Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist inzwischen dreimal geimpft (rund 52 Millionen, laut RKI). Viele haben sich zusätzlich mindestens einmal schon mit dem Coronavirus infiziert.
Damit sollte das Immunsystem für die Pandemie gerüstet sein, hoffte man zumindest lange Zeit. Viele verzichteten daher auch bewusst auf den zweiten Booster ("nur" rund 9 Millionen nahmen diese noch in Anspruch). Doch nun steht erneut der Herbst vor der Tür. Strengere Corona-Maßnahmen sind wieder im Gespräch, der Gesundheitsminister ruft mal wieder zum Boostern mit dem Omikron-angepassten Impfstoff auf und rät zusätzlich zu einer Grippeimpfung.
Besonders junge und gesunde Menschen lässt das zunehmend ratlos zurück. Reicht es nicht langsam mit den Impfungen? Oder sollte ich mir doch noch einmal eine Auffrischung holen – und sei es nur aus pragmatischen Gründen? Kann eine Impfung zu viel mir am Ende sogar schaden?
watson hat mit dem Epidemiologen Prof. Markus Scholz von der Universität Leipzig über genau diese Fragen gesprochen.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfhielt die vierte Impfung grundsätzlich für:
Alle Anderen können in Rücksprache mit ihren Ärzt:innen entscheiden, ob eine erneute Corona-Impfung Sinn ergibt. Aktuell werden vorrangig die neuen Vakzine verimpft, die Omikron-adaptiert sind.
Hinweis: Menschen unter 30 Jahren wird bislang davon abgeraten, sich das Omikron-Vakzin Spikevax BA.1 geben zu lassen. "Das liegt an einer mangelnden Datenlage für die jüngeren Probanden und der geringeren Risikobewertung", erklärt Wissenschaftler Scholz dazu.
Die neuen Impfstoffe sind angepasst an die Omikron-Varianten, die gerade vorrangig in Deutschland kursieren. Etwa 97 Prozent aller Infektionen gehen laut dem RKI aktuell auf die Sublinie BA.5 zurück. Das heißt: Wer sich mit den Omikron-adaptierten Impfstoffen boostern lässt, sollte gut geschützt vor der derzeitigen Welle sein.
Der neue Impfstoff kann das alte "Corona-Wissen" des Immunsystems ergänzen. Nützlich ist das vor allem dann, wenn der Körper Omikron noch nicht kennt, sagt der Epidemiologe. "Die Impfung ist dann sinnvoll, wenn man sich noch nicht mit einer der Omikron-Varianten infiziert hat", berichtet Scholz, also, wie er weiter ausführt, "dieses Jahr". Damit vertritt er dieselbe Meinung, wie die Stiko, die angibt:
"Eine Überimpfung ist kaum möglich", sagt der Epidemiologe deutlich und hält es daher für vertretbar, sich auch dann impfen zu lassen, wenn man eigentlich keine große Angst vor einer schweren Erkrankung hat.
Denn auch logistische Gründe, wie das Verzichten-Wollen auf Quarantäne oder der Schutz von Angehörigen seien gute Gründe für eine Impfentscheidung. Der Nutzen überwiege im Zweifelsfall. Scholz dazu: "Die vierte Impfung kann Ansteckungen während der aktuellen Herbstwelle vermeiden helfen, damit die Belastung des Gesundheitssystems und Personalausfälle möglichst gering bleiben."
Übrigens: Wer gerade erst eine Corona-Infektion durchgemacht hat, sollte sechs Monate warten, bis er sich eine Covid-19-Impfung holt. Zu diesem Mindestabstand rät zumindest die Stiko (Stand September 2022)
Eine jährliche Impfung gegen die saisonale Influenza im Herbst wird laut Stiko vor allem Risikogruppen empfohlen. Darunter:
Das Gesundheitsministerium appeliert dieses Jahr aber auch Nicht-Risikogruppen, eine Grippeimpfung in Betracht zu ziehen. Auch Markus Scholz hält es für sinnvoll, wenn sich größere Teile der Bevölkerung als sonst gegen eine Influenza rüsten. Die Gründe dafür erklärt er so:
Karl Lauterbach ruft zum "doppelten Schutz" durch eine Grippe- und weitere Corona-Impfung für den Herbst auf. Aber eine doppelte Impfdosis klingt ganz schön viel.
Zum Einen soll damit natürlich die Belastung des Gesundheitssystems diesen Winter abgemildert werden, wie bereits erklärt. Es gehe beim "Doppelschutz" aber auch um Eigennutz, gibt Markus Scholz zu Bedenken: "Sowohl bei Grippe als auch bei Corona ist man auch als junger Mensch ein bis zwei Wochen richtig krank, teilweise bettruhepflichtig. Insofern ist eine Vemeidung der Ansteckung durch Impfauffrischung auch im eigenen Interesse."
Bei Corona komme erschwerend hinzu, dass das Virus "wesentlich ansteckender als Grippe ist." Und auch wenn es einem selbst vielleicht nichts anhaben kann, kann es dem Nächsten da ganz anders ergehen. "Um seine Mitmenschen zu schützen, sollte man sich im Falle einer Ansteckung deshalb weiterhin isolieren", sagt Scholz weiter, "Oder eben besser impfen lassen."