Ob und bis wann Schwangerschaftsabbrüche zulässig sind, ist seit jeher heftig umstritten. Bislang gelten Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland laut Paragraph 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich als rechtswidrig. Allerdings bleiben sie unter bestimmten Umständen straffrei – etwa wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist, wenn der Abbruch im Rahmen der gängigen Beratungsregel innerhalb der ersten zwölf Wochen erfolgt, oder wenn der Schwangerschaft sexuelle Gewalt vorausgegangen ist.
Doch eine von der Ampelkoalition eingesetzte Arbeitsgruppe zu eben dieser Fragestellung ist nun zu dem Schluss gekommen, dass das geltende Recht tiefgreifend überarbeitet werden müsse: "Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar", heißt es in dem Abschlussbericht. Der Gesetzgeber solle Abbrüche binnen der ersten zwölf Schwangerschaftswochen deshalb erlauben, schreiben die Expert:innen.
Zwar sind die Empfehlungen nicht bindend, aber die Reaktionen in der Ampelkoalition zeigen wieder einmal: Die Fronten sind verhärtet, denn die Abbrüche spalten die Gesellschaft. Wohl auch deshalb spielen die Politiker:innen auf Zeit, wollen den Bericht erst einmal wirken lassen.
Doch so sehr die Koalitionspartner auch versuchen, die Debatte nicht weiter politisch aufzuladen – das Thema bleibt aktuell. Denn neben dem Bericht der Kommission wird an diesem Mittwoch auch noch die umfassende Elsa-Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen veröffentlicht.
Über dreieinhalb Jahre haben sich Expert:innen im Rahmen der Studie damit beschäftigt, warum sich ungewollt Schwangere für einen Abbruch entscheiden, wie ihre Lebensumstände zu dem Zeitpunkt sind und wie leicht oder schwer sie eine:n Ärzt:in für den Eingriff finden, was bislang kaum untersucht wurde, wie die "Zeit" berichtet.
Das Kuriose: Ursprünglich sollten die Expert:innen einen gänzlich anderen Fokus bei der Studie setzen: 2019 wollte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nämlich die "seelischen Folgen" eines Schwangerschaftsabbruchs für Frauen untersuchen. Hierbei ist die Rede vom sogenannten Post-Abortion-Syndrom – also der Annahme, Frauen würden nach einem Abbruch psychisch erkranken und diesen bereuen.
Diese Folge ist allerdings längst empirisch widerlegt: Die große Mehrheit der Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, ist vielmehr erleichtert. Auch Jahre später bereuen mehr als 95 Prozent der Frauen den Eingriff nicht.
Also wurde der Fokus geändert – weg von den psychischen Folgen einer Abtreibung, hin zu den Beweggründen der Frauen: Was bringt Frauen dazu, einen Abbruch vornehmen zu lassen?
Die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch bedeutet für Frauen laut der Studie eine komplexe Abwägung zwischen möglichen Belastungen, individuellen Lebensplänen und den eigenen Ressourcen. In einer Analyse aus 25 qualitativen Interviews mit ungewollt Schwangeren zwischen 17 und 41 Jahren kristallisierten sich vier Typen heraus, wie die "Zeit" vorab berichtet:
Bei der Studie handelt es sich um die bislang umfassendste wissenschaftliche Untersuchung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland.
Doch die Lage ist und bleibt kritisch. Ob die Bundesregierung den Empfehlungen der Kommission tatsächlich folgen wird, ist noch offen – denn bindend sind diese nicht.
Für seine strikte Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen wurde Deutschland bereits mehrfach vom UN-Menschenrechtskommissariat gerügt. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürwortet eine Legalisierung, da längst erwiesen ist: Auch restriktive Gesetze verhindern Schwangerschaftsabbrüche nicht. Vielmehr führen sie zu Stigmatisierungen bei ungewollt Schwangeren, die den Eingriff durchführen lassen.
Das hat schwerwiegende Folgen: Denn eine angemessene medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren ist in Deutschland nicht flächendeckend gegeben. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Ärzt:innen, die Abbrüche vornehmen, auch aufgrund von Stigmatisierungen und Bedrohungen fast halbiert.
Baden-Württemberg zählt neben Rheinland-Pfalz und Bayern zu den Bundesländern mit der am wenigsten dichten Versorgung an Arzt-Praxen, wie aus der aktuellen Studie hervorgeht. Die dichteste Versorgung hingegen gibt es in den östlichen Bundesländern – mit Ausnahme von Brandenburg – sowie im Westen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen.