Ein neues Jahr ohne Vorsatz ist wie Modern Talking ohne Thomas Anders – vorstellbar, aber irgendwas fehlt dann doch. Und so nehmen sich jedes Jahr zur Jahreswende Menschen haufenweise etwas vor, um sich nach wenigen Wochen einzugestehen, wieder einmal mit den Vorsätzen gebrochen zu haben.
Warum klappt es so selten mit den Vorsätzen? Und was kann man tun, damit es funktioniert? Autor und Psychologe Sebastian Bartoschek weiß Rat.
watson: Warum nehmen sich Menschen gerade zum Jahreswechsel etwas vor?
Sebastian Bartoschek: Beim Jahreswechsel haben die Menschen das Gefühl, dass etwas Neues beginnt. Und mit dem Neubeginn soll es dann eben auch besser werden. Viele Menschen beginnen am Ende des Jahres zu reflektieren. In dieser Zeit gehört es fast schon traditionell dazu, dass man sich irgendetwas vornimmt. Bei den Einen ist es ein ernsthaftes "Okay, hier ändere ich jetzt was". Andere machen es, weil Vorsätze irgendwie auch zum sozialen Mindset unserer Gesellschaft gehören.
Ist das auch so eine Art Versuch, Kontrolle über das Leben zu bekommen – beziehungsweise zurückzubekommen?
Psychologisch gesehen, geht es eher um Fragen von Selbstoptimierung: sich selbst besser zu finden, sich selbst besser zu machen. Es geht darum, mehr dahin zu kommen, wohin man eigentlich möchte, beziehungsweise dorthin, wohin man glaubt, kommen zu müssen. Oft sind es Dinge, die vielleicht längst überfällig sind: Sport, Abnehmen, Ernährungsumstellung. Und dann ist da dieses Datum und man denkt sich: "Vielleicht ist das der Moment, indem ich zu einem besseren Selbst finden kann."
Das bessere Selbst geht in der Regel schnell wieder verloren: Die meisten Vorsätze erleben den Februar nicht. Warum scheitern sie?
Weil die Vorsätze meist völlig unrealistisch sind. Wir kennen das aus der Zielsetzungstheorie: Ziele sollten immer ein kleines Stück über dem sein, was man im Moment sowieso schon macht.
Wenn ich mir jetzt vornehme, fünf Mal die Woche ins Sportstudio zu gehen, dann weiß ich genau, das ziehst du nicht durch. Die Frage ist immer: Kriege ich das konkret und hinreichend in meinen Alltag integriert? Ziele sollten aber auch nicht zu niedrig angesetzt werden. Wenn ich mir jetzt vornehmen würde, statt 20 Zigaretten 19 zu rauchen, dann ist das kein gutes Ziel.
Also, realistische Ziele stecken, kleine Schritte machen, aber bitte nicht zu klein…
Richtig. Die erste Frage sollte immer sein: Mache ich das wirklich für mich oder für jemand anderen? Und die zweite: Kriege ich das realistisch in meinem Berufsalltag umgesetzt? Und wenn ich beide Fragen positiv beantworten kann, dann können Vorsätze gelingen. Ansonsten sind sie relativ schnell zum Scheitern verurteilt.
Dann gibt es Ziele, die werden gesteckt, weil man glaubt, sie sich stecken zu müssen. Gibt es beim Vorsätzefassen eine Art Mitläufereffekt?
Ich würde es soziale Erwünschtheit nennen. Wenn sich alle tolle Sachen vornehmen, dann führt das oft zu völlig unrealistischen Zielen.
Aber es ist ja Silvester und man nimmt sich was vor.
Es gibt die klassischen Vorsätze: Mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport machen oder abnehmen. Dann gibt es Menschen, die nehmen sich vor, sich zu verlieben…
Das halte ich für einen schwierigen Vorsatz. Der kann dann funktionieren, wenn ich mich konkret frage, warum ich mich bisher auf niemanden eingelassen habe. Dann komme ich vielleicht zu der Erkenntnis, dass ich zu hohe Erwartungen gehabt oder mir selbst immer zu hohe Hürden gebaut habe. Ziele sollten ja konkret und spezifisch sein. Lieben oder sich zu verlieben ist ja eher der Endzustand.
Was also tun?
Sinniger wäre ein spezifisches Ziel nach dem Motto: "Ich werde kleine Schritte gehen, ich werde nach den ersten Dates keine grundsätzlichen Überlegungen anstellen." Das heißt, je kleinteiliger, je konkreter ich das mache, umso wahrscheinlicher ist, dass ich das Ziel erreiche. Das Problem ist vielleicht auch, dass Menschen das Ergebnis, also den Zielzustand, mit dem Weg dorthin verwechseln.
Heißt?
Die Aussage zum Beispiel "Ich will gesünder sein im nächsten Jahr" würden viele unterschreiben. Aber was heißt das konkret? Wie komme ich dorthin? Es ist die eigentliche Aufgabe, sich zu fragen: "Wo in meinem Leben sind die ungesunden Faktoren, die ich relativ gut vermeiden kann?"
Das heißt, ich soll mir gar nicht vornehmen, gesünder zu leben, sondern ich nehme mir konkret vor, montags Erbsen zu essen und mir freitags Ingwer in den Tee zu schneiden…
Genau. Oder beispielsweise freitags kein Fleisch mehr zu essen. Das ist kontrollierbar, das kann ich abhaken und kann prüfen, ob ich mich daran gehalten habe oder nicht.
Vielleicht ist das der Grund, warum es so ungern gemacht wird. Es klingt auch nicht so toll, wenn ich auf der Silvesterparty sage, ich esse jetzt montags Erbsen. Da klingt der Vorsatz "Ich werde gesund leben" dann erstmal schöner.
Welchen Vorsatz haben Sie in diesem Jahr gebrochen?
Den Vorsatz, den ich für dieses Jahr gefasst hatte, den hatte ich leider auch schon öfter: mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Ich habe wirklich versucht, es in diesem Jahr durchzuziehen, in dem ich beispielsweise in meinem Kalender jedes zweite Wochenende komplett für die Familie geblockt hatte. Ich musste aber feststellen, dass das ein unrealistisches Ziel war. Vielleicht ist es besser, das Zeitfenster von vornherein kleiner zu planen, aber dann die wenige Zeit bewusst intensiv zu erleben und nicht mit dem Kopf woanders zu sein.
Es ist zumindest beruhigend, dass auch der Psychologe an Vorsätzen scheitert…
Wenn wir Psychologen immer das umsetzen könnten, was wir anderen erzählen, dann wären wir Heilige.
(ts)