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Verhütung für Männer: Dieses Verhütungsmittel gibt es sogar ohne Hormone

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Verhütung ist in Hetero-Beziehungen auch im Jahr 2024 oft noch Frauensache. Bild: imago images / imagebroker
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Verhütung für Männer – wie Doppelstandards die Gleichberechtigung blockieren

05.01.2024, 20:14
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Franka Frei ist nicht nur Journalistin, Autorin und Menstruations-Aktivistin (2020 erschien ihr Sachbuch "Periode ist politisch. Ein Manifest gegen das Menstruationstabu"). Sie kämpft auch gegen die ungleiche Last der Verhütung. In ihrem neuesten Buch "Überfällig: Warum Verhütung auch Männersache ist" traf sie Forschende, Aktivist:innen und Männer, die auf eigene Faust verhüten.

Franka Frei spricht mit watson darüber, warum bei der Verhütung Doppelstandards zwischen Männern und Frauen existieren und welche Verhütungsmittel es bereits für Männer gibt.

Watson: Frau Frei, es gibt immer wieder Meldungen, dass bald eine Pille für den Mann kommt. Aber wann denn nun?

Franka Frei:
In meinen Recherchen bin ich ein bisschen pessimistisch geworden, denn solche Artikel gibt es schon sehr lange. Ende der 70er kamen schon ähnliche Meldungen, die das Bild vermittelten, wir stünden in Sachen Pille für den Mann kurz vorm Durchbruch. Sogar eine Art nebenwirkungsfreie Pille. Nicht-hormonell wird immer so großgeschrieben, es heißt, das sei der bessere Shit.

Und ist es etwa nicht?

Wir dürfen nicht vergessen: Kein Medikament kommt ohne Nebenwirkungen daher. Und anders als bei hormonellen Methoden lassen sich bei nicht-hormonellen Methoden die Nebenwirkungen schwer abschätzen. Wir haben da ein paar Beispiele aus der Vergangenheit, die zeigen, dass das ziemlich gefährlich werden kann. Es wurde in den 70er Jahren mit einem natürlichen Insektizid herumexperimentiert.

Insektizid? Das hört sich gefährlich an....

Da wurden 12.000 Männer in China unter eine nicht-hormonelle Pille für den Mann gesetzt. Im Nachhinein wurden viele davon dauerhaft unfruchtbar. Und in den Fünfzigern wurde Männern eine Pille verabreicht, die in Kombination mit Alkohol zu teils lebensgefährlichen Risiken führte – schon in geringsten Mengen. Wir wissen nie, was passiert, wenn wir ein unbekanntes Mittel zur Verhütung testen. Damit es keine unerwünschten Nebenwirkungen gibt, muss doppelt so streng geguckt werden.

Franka Frei setzt sich dafür ein, dass sich mehr Männer mit Verhütung beschäftigen – auch mit ihrer eigenen..
Franka Frei setzt sich dafür ein, dass sich mehr Männer mit Verhütung beschäftigen – auch mit ihrer eigenen.. bild: Linda Rosa Saal

Und warum gibt es dann nicht einfach hormonelle Verhütungsmittel für Männer?

Da kommen wir zu einem anderen Problem. Es könnte längst ein der Pille sehr ähnliches, hormonelles Mittel für Männer geben. Allerdings gibt es in der Medizin eine Regelung, die besagt, dass eine Verhütungsmethode für den Mann so gut wie keine Nebenwirkungen haben darf. Medizinethisch wird das legitimiert, in dem man sagt: Heterosexuell aktive Menschen mit Uterus tragen ständig das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft mit sich. Die Gefahr, schwanger zu werden, wird so ähnlich betrachtet wie das Risiko einer Krankheit, die ausbrechen könnte. So gesehen wird die Pille zum Präventionsmittel, das Schlimmeres vermeidet.

Bitte was? Das klingt absurd!

Ja, ich weiß. Dieselben Nebenwirkungen, die bei Menschen, die schwanger werden können, toleriert werden, gelten bei Menschen mit Hoden als unzumutbar. Akne, Libidoverlust oder sogar das Risiko, an Thrombose zu erkranken, seien unterm Strich immer noch weniger schlimm als die gesundheitlichen Risiken einer Schwangerschaft, heißt es. Für Männer lautet die Logik hingegen: "Das sind vollständig gesunde Menschen, denen man ein Medikament gibt, von dem sie Nebenwirkungen erleiden." Diese Sicht muss reformiert werden, sonst wird das mit einer Art Pille für den Mann, egal ob hormonell oder nicht-hormonell, nie was.

"Es gibt viel zu wenig Ärzt:innen, die sich mit männlicher Verhütung beschäftigen."

An welchen Stellschrauben müsste man da ansetzen?

Mehr Aufklärung – in Schulen, durch Bücher oder Bildungsangebote für Erwachsene und Mediziner:innen. Die meisten Ärzt:innen haben noch nie davon gehört, dass es möglich ist, als Mensch mit Spermien durch Wärme zu verhüten und raten erst mal davon ab, dabei wird diese Methode schon seit den 70ern angewendet. Insgesamt gibt es viel zu wenig Ärzt:innen, die sich mit männlicher Verhütung beschäftigen. Dadurch fehlt es an Anlaufstellen und Forschung. Gleichzeitig verhüten immer mehr Männer auf eigene Faust mittels einfachen Wärmemethoden, zum Beispiel per nicht-hormonellem Silikonring.

Es gibt schon ein paar Studien, aber die reichen nicht aus, um Mittel wie den AndroSwitch als Verhütungsmittel auf den Markt zu bringen. Die Zulassungskriterien sind streng, Studien teuer und umständlich. Die Pharmaindustrie errechnet sich kein lukratives Geschäft. Klar, die Pille verkauft sich prächtig und die Wärmemethode ist zu einfach, als dass damit viel Profit gemacht werden kann. Wenn der Markt das nicht von alleine regelt, muss der Staat handeln. Im Koalitionsvertrag steht zwar: "Wir wollen geschlechtergerechte Verhütung fördern", aber bislang ist daraus nichts geworden.

Also gibt es wenig Hoffnung für die Frauen?

Wir können uns noch die nächsten 50 Jahre lang über Pille und Co. beschweren. In Sachen Verhütung wird sich nichts ändern, wenn nicht auch Männer sich aktiver dafür einsetzen.

Wie können Männer das unterstützen?

Sich mit dem Thema beschäftigen und sensibler werden. Verhütung ist eben nicht nur Frauensache. Sich fragen: Wie kann ich meine Partnerin unterstützen? Sei es durch mehr Gespräche oder Kostenaufteilung. Dazu kommt die Möglichkeit, sich über den AndroSwitch zu informieren und ihn auszuprobieren. Online findet er sich als Talisman. Alternativ kann man sich auch selbst eine Verhütungsunterhose nähen. Dazu gibt es auf meinem Instagram eine Bastelanleitung.

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Verhütungs-Unterhose, Silikon-Ring: Das klingt alles wenig vertrauenserweckend...

Bisher gab es mehr als 13 Studien und Zehntausende Anwendende. Risiken sind nicht bekannt. Der Ring wird tagsüber über Penis und Hoden getragen, dadurch erwärmen sich die Hoden auf Körpertemperatur, weil sie nicht mehr im Hodensack gekühlt werden. Längerfristig setzt so die Spermienproduktion vorübergehend aus. Dazu ist aber wichtig, dass man vorher einmal bei einem Urologen war und sich mittels einer Sperma-Analyse durchgecheckt hat.

"Verhütung macht keinen Spaß, Verhütung ist unangenehm. Das, was Spaß macht, ist Sex ohne ungewollte Konsequenzen."

Glaubst du wirklich, dass viele Männer so verhüten würden?

Das kommt auf die Methode an. Letztendlich ist aber alles Gewöhnungssache. Vor allem unter Männern unter 26 ist die Bereitschaft, selbst zu verhüten, enorm hoch. Laut einer Umfrage aus den USA liegt sie bei über 80 Prozent. Mich schreiben regelmäßig Männer an, die Interesse am AndroSwitch haben, aber keine Urolog:innen kennen, die sie bei der Nutzung betreuen können. Leider kommt bisher zu wenig Unterstützung aus der Medizin.

Inwiefern?

Viele Ärzte sagen: "So ein Ring um den Hoden, ist das nicht unangenehm?" Ja, das Einsetzen meiner Spirale war auch kein Spa-Besuch. Verhütung macht keinen Spaß, Verhütung ist unangenehm, teuer und lästig. Das, was Spaß macht, ist Sex ohne ungewollte Konsequenzen. Und den wollen nicht nur Frauen. Die Ringnutzung auf eigene Faust bringt einen Stein ins Rollen: Je mehr Männer den Ring nutzen, desto weniger können Medizin und Politik das Thema ignorieren. Die Bewegung aus Frankreich schwappt immer mehr nach Deutschland und wächst rasant. Mittlerweile sind mehr als 20.000 Ringe im Umlauf. Es gibt Telegram-Gruppen und regelmäßige lokale Vernetzungstreffen, in denen sich über den Ring und Besuche bei Urolog:innen ausgetauscht wird.

Sind Männer es am Ende einfach nicht gewohnt, dass sie man in den intimen Bereich ihres Körpers eingreift?

Ganz sicher. Als Frau lernte ich früh, einmal im Jahr zur Vorsorge zu gehen. Bei Männern fehlt die Infrastruktur, eine Art Pendant zur Gynäkologie. Von der Andrologie haben die meisten noch nie gehört, geschweige denn sie aufgesucht. Dabei wären regelmäßige Gesundheitschecks unterhalb der Gürtellinie auch für Menschen mit Penis und Hoden sehr gut – und das längst nicht nur zur Verhütung.

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