Auf dem Catwalk: Model protestiert gegen Guccis Zwangsjacken-Look
Nicht alles, was man auf den Catwalks in Paris, Mailand und Co. sieht, würde man sich zwangsläufig selbst in den Schrank hängen wollen. Mode ist Kunst, und viele Kleidungsstücke werden nur dafür designt, einmal einen Laufsteg auf- und abzuschweben. Aber wo endet die Kunst, wo fängt das Verwerfliche an?
Diese Frage wirft derzeit das Model Ayesha Tan-Jones auf, die während der "Spring/Summer 2020"-Modenschau von Gucci in stillem Protest gegen die 89 Looks umschließende Kollektion des Designers Alessandro Michele demonstrierte.
Was war an der Kollektion so protestwürdig?
Angefangen mit dem Laufband, auf dem die Models reglos standen und auf dem sie am Publikum vorbeigefahren wurden wie Roboter in einer Fabrik, sorgten insbesondere
die Outfits für Stirnrunzeln: Weiß von Kopf bis Fuß, ähnelten sie Zwangskleidung, wie man sie aus Nervenheilanstalten kennt. Bei der deutlichen Ähnlichkeit sollte es aber nicht bleiben, denn auch tatsächliche Zwangsjacken fuhren hier über den Laufsteg.
Das Model Ayesha Tan-Jones, das für Gucci in eines dieser Outfits schlüpfte, sah den Zwangsjacken-Look kritisch – und schrieb sich daher "Mental health is not fashion" ("Geistige Gesundheit ist keine Mode") auf die Handflächen, die es hob, sobald es den fahrenden Laufsteg betrat.
Zahlreiche Fotografen – und natürlich das mit Smartphones bewaffnete Publikum – hielten Tan-Jones' Auftritt auf Bild und Video fest. Das Model selbst postete daraufhin diverse Aufnahmen davon auf seinem Instagram-Account und schrieb ein langes Statement dazu, warum es sich dazu entschieden hatte, auf diese Art gegen Guccis Kollektion zu protestieren:
Als Künstler und Model mit eigenen Erfahrungen mit psychischen Problemen [...] empfinde ich es als verletzend und unsensibel von einem großen Modehaus wie Gucci, solche Symbolik zum Konzept eines flüchtigen Mode-Moments zu machen.
Viele Menschen mit geistigen Problemen haben im Beruf und Alltag noch immer unter den damit verbundenen Stigmata zu leiden, und viele betrachten geistige Krankheiten noch immer nicht als 'echt', weil sie nicht zwangsläufig sichtbar sind.
Zwangsjacken stehen symbolisch für eine grausame Zeit der Medizingeschichte, in der geistige Krankheiten nicht verstanden wurden und Betroffene Rechte und Freiheiten verloren, während sie in solchen Institutionen gefoltert und gequält wurden.
Es ist geschmacklos von Gucci, die Symbolik von Zwangsjacken und Kleidungsstücken zu verwenden, die an Patienten in Heilanstalten erinnern, und das Ganze dann wie in einer Fleischfabrik auf einem Laufband auszurollen.
Solche Kleidung als Requisiten zu verwenden, um in der heutigen kapitalistischen Welt daraus Profit zu schlagen, ist vulgär, einfallslos und beleidigend für die Millionen von Menschen weltweit, die an geistigen Krankheiten leiden."
Gucci selbst hat sich zu der Protestaktion bisher nicht geäußert, ...
... allerdings postete das Modelabel auf seinem Instagram-Account ein Foto von der Fashion Show, versehen mit folgender Erklärung für die kontroversen Looks (deutsche Übersetzung darunter):
Ein nicht verkäufliches "Statement" sollten diese Outfits also sein – allerdings eines, das nur in dieser Instagram-Caption erklärt wurde. Für den uninformierten Betrachter sah es während der Fashion Show hingegen danach aus, als wolle Gucci mit dieser Kollektion eben nicht auf "auferzwungene Uniformen der Gesellschaft" aufmerksam machen, sondern ganz konkrete Zwangsuniformen – in dem Fall die einer Nervenheilanstalt – zum Frühlings-/Sommertrend '20 machen. Und das, so dürfte jeder zustimmen, hat mit "Fashion" definitiv nichts mehr zu tun.