Seit Wochen schweigt er, der Mann, an dessen Lippen ein großer Teil Deutschlands während der Corona-Höchstphase hing: Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin hat sich mit seinem Podcast in die Sommerpause zurückgezogen. Zuvor hatte er die Bevölkerung zunächst täglich, später wöchentlich über die neuen Entwicklungen zur Pandemie informiert und war regelmäßig an der Seite von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu sehen.
Nun meldet Drosten sich zurück – mit einem Gastbeitrag in der "Zeit". Mit alter Besonnenheit, aber auch mit einer Warnung. Denn obwohl Deutschland von Anfang an gut auf die Pandemie reagiert und viele wichtige Maßnahmen umgesetzt hatte, drohen wir nun, sämtliche Vorteile zu verspielen: "Das hat vor allem einen Grund", sagt der Virologe. "Wir lernen sehr viel Neues über das Virus, setzen dies aber nur zögerlich um."
Die Zahl der Neuinfektionen steigen seit einigen Wochen wieder an. Zwar gibt es aktuell nicht mehr so große Infektionsherde wie damals in Heinsberg oder Ischgl, dafür allerdings viel mehr kleinere Corona-Brennpunkte, die auch die Experten vom Robert-Koch-Institut mit Sorge beobachten. Die Lage sei "wirklich beunruhigend", sagte RKI-Chef Lothar Wieler jüngst in einer Pressekonferenz.
Viele ahnen schon, die zweite pandemische Welle rollt heran. Wichtig sei es nun, so Drosten, den Unterschied zwischen erster und zweiter Welle zu verstehen sowie die Erkenntnisse der vergangenen Monate umsichtig anzuwenden. Er erklärt:
Denn mittlerweile hat sich das Virus gleichmäßiger über alle Bevölkerungsschichten verteilt, was das Nachvollziehen der Infektionsketten erschweren könnte. Es ist genau diese Entwicklung, die das RKI beunruhigt. Dem Virus schutzlos ausgeliefert sind wir dennoch nicht, meint Drosten: Es käme nun vor allem darauf an, von den Infizierten vor allem diejenigen zu beobachten, die regelmäßig mit Gruppen in Kontakt stehen, mehr als eine Person anstecken und somit Cluster bilden, von denen sich wieder neue Infektionsketten bilden können. "Sie treiben die Epidemie", erklärt Drosten.
Wichtig wäre es nun, diese Cluster frühzeitig zu erkennen, so, wie Japan es beispielsweise gemacht hat:
Japan konnte auf diese Art einen Lockdown verhindern und die erste pandemische Welle trotzdem eindämmen. Daraus schließt Drosten, dass die "gezielte Eindämmung von Clustern anscheinend wichtiger ist als das Auffinden von Einzelfällen durch breite Testung".
Um das Gesundheitssystem bei der nächsten Welle also nicht zu überfordern, fordert Drosten, gezielter auf mögliche Clusterfälle zu reagieren:
Was können wir tun, um dem Gesundheitsamt bei Verdacht auf Corona die Arbeit zu erleichtern, mögliche Cluster zu erkennen? Drosten schlägt vor, ein Kontakttagebuch zu führen. So könnten Quellcluster schnell erkannt werden, wie zum Beispiel Fußballspiele, Feiern im Großraumbüro oder Schulunterricht.
"Die Mitglieder eines Quellclusters müssen sofort in Heimisolierung", sagt Drosten. "Viele davon könnten hochinfektiös sein, ohne es zu wissen. Für Tests fehlt die Zeit. Politik, Arbeitgeber und Bürger müssen dies erklärt bekommen."
Die Übertragung des Coronavirus vollständig zu beobachten, ist nicht möglich, das ist einleuchtend. Mit dem japanischen Modell könnte allerdings zumindest das Schlimmste verhindert werden – und das Gesundheitssystem vor dem Kollabieren gerettet werden können.
Setzen wir unsere bisherigen Erkenntnisse allerdings geschickt ein und lernen auch von anderen Ländern, die die Pandemie erfolgreich bekämpft haben, kommen wir im besten Fall ohne zweiten Lockdown aus, sagt auch Drosten.
(ak)