Es ist verdammt laut und noch heißer an diesem Samstag in der Stadt aus Eisen. Auf dem Ferropolis-Gelände bei Gräfenhainichen findet in diesen Tagen zum dritten Mal (und zum 26. Mal insgesamt) das Full-Force-Festival statt. Dort spielen Bands wie Parkway Drive, While She Sleeps oder Arch Enemy.
Wir haben Alissa White-Gluz, die Sängerin vom Samstag-Abend-Headliner Arch Enemy, auf dem Festival getroffen und sie einen Tag lang begleitet. Alissa ist als Vegetarierin aufgewachsen und lebt seit 20 Jahren vegan. Für viele Menschen in der Szene ist sie – auch aufgrund der Werte, die sie verkörpert, ein Vorbild: Tierschutzaktivistin, Veganerin, Karrierefrau.
Das Interview ist Teil eines Video-Porträts, das watson beim Full-Force-Festival 2019 gedreht hat. Wir haben Alissa einen Tag lang backstage auf dem Festival begleitet – vom Make-up bis auf die Bühne, wo Arch Enemy am Samstag als Headliner gespielt haben. Das ganze Video kannst du am Dienstag auf watson sehen.
watson: Alissa, warum lebst du vegan?
Alissa White-Gluz: Vegan zu leben, zahlt sich für mich total aus. Mein Leben als Tour-Musikerin ist extrem anstrengend, das ist, wie wenn du Profi-Sportlerin bist. Meine Ernährung hilft mir, bei meiner Performance jeden Abend 1000 Prozent geben zu können.
Du bist in einer vegetarischen Familie aufgewachsen. Wann hast du beschlossen, vegan zu leben?
Als ich ungefähr 13 Jahre alt war. Der Grund: Ich schaute mir die Milch- und Ei-Industrie genauer an und realisierte, dass dort die Tiere genauso verletzt werden wie in der Fleischindustrie. Deshalb habe ich damals, das muss so 1998 gewesen sein, entschieden, dass ich diese Produkte nicht länger konsumieren will. Das habe ich seitdem nicht getan und das werde ich auch den Rest meines Lebens machen.
Viele denken, dass es sehr schwierig ist, vegan zu Leben. Was sagst du diesen Menschen?
Es geht einfach darum, deine Gewohnheiten zu ändern. Klar, es ist eine Veränderung und Veränderungen können ziemlich hart sein. Aber heutzutage ist es ziemlich einfach, viel einfacher als noch vor 20 Jahren, als ich vegan wurde. Inzwischen gibt es für alles, was man mag und konsumiert, vegane Alternativen. Egal ob Make-up, Schuhe oder Käse.
Welchen Ratschlag würdest du jemandem geben, der vegan leben möchte, aber noch mit sich hadert?
Es gibt meistens drei Gründe, aus denen Menschen beschließen, vegan zu werden: Das ist entweder die eigene Gesundheit oder der Tierschutz, beziehungsweise die Rechte von Tieren, oder der Umweltschutz. Deshalb würde ich jedem raten, sich den Grund zu suchen, der am besten für dich funktioniert. Das wird dann auch funktionieren, weil es sehr motivierend ist.
Als Tour-Musikerin ist es Teil deines Jobs, viel zu reisen. Wie managest du es dort, vegan zu leben?
Als ich vegan wurde, war ich noch in der Highschool. Aber kurze Zeit später wurde ich Tour-Musikerin. In Ländern, wo man die Sprache nicht spricht, wie zum Beispiel in China, da war es damals ein bisschen schwierig. Auch einfach aus dem Grund heraus, dass es schwer war, die Idee dahinter zu erklären. Dort kannte man das Konzept des Vegetariers, nicht aber das des Veganers. Also habe ich mir einfach mit Obst und Gemüse in roher Form beholfen. Da wusste ich genau, was ich bekomme, und dass darin keine tierischen Inhalte enthalten sind.
Was hat sich seitdem verändert?
Heute ist das so viel einfacher. Es gibt überall vegane Optionen und sogar Labels, die dir beim Einkauf helfen – auch wenn du dich in einem anderen Land befindest und dort die Zutaten nicht lesen kannst. Dann schaue ich einfach nach dem grünen 'V' und weiß, dass ich das kaufen kann.
Du musst auch viel reisen und bist viel mit dem Bus und dem Flugzeug unterwegs. Wie passt das zu deiner Lebensweise?
Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass Veganismus keine Religion ist und wir nicht versuchen wollen, jemanden zu indoktrinieren. Es geht darum, zu versuchen, den kleinstmöglichen Schaden anzurichten. Für meinen Job ist es notwendig, dass ich viel reise. Natürlich denke ich darüber nach. Deshalb versuche ich, in meinem Alltag so bewusst wie möglich zu leben und dort alles zu vermeiden, was Schaden anrichtet. Das ist für jeden dasselbe: Wenn du einen Job hast, der etwas von dir verlangt, das nicht zu deinen eigenen Standards passt, dann ist das nicht das Ende der Welt. Du gibst trotzdem dein Bestes. Niemand verurteilt dich, wenn du etwas tust, was nicht zu deinen Standards passt, weil es wichtig für deine Karriere ist, oder weil es lebensnotwendig ist wie Medikamente. Essen, Kosmetik, Kleidung hingegen: All das kannst du kontrollieren.
Es gibt viele Menschen, die Veganern und auch Vegetariern vorwerfen, sie würden predigen. Was sagst du denen?
Ich bin seit den 90ern vegan. Wenn jemand also erst jetzt davon genervt ist, dann ist es, weil es ihm jetzt erst auffällt, nicht, weil ich seit 20 Jahren predige. Ich weiß, dass es aber heutzutage vielen Menschen so vorkommt. Denen rate ich dann: Wenn du das nächste Mal an einem Flughafen oder in einem Einkaufscenter bist, mach dir Notizen. Schreib dir auf, wie viel Werbung du an Gebäuden, auf Bussen oder in Schaufenstern siehst. Du wirst feststellen: Die meisten davon, wenn nicht alle, machen Werbung für Tierprodukte, wie McDonald's-Burger, Lederschuhe oder Pelze. Werbung für vegane Produkte wirst du nicht sehen. Eigentlich ist es also genau andersherum. Veganer werden jeden Tag mit Werbung und Marketing von Firmen und Produkten, mit denen wir nicht einverstanden sind, bombardiert. Wir sind diejenigen, zu denen gepredigt wird.