"Jetzt müssen wir nur noch gucken, was wir mit J. machen", verkündete Laura, und ich schaute irritiert zu ihr herüber. Wir saßen vor einem Ferienhaus irgendwo in Süddeutschland, Bierflaschen in den Händen, und glotzten in den Sternenhimmel. Es war Lauras Junggesellinnenabschied. Und J., die Bemitleidenswerte, war schon im Bett.
J., die Single-Freundin.
Dass J., oder eine andere Single-Frau, über kurz oder lang als jemand wahrgenommen wird, die "übrig geblieben" ist, die "zu hohe Ansprüche" hat, die schrecklich einsam sein muss und die daher von geballter Freundinnen-Power aus dieser tragischen Misere befreit werden sollte – und sei es nur, indem man ihr den ebenfalls "übrig gebliebenen" Kollegen zuschustert – ist leider kein Einzelfall.
Vor allem Single-Frauen haben keinen guten Ruf
Singles haben keinen guten Ruf. Vor allem Single-Frauen nicht. Und wenn sie die "30" überschritten haben, wird ihr Dasein erst recht als verpfuscht wahrgenommen. Die Uhr tickt, das Leben läuft davon und die Umgebung fragt: Kein Mann, kein Kind? Was machen wir nur mit ihr?
Das zumindest ist die go to-Schablone, mit der Single-Frauen wahrgenommen werden. Ob diese Schablone deren Leben gerecht wird? Ob es wirklich einen Mann braucht, damit eine runde Sache aus einem Frauenleben wird? Ob ein Leben nicht ganz andere Geschichten hergibt als die tragischen Vermutungen von Bald-Bräuten?
Ja, klar tut es das. Aber diese anderen Geschichten bleiben eben oftmals hinter dem Betroffenheitsgeheische der sich sicher-verpartnert Wähnenden verborgen. Dass J. am Abend des Junggesellinnenabschieds schon im Bett war, weil sie schlicht keine Lust mehr auf die ständigen Nachfragen nach ihrem Liebesleben hatte? Das sie nämlich einen beneidenswert coolen Job hat, viel rumkommt, einen großen Freundeskreis hat und abendfüllend von diesem spannenden Leben erzählen kann?
Diese Geschichten werden ausgebremst – von wohlmeinenden Freundinnen, aber ebenso von einer Gesellschaft, die auch im Jahr 2019 noch zu wenig Spielraum sieht für Frauenleben außerhalb der klassischen Rollenverteilung: Frau braucht Mann zum Kinderkriegen.
Jede 3. Ehe wird geschieden – aber Nicht-Singles wollen alles besser wissen?
Ganz schön verhext, oder? Denn eigentlich könnten wir doch mittlerweile erwarten, dass der Klammergriff ums Lebensglück des "für immer und ewig" mittlerweile etwas gelockert wäre. Fast jede dritte Ehe wird hierzulande geschieden. Aber eine Braut fragt sich, wie man der Single-Freundin helfen könne?
Puh. Es nervt. Kein Wunder, dass sich J. ins Bett verabschiedet hat. Auch, weil sich diese Sichtweise mit empirischer Schützenhilfe sehr leicht umdrehen lässt. Single-Frauen sind mitnichten so bemitleidenswert, wie die ganzen Vorurteile ihnen gegenüber glauben lassen wollen.
Single-Frauen genießen eine ganze Menge Vorteile
Soziologische Studien und Umfragen zu dem Thema sind ziemlich eindeutig. Bräute können sich die Sorgen sparen, denn Single-Frauen haben eine Menge auf der "Haben"-Seite:
Sie sind glücklich: Diese Erkenntnis wurde erst vor ein paar Tagen von dem britischen Verhaltensforscher Paul Dolan betont. In Umfragen schneiden Single-Frauen in puncto selbst empfundenes Glück immer mit am besten ab. Wie Dolan erklärt: "Die glücklichste und gesündeste Untergruppe sind Frauen, die nie verheiratet waren und keine Kinder haben."
Sie sind besser dran als Single-Männer: Meistens wird eher Frauen unterstellt, sich nach romantischen Beziehungen zu sehnen. Männer hingegen werden entsprechend dem althergebrachten Rollenbild als autarke Einzelgänger beschrieben, die vor allem eines wollen: sich nicht binden. Dabei stimmt das nicht. Denn de facto sind es eher Männer, die sich eine Beziehung wünschen. Die Soziologin Stephanie Bethmann hat diesen Vorwurf wissenschaftlich untersucht und dabei festgestellt: "Vergeschlechtlichung lässt sich [...] eher in Bezug auf eine weibliche Beziehungsdistanz feststellen." Und das ist auch kein Wunder, denn Männer profitieren von diesen Beziehungen mehr: sie essen besser, gehen öfter zum Arzt, machen mehr Sport, verdienen mehr Geld, haben weniger im Haushalt zu tun und bessere Beziehungen zu ihren Familien, wenn sie verheiratet sind. Abgesehen davon, dass hier viele strukturelle Probleme zum Tragen kommen, lässt sich auch sagen: Frauen kommen alleine besser klar.
Es geht ihnen finanziell besser: Als Single ist man finanziell oftmals nicht ganz so gut dran, Stichwort Einzelzimmer im Hotel, aber ganz generell geht es Single-Frauen tatsächlich besser als ihren verheirateten Geschlechtsgenossinnen. Denn liegen Frauen und Männer finanziell bis in ihre späten Zwanziger oftmals noch gleichauf, ändert sich das mit dem ersten Kind schlagartig. Und zwar für die Frau. Teilzeitarbeit, Ehegattensplitting, magere Rente. Für Männer ist eine Familiengründung finanziell noch lange kein so radikaler Einschnitt wie für eine Frau. Mann und Kind "lohnt" sich für Frauen nicht. Das ist ein familienpolitischer Offenbarungseid, doch statt das zu ändern, wird Single-Frauen ein schlechtes Gewissen gemacht. Aber durchaus nachvollziehbar, denn wenn nicht das überzuckerte Ideal der romantischen Liebe wäre, würde vermutlich noch nicht mal eine Frau auf die Idee kommen, dass das ein guter Deal wäre.
Sie haben Sex, durchaus: "Ach, Sex unter der Woche, das waren noch Zeiten." Wer Singles wegen ihres vermeintlich brachliegenden Sexlebens bemitleidet, der war noch nie in einer Buchhandlung und ist dort an den Regalmetern von Büchern der Sorte "So halten sie in der Ehe ihr Sexleben aufrecht" vorbeigelaufen. Frauen und ihre sexuelle Lust als autonomes Begehren auch außerhalb einer festen Partnerschaft wahrzunehmen, fällt zwar vielen Menschen nach wie vor schwer. Das ändert aber nichts daran, dass sie da ist: die Lust der Frauen. Single-Frauen wollen Sex. Und Single-Frauen haben Sex.
Freundschaften: Eine weitere, sehr zuverlässige, Erkenntnis aus der Glücksforschung ist, dass uns genau eine Sache wirklich richtig glücklich macht: gute Beziehungen. Beziehungen im Plural. Zu Freunden, Familie, Kollegen. Und wer Freundinnen hat, selbst, wenn die sich ab und an unnötig Sorgen machen, der hat es gut.
Single-Sein als Chance: Unbenommen kann Single-Sein auch mal hart und doof und einsam sein. Aber es ist auch eine Chance. Denn wer Single ist, hat die Möglichkeit, sich selber besser kennenzulernen. Und wer sich selbst mag, wird auch gerne mit sich selbst zusammen sein. Das ist nachhaltiger als jemand, der ständig auf der Suche nach jemandem ist, mit dem emotionale Lücken gestopft werden können. Anders gesagt: Eine glückliche Single-Frau ist kein Einhorn und kein tragischer Fall, der sich das eigene misslungene Leben nurmehr mit Chardonnay irgendwie erträglich trinken kann.
Eine Sache fehlt Single-Frauen noch
Und dennoch stimmt es natürlich, dass J. etwas fehlt, dass allen Single-Frauen etwas fehlt: Eine Gesellschaft, zum Beispiel, die ihnen endlich abnimmt, dass sie keinen Typ zum Glück brauchen.
"Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht"
In ihrem Buch "Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht" schreibt unsere Redakteurin Gunda ausführlich über Single-Frauen und plädiert leidenschaftlich dafür, unser Bild von der bemitleidenswerten Single-Frau zu überdenken. Außerdem macht sie Mut: Denn das Leben allein kann verdammt gut sein. Hier ist das Buch erhältlich.
Streik bei VW: Langjähriger Mitarbeiter deckt Abfindungen auf
Beim kriselnden Autobauer Volkswagen ist derzeit viel los. Mindestens drei Werke in Deutschland könnten geschlossen und Jobs abgebaut werden, die Rede ist von betriebsbedingten Kündigungen. Wer bleibt, muss mit Gehaltseinbußen rechnen. Konzernchef Oliver Blume bezeichnete das bei einer Betriebsratsversammlung als "dringende Maßnahmen, um die Zukunft von Volkswagen zu sichern".