Jahrelang erhielt sie Morddrohungen und Hassnachrichten, konnte zuletzt ihrem Beruf als Ärztin nicht mehr nachgehen und musste ihre Praxis schließen. Nun ist die österreichische Allgemeinmedizinerin Dr. Lisa-Maria Kellermayr, die sich öffentlich für die Corona-Impfung einsetzte, tot. Ein Fremdverschulden wird ausgeschlossen.
Nicht nur Angehörige und Patienten sind über den Todesfall schockiert, der sich vergangenen Freitag ereignete, er macht auch deutsche Kollegen betroffen. Denn, so wie Kellermayr, erleben viele Hausärzte seit Beginn der Corona-Pandemie massive Anfeindungen.
"Frau Dr. Kellermayr ist über Monate von radikalen Impfgegnern beleidigt und bedroht worden, bis hin zu Morddrohungen. Es ist unfassbar und macht wütend, dass Ärztinnen und Ärzte, die ihrer Arbeit nachgehen, öffentlich informieren und Menschen helfen, derartigem Hass ausgesetzt sind", sagen Vertreter des Deutschen Hausärzteverbands gegenüber watson. Sie seien "geschockt und traurig über den tragischen Tod von Frau Dr. Kellermayr."
Gerade in der Pandemie waren die niedergelassenen Ärzte eine der wichtigsten Berufsgruppen im Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus. Zahlreiche Deutsche erhielten in einer Arztpraxis ihre Erst-, Zweit- oder Drittimpfungen. Auch Coronaerkrankte werden oft auf ihren Hausarzt verwiesen, wenn sie mit Symptomen kämpfen.
"Die allermeisten Patientinnen und Patienten sind froh und dankbar für die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte – gerade auch während der für alle extrem herausfordernden Zeit der Corona-Pandemie", sagen die Verbandsmitglieder. "Es gibt jedoch eine kleine und radikale Gruppe, die Kolleginnen und Kollegen auf das Übelste beleidigen und teilweise auch bedrohen. Das beobachten wir leider auch in Deutschland."
Die Bundesärztekammer warnte schon im Dezember 2021, dass Ärzte und Ärztinnen zunehmend Opfer von Gewalt würden. "Mit Dauer der Pandemie sind auch immer mehr Arztpraxen und Impfteams mit Aggressivität und Gewalterfahrungen konfrontiert. Das Bundeskriminalamt (BKA) bewertet 'Impfgegner oder Corona-Leugner' mittlerweile als 'relevantes Risiko' im Zusammenhang mit Angriffen auf Impfzentren oder Arztpraxen", heißt es in einer Stellungnahme.
Prominentes Beispiel ist Dr. Christian Kröner. Der Mediziner aus Bayern hatte sich im Dezember 2020 in einem Fernsehbeitrag für das Impfen ausgesprochen. Seitdem erreichten ihn zahlreiche Morddrohungen, er wird als "Dr. Mengele" beschimpft. Josef Mengele war ein nationalsozialistischer Kriegsverbrecher, Mediziner und Anthropologe.
"Ich finde es natürlich nicht toll, aber ich werde mich sicher nicht einschüchtern lassen", sagt Kröner im Gespräch mit watson. "Es ist nur eine kleine Gruppe aus Querdenkern und Reichsbürgern, die sind aber maximal aggressiv."
Die Nachricht vom Tod seiner österreichischen Kollegin sei "eine Katastrophe", sagt er, "aber überrascht bin ich nicht. Das kommt dabei heraus, wenn man den Hass laufen lässt und die Opfer nicht einmal unterstützt."
Er wisse von vielen Kollegen, die Anfeindungen ertragen müssten. Er selbst habe noch Glück gehabt und erhielt zeitweilig sogar Polizeischutz. Doch die Polizei hat nicht die Kapazitäten, um den Arbeitsalltag aller betroffenen Ärzte abzusichern, die ja weiter für ihre Patienten zugänglich sein müssen. Zudem kommt der Großteil der Hetze über digitale Kanäle, die Strafverfolgung gestaltet sich schwierig.
"Die Polizei muss angesichts der besorgniserregenden Zunahme digitaler Straftaten zügig handeln", forderte Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, in der Zeitung "Welt" zum Thema. Es fehle aber an entsprechenden Ressourcen, personell wie bei der Ausstattung. Dr. Kröner sieht noch ein anderes Problem: die mangelnde rechtliche Handhabe des Staates gegenüber den Betreibern sozialer Plattformen.
Er sagt:
Im Fall Kellermayr passierte offenbar von Anfang an wenig. Sie erhielt laut eigenen Angaben auf Twitter keinen Polizeischutz, ein Streifenwagen fuhr jedoch einmal täglich an ihrer Praxis vorbei. Ermittlungen gegen einen Menschen, der ihr und ihren Mitarbeitern per E-Mail Folter- und Mordfantasien zukommen ließ, liefen ins Nichts, da er mutmaßlich aus Deutschland stamme.
Doch: Auch weiterhin müsse die Polizei ein Partner sein, der seine Bürger schützt, auch bei der Ausübung ihrer Arbeit. "Die Kolleginnen und Kollegen, die davon betroffen sind, müssen sich darauf verlassen können, dass die Behörden diese Bedrohungen ernst nehmen und entsprechend konsequent handeln", mahnen die Hausärzte.
Dass es schwierig ist, die Täter zu verfolgen, darf keine Entschuldigung dafür sein, die Opfer im Stich zu lassen, findet auch Rafael Fischer von Hate Aid, einer Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt, gegenüber watson: "Wir sehen genau da ein großes Defizit in der Strafverfolgung. Eigentlich gilt im Internet dasselbe Recht wie in der Realität. Eine Beleidigung ist eine Beleidigung und eine Morddrohung ist eine Morddrohung, doch das geltende Recht wird oft nicht durchgesetzt."
Fischer arbeitet als Betroffenenberater. Wer Hassnachrichten übers Internet bekommt und Cybermobbing ausgesetzt ist, kann sich bei ihm melden und klären: Wie ernst ist diese Nachricht? Wie gehe ich am besten damit um (antworten, löschen, melden)? Wie schütze ich mich selbst vor den seelischen Verletzungen, die solche Sätze hinterlassen?
Er sagt:
Seit der Corona-Pandemie hätten sich tatsächlich immer öfter auch Ärzte bei Hate Aid gemeldet, sagt Fischer. Zahlen darf er nicht nennen, aber "wir mussten einen eigenen Reiter für diese Berufsgruppe anlegen, das sagt ja schon was." Mediziner würde es besonders treffen, weil sie als Umsetzer der Impfkampagne ein Feindbild erfüllen würden.
Niedergelassene Ärzte seien in besonderem Maße betroffen, weil auch ihre Wirtschaftlichkeit bedroht würde, zum Beispiel, wenn sie schlechte Online-Bewertungen durch ihre Hater erhielten, wie es auch Dr. Kröner passierte. Fischer sagt dazu: "Damit wird der Lebensunterhalt der Ärzte und ihrer Mitarbeiter gefährdet. Wir kennen solche Fälle und betreuen sie auch." Auch für Dr. Kellermayer war der stete Hass nicht nur eine enorme psychische Belastung, sondern zuletzt auch eine finanzielle.
Die 36-Jährige hatte ihre Praxis erst 2020 eröffnet, in den vergangenen Jahren habe sie sich Sicherheitspersonal leisten müssen, erklärte sie Ende Juni auf der Website ihrer Praxis. 100.000 Euro hätte sie das gekostet, die Ärztekammer wollte ihr helfen, den Konkurs abzuwenden, doch dazu kam es nicht mehr.
Auf der Website ihrer Praxis veröffentlichte Dr. Kellermayr einige der Drohbriefe, die sie erreichten. Was dort steht, ist hämisch und angsteinflößend. Fischer kann Empfängern solche Nachrichten nur raten, zu verinnerlichen, dass "dieser Hass nicht den Menschen meint, sondern die Maßnahmen. Die Person, das Individuum, wird ausgeblendet. Der Hater hasst die Berufsgruppe, das wofür sie steht. Es hilft Opfern, wenn sie das verstehen."
Dr. Christian Kröner, selbst Hassobjekt, hat dazu eine klare Haltung. Er sagt: "Hass ist keine Meinung." Auch wenn die Corona-Pandemie gefühlt an Relevanz verliere, seien die Wütenden nicht weg, "sobald man mal die Nase rausstreckt und einen Tweet verschickt, geht es wieder los. Sie greifen sofort an, verteilen schlechte Praxis-Bewertungen und drohen mit Gewalt. Das ist keine Debatte, kein Meinungsdiskurs. Das ist der Versuch, Menschen fertig zu machen. Wir dürfen das nicht länger dulden."
(jd/mit Material der dpa)