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"Zahltag": Wie die Show bei Hartz-IV-Empfängern falsche Hoffnungen weckt

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Bild: RTL / Getty / watson Montage
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Hartz-IV-Show "Zahltag": Wie die Sendung falsche Hoffnungen schürt

17.09.2019, 18:3517.09.2019, 18:34
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Es klingelt an der Tür. Was die Bewohnerin dann zu sehen bekommt, würde vielen anderen Menschen einen Schreck einjagen: Vor der Tür steht lediglich ein schwarzer Koffer. Die Frau bricht in Tränen aus – vor Glück.

Naja, zugegeben: Der Koffer steht nicht ganz alleine vor der Tür. Mit dabei ist nämlich das Kamera-Team der RTL-Armutsshow "Zahltag". Und selbstverständlich ist auch nicht der Koffer selbst Grund zur Freude, sondern sein Inhalt: knapp 30.000 Euro. Die sollen der weinenden Frau, einer Hartz-IV-Empfängerin, aus der Armut helfen.

"Zahltag" soll Hartz-IV-Empfängern aus der Armut helfen

Das Konzept der Sendung "Zahltag" ist simpel: In der aktuellen zweiten Staffel erhalten fünf arbeitslose Familien ihren gesamten Hartz-IV-Satz auf einmal ausbezahlt. Gebunden ist die Geste allerdings an eine Bedingung: Die Familien sollen sich mithilfe des Geldes selbstständig machen – und so den Weg aus Hartz IV finden.

Kommentiert wird das Ganze von einem Expertenteam, das einschreiten kann, wenn es explizit um Hilfe gebeten wird: Mit dabei sind der ehemalige Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, Ex-Hartz-IV-Bezieherin und "Cindy aus Marzahn"-Darstellerin Ilka Bessin sowie der Gründerberater Felix Thönnessen.

Für den normalen Zuschauer ist der Unterhaltungsfaktor zunächst einmal groß: Hier werden Familien in prekären Lebenssituationen gezeigt, die teils schon seit Jahrzehnten von Hartz IV leben und viele Schicksalsschläge hinnehmen mussten. Hier fließen Freudentränen beim Anblick des vielen Geldes, das aus der Armut helfen soll. Hier sitzen prominente Experten, die das Geschehen mal nett, mal bissig kommentieren – und natürlich immer mit ihrem Rat zur Seite stehen wollen. Wenn man sie denn lieb darum bittet.

Und dann dürfen wir den Familien dabei zusehen, wie sie beim Weg in die Selbstständigkeit scheitern. Oder zu scheitern drohen. Es ist ein Spiel mit den Existenzängsten von Menschen in Armut. Denn den Show-Teilnehmern wird mit diesem Geldkoffer eine Hoffnung vorgesetzt, die sich vielleicht bald zerschlagen wird. Entsprechend gespannt schaut man als Zuschauer dem Treiben vor den RTL-Kameras zu.

Der Geldkoffer soll alle Sorgen der Hartz-IV-Empfänger heilen

RTL inszeniert den Koffer als Allheilmittel gegen Armut: Mehrfach betonen die Experten, was für eine große Chance der Koffer biete, der Armut zu entkommen. Kein Wunder: Die durchschnittlich fast 30.000 Euro wirken auf den ersten Blick schließlich wie eine Menge Geld, mit dem es doch möglich sein sollte, sein eigenes Geschäft aufzubauen.

Nehmen wir als Beispiel die Familie Röder: Manuela, achtfache Mutter, lebt schon seit fast 30 Jahren von Sozialhilfe – beziehungsweise Hartz IV. Ihr Mann Sascha musste wegen eines Leistenbruchs operiert werden, dabei wurde ein Nerv beschädigt. Seitdem kann er wegen chronischer Schmerzen nicht mehr arbeiten. Heute leben die beiden gemeinsam mit sechs Kindern der Familie von Hartz IV.

Die Röders erhalten einen Koffer. Darin: fast 30.000 Euro. Wenn man bedenkt, dass davon allerdings nicht nur die Geschäftsidee, eine Suppenküche, realisiert werden soll. Sondern eben auch noch die Lebenskosten und Versicherungen für acht Personen gezahlt werden müssen – dann wird schnell klar: 30.000 Euro werden nicht reichen.

Das merkt selbst Felix Thönnessen, als er mit Manuela und Sascha deren monatliche Kosten berechnet: Mindestens 3000 Euro braucht die Familie monatlich allein für Miete, Strom, Kita und Versicherungen. Da bei einer Selbstständigkeit damit gerechnet werden muss, dass ungefähr die Hälfte des Umsatzes versteuert wird, müsste die Familie also mindestens 6000 Euro Gewinn machen. Eine ganze Menge Geld für eine Familie, die ihren Betrieb gerade erst gründet und keinerlei Geschäftserfahrung hat.

Viele der "Zahltag"-Protagonisten wissen nicht mit Geld umzugehen

In einem früheren Interview zur ersten Staffel "Zahltag" kritisierte Schuldnerberater Christian Arnold, dass viele Menschen von einer solch vermeintlich großen Summe Geld zunächst überfordert sein könnten. Der Vorsitzende des Vereins Schuldnerhilfe München e.V. warnte, dass das Geld schnell aufgebraucht sein könne – "da der verantwortungsvolle Umgang mit Geld in vielen Fällen leider fehlt und nicht gelernt wurde."

Diese Einschätzung deckt sich auch mit Studien, die belegen dass, dass Menschen in Armut meist nicht die besten Entscheidungen treffen. Die Vermutung der Forscher: Da Armut die verfügbaren Ressourcen begrenzt, sind Menschen in Armut es gewohnt, Entscheidungen meist nicht nachhaltig zu treffen, sondern eher auf kurze Sicht. In Bezug auf "Zahltag" heißt das: Die Gefahr, dass die Protagonisten das ganze Geld auf einmal ausgeben, anstatt weise zu investieren, ist recht groß.

Um dem vorzubeugen gibt es nun in der Sendung nun also die Experten, die jederzeit kontaktiert und um Rat gebeten werden können. Ansonsten halten sich die Experten betont aus den jeweiligen Situationen und Entscheidungen der Protagonisten raus. Und genau an diesem Aspekt zeigt sich, wie der vermeintlich konstruktive Lösungsansatz der Sendung seine Wirkung verfehlt: Denn oftmals verpassen die teilnehmenden Hartz-IV-Empfänger es, die Experten um Rat zu bitten. Im schlimmsten Fall schauen wir dann alle beim Scheitern zu.

So beschließen Manuela und Sascha, ein neues Auto zu kaufen. Dabei haben die beiden bereits einen Wagen in ihrer Garage stehen – der allerdings kaputt ist. Nun könnte man zunächst versuchen, das alte Auto zu reparieren, bevor man ein neues kauft. Aber Manuela und Sascha investieren lieber gleich in einen neuen Gebrauchtwagen – den sie übrigens nicht einmal genau begutachten. 600 Euro zahlen sie dafür – und haben dann eben zwei Schrottkisten anstatt einer, wie Buschkowsky trocken feststellt.

Die Experten beraten die Hartz-IV-Empfänger nur auf Wunsch

Sollten die Experten nun nicht genau in so einem Fall beratend zur Seite stehen? Anscheinend nicht, meint Buschkowsky. In einem vor Kurzem veröffentlichten Gespräch mit RTL sagte der ehemalige Bürgermeister:

"Wir können die Menschen nicht davon abhalten, Blödsinn zu machen. Sie sind selbstständig. Sie können mit dem Geld machen, was sie wollen."

Nun ist es aber so: Manchmal wissen Menschen eben nicht, wenn sie Blödsinn machen. Selbst um einem Experten Fragen stellen zu können, braucht es oftmals ein gewisses Vorwissen. Man kann nun mal nur Fragen stellen, wenn man weiß, nach was man fragen muss.

Manuela und Sascha wussten anscheinend nicht, dass sie sich vor dem Autokauf noch weiter beraten lassen sollten. Für mich ist klar: Dann sollte ein Experte sie vor einem solchen Fehler doch warnen. Schließlich verdient er seinen Expertenstatus doch auch dadurch, dass er gewisse Situationen besser einschätzen kann.

Durch dieses Versagen der Experten werden auch die Hoffnungen der Zuschauer enttäuscht. Nachdem man die Familien nämlich ein wenig kennengelernt hat, fühlt man mit ihnen mit und wünscht sich, dass es gut für sie ausgeht – und muss dann miterleben: Die Protagonisten treffen nicht immer die besten Entscheidungen – trotz der finanziellen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen. Der Geldkoffer allein ist eben kein Wundermittel.

Zu finanziellen Katastrophen kam es in der aktuellen Staffel von "Zahltag" noch nicht. Die Möglichkeit, dass das Sozialexperiment schief geht, schwingt allerdings immerzu mit – davon lebt die Sendung schließlich auch.

Was auch unterhaltsam wäre. Ginge es nicht um echte Schicksale von echten Menschen.

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