigend, dennoch: Für den Fall, dass die Virusvariante trotz der bereits erlassenen Quarantänebestimmungen bereits unentdeckt nach Deutschland gelangt sein sollte, welchen Einfluss könnte die Mutation auf den Verlauf der aktuellen vierten Corona-Welle haben? Dazu Prof. Ulrichs: "Die vierte Welle muss so schnell wie möglich mit den gängigen Maßnahmen gebrochen werden, am besten mit einem umfassenden Lockdown. Sollte die neue Variante das Verbreitungsgeschehen in Deutschland übernehmen, könnte sich an die abflauende vierte Welle eine fünfte, neue anschließen."

Im Moment noch kein Lockdown in Sicht

Im Moment gibt es noch keine konkreten Lockdown-Pläne aus den Bundesländern. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer forderte am Freitag eine schnellstmögliche Vorverlegung der derzeit für den 9. Dezember geplanten Ministerpräsidentenkonferenz. "Zögern wird bestraft – wir brauchen schnellstmöglich ein Bund-Länder-Treffen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland angesichts der neue Lage aufgrund der Südafrika-Variante. "Wir brauchen nun umso dringlicher bundeseinheitliche Regelungen im Kampf gegen dieses aggressive Virus!"

Der dringende Abstimmungs- und Handlungsbedarf könne laut Kretschmer keine 14 Tage mehr warten. Auch Spahn sprach sich für eine Vorverlegung der Beratungen auf Länderebene aus. Epidemiologe Ulrichs sagte gegenüber watson, er glaube dennoch nicht, dass die Virus-Mutation das Potential hätte, die Situation noch vor Weihnachten zu verschärfen, "wenn Reisebeschränkungen aus den betroffenen Gebieten möglichst schnell eingesetzt werden. Aber der Winter ist noch lang, und das könnte der neuen Variante Gelegenheit zur schnellen Ausbreitung geben. Aber zunächst gilt: erstmal Informationen sammeln und bewerten – und vor allem mit der aktuellen vierten Welle fertigwerden, die von der Delta-Variante verursacht wird."

(mit Material der dpa)

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