An Weihnachten geht es neben Besinnlichkeit und Geschenken auch ums Zusammensein. Für viele ist das Fest der Inbegriff der Nächstenliebe. Neben denjenigen Leuten, die fröhlich zu ihren Familien fahren, um dort die letzten Tage des Jahres zu entspannen, gibt es aber auch viele, die niemanden zum Feiern haben – etwa weil sie Single sind, keine engen Verwandten zum Feiern mehr haben oder mit diesen Streit herrscht.
Gerade weil das Beisammensein an Weihnachten so sehr in der Öffentlichkeit zelebriert wird, können Menschen, die die Feiertage alleine verbringen, aber auch besonders darunter leiden.
Warum dies jedoch nicht selbstverständlich ist und wie man emotional am besten damit klarkommt, an Weihnachten allein zu sein, hat Experte Peter Mohr watson verraten. Er forscht am Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit und ist angehender Psychotherapeut.
watson: Warum ist Weihnachten für viele so wichtig? Was macht das Fest mit uns?
Peter Mohr: Ich glaube, gerade in so einer kalten Zeit können uns solche über Generationen hinweg gewachsenen Rituale Sicherheit geben. Man kennt Weihnachten als Fest des Zusammenseins, als Fest der Familie. Und deswegen sind auch unsere Standards von dem, was wir von Weihnachten erwarten, besonders hoch. Wir wollen mit jemandem zusammen sein, wir wollen Weihnachten nicht alleine sein. Und deswegen wird es umso schwerer, wenn das eben nicht gegeben ist.
Was kann es in Menschen auslösen, wenn sie ungewollt Weihnachten alleine verbringen?
Es kann schmerzhaft sein und kurzfristig Traurigkeit, Leere, Ängstlichkeit, Verzweiflung, Einsamkeit und andere Gefühle auslösen. Eine anhaltende Einsamkeit, die über die Weihnachtszeit hinausgeht, birgt sogar das Risiko, in ernsthafte Depressionen überzugehen. Gleichzeitig ist es möglich, dass Depressionen zu verstärkter Einsamkeit und sozialem Rückzug führen. Die genaue Wechselwirkung zwischen beiden muss noch weiter erforscht werden.
Aber warum ist das so, dass es Menschen besonders an Weihnachten so belastet, wenn sie alleine sind?
Wegen des hohen sozialen Anspruchs an Weihnachten könnte es sein, dass das Gefühl von Einsamkeit dann auch als besonders intensiv an den Tagen gefühlt wird. Aber eigentlich wissen wir gar nicht so genau, ob es tatsächlich so ist, dass sich Menschen rund um Weihnachten besonders einsam fühlen.
Wie kommt das?
Einerseits gibt es besagten hohen Anspruch an das Weihnachtsfest, der zu einem intensiven Einsamkeitsgefühl führen kann. Andererseits gibt es aber auch ganz, ganz viele Aktionen und Engagement, die genau dafür sorgen sollen, dass Menschen an Weihnachten sich nicht so einsam und nicht ungewollt alleine fühlen.
Was würden Sie Menschen raten, um Weihnachten alleine zu bewältigen? Welche Tipps gibt es, mit seinen Gefühlen umzugehen?
Man kann sich selbst auf viele Arten etwas Gutes tun, indem man sich einen Tee macht, was Tolles zu Essen zubereitet, es sich insgesamt irgendwie schön macht. Man kann auch ein Stück weit seine Emotionen regulieren. Musik hilft dabei sehr gut, Sport, etwa Joggen, ebenfalls. Auch Meditation tut sehr gut. Im Endeffekt hilft ein hoher Grad an Selbstfürsorge beziehungsweise Selfcare: Dinge tun, die man mag und sich dabei um sich selbst kümmern.
Wer hingegen chronisch unter Einsamkeit leidet, also sich kontinuierlich entweder mehr oder intimere soziale Kontakte wünscht, sollte über Psychotherapie nachdenken. Professionelle Unterstützung kann dann sehr hilfreich sein. Ansonsten kann es helfen, wenn man seine Sorgen aufschreibt. So kann man ein bisschen Distanz schaffen und mit sich selbst wie mit einem besten Freund oder einer besten Freundin sprechen. Mit denen geht man teilweise ja ganz anders um, als mit sich selbst.
Gibt es auch Dinge, die man hingegen vermeiden sollte?
Von kurzfristigen Verdrängungsstrategien, wie dem Konsum von Alkohol, Drogen und anderen Suchtmitteln, um das Gefühl wegzubekommen, ist abzuraten. Das mag nur ganz kurzfristig als hilfreich erscheinen, stellt jedoch keine langfristige Lösung dar.
Ist es nicht manchmal schwierig zu unterscheiden, ob man die Tafel Schokolade nun aus Selfcare-Gründen oder zum Verdrängen isst?
Es kommt dabei schon aufs Maß an. Außerdem ist es etwas anderes, aus dem Gedanken heraus "Ich tue mir jetzt was Gutes, ich erlaube mir das" zu handeln, als wenn man etwas konsumiert, um möglichst schnell nicht mehr zu fühlen, wie schlecht es einem geht und aus diesem Grund Schokolade isst oder sich mit Tiktok ablenkt.
Gibt es Maßnahmen, die generell gegen Einsamkeit helfen, an Weihnachten jedoch vermieden werden sollten?
Nostalgie wird sonst eigentlich als sehr hilfreich angesehen. Wenn man sich jedoch an den Feiertagen mit einem bestimmten Gebäck oder ähnlichem daran erinnert, wie man früher mit der Familie Weihnachten gefeiert hat, könnte das einen auch traurig stimmen. Angesichts der Realisierung, dass diese Zeit vorbei ist, könnte das Gefühl der Einsamkeit verstärkt werden. Aber dieser Aspekt ist auch bei jedem anders, das muss man ausprobieren.
Wie verhält man sich in dieser Zeit am besten anderen gegenüber?
Man sollte anderen gegenüber keine Fassade aufsetzen und ihnen sagen, dass alles gut ist, um irgendwie Stärke zu zeigen. Das wird von Betroffenen in Studien als nicht hilfreich erlebt. Es hilft mehr, sich emotional zu öffnen und zu sagen, dass man sich gerade einsam und alleine fühlt.
Was würden Sie also als Antwort empfehlen, wenn Freund:innen auf einen zukommen und fragen: "Wie kommst du klar, dass du an Weihnachten alleine bist?"
Am besten würde man authentisch, ehrlich antworten. Denn unter Umständen würde ja das daraus entstehende Gespräch wiederum die Möglichkeit bieten, dass man Weihnachten nicht alleine verbringt. Generell kann man die Empfehlung geben, sich emotional zu öffnen. Auch wenn das manchen Menschen besonders schwerfällt.
Zuletzt: Was sollte man tun, wenn man an den Feiertagen alleine ist und keine Ihrer Empfehlungen hilft?
Wenn das alles gar nichts hilft, gibt es immer noch die Krisentelefone, das "Silbertelefon" für ältere Leute, aber auch Angebote wie die "Nummer gegen Kummer", die man jederzeit anrufen kann. Man muss das nicht ganz alleine aushalten.