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Hate Speech: Wann Hassrede strafbar ist und wie du dich wehren kannst

Asian girls are sitting stressed studying online with a tutor on a laptop while sitting in the bedroom at home night. Concept online learning at home
Hass im Netz zu begegnen, ist in den Sozialen Medien fast schon Alltag.Bild: iStockphoto / sorrapong
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Digitaler Hass: So kannst du dich gegen Hate Speech im Internet wehren

12.07.2023, 08:1312.07.2023, 17:10
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Wer sich im Internet bewegt, wird ziemlich wahrscheinlich mit Hate Speech in Berührung kommen – als Opfer oder Zeuge.

Beleidigungen, Drohungen und Hass sind im Internet trauriger Alltag, ganze 24 Prozent haben sie laut einer Studie der Strafrechtlerin Elisa Hoven von der Universität Leipzig schon einmal am eigenen Leib erlebt.

Oft richtet sich die digitale Gewalt gegen Frauen, bei Anzeigen der User:innen passiert meist wenig. Manchmal schwappt der Hass auch aus dem Netz ins echte Leben über – mit Drohungen per Post, Hausfriedensbruch oder Belästigungen der Opfer. Im Fall der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr führte Hate Speech sogar zu ihrem Selbstmord.

Watson spricht mit Juliane Chakrabarti. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins gegen Hate Speech "Ich bin hier" und weiß, wie man mit Online-Hass am besten umgeht.

Juliane Chakrabarti ist Erziehungswissenschaftlerin und seit 2017 Mitglied des Vereins "Ich bin hier".
Juliane Chakrabarti ist Erziehungswissenschaftlerin und seit 2017 Mitglied des Vereins "Ich bin hier".bild: icbhinhier e.V. / frank siemers

Watson: In Ihrem Verein "Ich bin hier" schreiben bis zu 40.000 Menschen ehrenamtlich gegen Hass im Netz. Wie sieht diese digitale Zivilcourage aus?

Juliane Chakrabarti: Nicht alle Menschen verbreiten und teilen Hassnachrichten im Netz, nur ein kleiner Teil. Gleichzeitig wird nur ein kleiner Teil auch dagegen aktiv. Um diese Vielen, die stillen Mitlesenden, zu erreichen und zu zeigen, dass es richtig ist, sich dagegen zu wehren, müssen wir die ansprechen. Es ist so ähnlich wie diese Notruf-Hotlines für Gewalt gegen Frauen. Bei der Werbung dafür stehen auch immer Tipps, wie zum Beispiel: Sprich die Polizei an oder dokumentiere den Vorfall oder sag: "Sie da in der roten Jacke, helfen Sie doch mal!" Das sind alles Sachen, die man auch digital tun kann, um Opfer zu unterstützen. Die brauchen natürlich immer ein bisschen Mut.

"Wenn man tatsächlich entscheidet, aktiv zu werden, würde ich immer erst mal mehr Unterstützer:innen suchen."

Haben Sie Tipps dafür, wie man sich verhalten sollte, wenn man selber Opfer von Hate Speech wird?

Es kommt darauf an. Wenn ich einen professionellen Account habe, kann ich ja gar nicht so richtig raus. Das ist ja auch ein Arbeitsmittel. Aber wenn ich einfache:r User:in bin, wäre der allererste Punkt, sich zu fragen: Will ich überhaupt auf dieser Plattform bleiben? Will ich Selbstschutz betreiben oder will ich aktiv werden? Das ist eine bewusste Entscheidung.

Hilfe bei Hate Speech
Wenn du Opfer von Hass im Internet bist, kannst du dich bei der Organisation Hate Aid melden, die dich unterstützt oder den Kommentar (auch anonym) melden.

Und wenn man aktiv werden will?

Wenn man tatsächlich entscheidet, aktiv zu werden, würde ich immer erst mal mehr Unterstützer:innen suchen. Allein auf weiter Flur zu sein, ermüdet schnell. Wir wissen aus unserer Vereinsgeschichte, dass es nur wenige, aber hochaktive und sehr laute Kommentator:innen sind, die aktiv Hassrede betreiben. Aber die schrecken natürlich nicht davor zurück, Menschen anzugreifen, auch Menschen, die jemandem unterstützend zur Seite springen. Da sollte man schauen: Wer sind die Vielen, die auf meiner Seite sind und mit denen ich mich zusammenschließen kann?

Wie kann man sich noch schützen?

Der zweite Punkt wäre, zu prüfen: Was habe ich in meinem Profil stehen, womit ich Angreifer:innen auf mich aufmerksam machen könnte? Ist mein Profil geschlossen oder können andere Leute meine Freundesliste sehen? Überleg dir, ob du Fotos von deinen Freund:innen oder von deinen Kindern im Netz hast. Denk darüber nach, ob deine Adresse herauszufinden ist oder wo du dich gerne mit Freund:innen triffst. Das alles sind Schutzmaßnahmen, die nicht besonders groß oder mühselig sind, aber die helfen schon, zu sagen: "Ich habe auch für mich einen sicheren Platz". Vorher geht man Gegenrede oder andere Maßnahmen vielleicht besser gar nicht an.

Sollte man solchen Kommentaren überhaupt antworten, oder sie lieber gleich melden?

Man muss überlegen, ob man solche Kommentare weiterverbreiten will. Immer, wenn ich einen Kommentar beantworte, verbreite ich auch dessen Inhalt. Vielleicht reicht es ja zu schreiben: "Liebe Online-Redaktion, überlegt doch mal, ob ihr eure Seite nicht moderieren wollt. Das, was hier geschrieben wird, geht gar nicht." Das sind Möglichkeiten, zu sagen, ich bin damit nicht einverstanden, ohne dass man auf diesen Kommentar direkt eingeht. Wenn man weiter aktiv bleiben will, könnte man natürlich immer den User:innen oder den Hasskommentar melden oder sogar Strafanzeige erstatten. Dazu muss man den Kommentar rechtssicher dokumentieren, Anleitungen dazu gibt es bei "Hate Aid".

"Wir fordern, dass Polizisten dafür [Strafanzeigen gegen Hate Speech] besser ausgebildet werden."

Wie effektiv sind Meldungen? Machen die User sich nicht einfach schnell wieder ein neues Profil?

Eine Meldung ist nicht immer sehr erfolgreich. Aber es gibt das Netzdurchsetzungsgesetz und im Digital Service Act, der im nächsten Jahr in Kraft steht, ist auch vorgesehen, dass man richtig nach rechtlichen Vorgaben melden kann. Dann müssen die Portale es ein bisschen ernster nehmen.

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Oft bleiben selbst Strafanzeigen gegen Hate Speech erfolglos, wie auch eine Böhmermann-Sendung zeigte...

Wir fordern als Organisation, dass Polizisten dafür besser ausgebildet werden. Zum geplanten Gewaltschutzgesetz sagen viele Organisationen, dass es eine bessere Sensibilisierung der Menschen geben muss, die sich beruflich damit beschäftigen, Anzeigen aufnehmen und die Betroffenen beraten. Es braucht auch einen stärkeren Beratungsansatz, weil es für Betroffene immer bedeutet, ein Stück weit aus der Privatheit rauszugehen und sich mit Scham auseinanderzusetzen. Das ist ein Schritt, der Überwindung kostet.

Viele Plattformen werden nicht moderiert.
Viele Plattformen werden nicht moderiert. Bild: iStockphoto / asiandelight

Sollte man überhaupt auf jeden Kommentar antworten?

Also jemanden, der davon überzeugt ist, dass Putin sich gegen Faschist:innen wehrt oder dass die Impfung uns einen Chip implantiert, werde ich nicht erreichen. Den erreiche ich auf der Straße nicht und den erreiche ich im Netz nicht. Der macht nur Stress und es ermöglicht ihm mit seiner etwas krausen Ansicht eine größere Reichweite, weil ich mich auf eine Debatte einlasse. Aber alle anderen ringsum, hören: "Aha, das ist jetzt keine Mehrheitsmeinung."

"Gegenrede oder Kommentieren muss mit kühlem Kopf und nicht mit heißem Herzen passieren."

Wie wäre die beste Antwort auf einen Hasskommentar?

Wir sagen immer in unseren Bootcamps oder Vorträgen: Gegenrede oder Kommentieren muss mit kühlem Kopf und nicht mit heißem Herzen passieren. Schon aus Selbstschutz. Aber ich will ja auch jemanden tatsächlich erreichen und überzeugen. Das ist so wie bei einer Schlägerei auf dem Schulhof. Wenn zwei sich kloppen und ich will deeskalierend sein, dann nützt das nichts, wenn ich mich selber ins Getümmel schmeiße und krieg dann auch eine verpasst. Deeskalieren geht tatsächlich nur, indem man wirklich überlegt: Was ist jetzt richtig? Sonst bin ich ja ganz schnell Teil des Gewusels und kann nicht mehr klar und sicher agieren.

Wie bereiten Sie Ihre Mitglieder auf diese Tätigkeit vor?

Wir haben in unserer Gruppe Leitfäden erstellt und vieles ist durch Übung entstanden. Aber wenn man jüngere Menschen erreichen will, dann muss man auch kurze Videos machen. Als wir 2016 angefangen haben, waren viele unserer Mitglieder getrieben von dem Thema Flucht, weil da Hass und Hetze so groß war. Seitdem sind so viele neue Themen dazugekommen. Nehmen wir zum Beispiel die identitätspolitischen Debatten, den Krieg in der Ukraine, die Impfdebatte. Es hört sich ein bisschen blöd an, wenn ich sage, Hass zu kontern ist vergleichsweise einfach. Aber wenn man selber keine klare Meinung hat oder Fake News dekonstruieren will, braucht es auch spezifisches Wissen. Das sind natürlich alles Fragen, die unsere Mitglieder umtreiben.

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