Ich könnte jetzt mit der Wissenschaftskeule kommen. Denn quasi jede Statistik zeigt, dass sich Hunde positiv auf unsere Seele auswirken. Allein deshalb raten einige Expert:innen zum Beispiel dazu, Hunde in den Büroalltag zu integrieren. Das Klima im Office wird durch die Gefährten besser. Ich selbst finde diese Belege allerdings meist langweilig, denn sie sind abstrakt.
Ich habe vier Hunde. Das Zusammenleben mit ihnen hat mich über die Jahre sehr geprägt. Deshalb möchte ich heute lieber persönlich werden, um euch zu zeigen: Hunde können die mentale Gesundheit auf wundervolle Art verbessern.
Ich möchte gerne von Spagna und Dante erzählen. Sie haben mich so oft gerettet, in mentalen Ausnahmezuständen. Allein dafür werde ich ihnen für immer dankbar sein. Aber ebenso für ihre unendliche Liebe und die positive Energie, die sie versprühten und es noch tun.
Mein Hund Spagna wird im August 17 Jahre alt. Inzwischen hört sie kaum noch etwas – oder nur das, was sie wirklich hören will. Sie ist sehr grau, ihr Körper ist voller Warzen, in den letzten Jahren musste ich ihr acht Zähne ziehen lassen, sie zittert ab und an ein wenig. Aber Spagna sprintet noch immer durch den Garten, über den Hof und kugelt sich vor lauter Lebensfreude auf dem Gras.
Noch immer liebt sie unser altes Spiel: Ich schmeiße Steine ins Wasser, die sie nie bekommt. Und doch springt sie jedem Stein hinterher. Dabei bellt sie vor Freude. Inzwischen klingt ihre Stimme nach zu vielen Zigaretten und zu viel Whiskey. Spagna ist alt geworden und manchmal bleibt sie lieber im Garten, als die Hunderunde mitzugehen. Es ist ihr teilweise zu anstrengend. Das zerreißt mir das Herz, denn noch immer habe ich genau vor Augen, wie ich sie aus dem Tierheim in Italien kaum ins Auto bekommen habe.
Wie ein Flummi sprang sie im Alter von sechs Monaten hin und her. Ein Energiebündel, das das ganze Tierheim in Schach hielt. Alle Mitarbeitenden lachten, weil Spagna der Clown des Heims war. Und ein Clown ist sie bis heute geblieben. Auch wenn die Augen etwas trüber sind, sie sieht alles. Und vor allen Dingen sieht sie mich.
Spagna hatte schon von klein auf eine Gabe: So viel Energie sie in sich trug, so sensibel war und ist sie. Ging es mir nicht gut, wurde sie stiller und stiller, legte sich zu mir, bohrte ihre Schnauze unter meine Hand, bis ich sie streichelte. Kam ich ihrem Wunsch nach, sendete sie etwas aus, was man ihr kaum zutrauen würde: Ruhe. Alleine in der Phase meines Lebens, als ich mich beruflich komplett umorientierte, als mich deshalb finanzielle Sorgen plagten, ich voller Existenzängste war, Spagna sah das. Spürte meine Angst, meine innere Panik. Täglich grub sie mehrmals ihre Schnauze unter meine Hand.
Sie wäre eine perfekte Rudel-Anführerin geworden, da bin ich sicher. Schaut man sich diesen Hund an, strahlt er Souveränität aus, auf eine sehr angenehme, liebevolle Art und Weise. Wenn ich mich wie ein Luftballon fühlte, der die Bodenhaftung verlor, zog sie mich sanft an der Schnur wieder nach unten. Genau das strahlt sie aus, auch während sie gerade wieder über den Hof läuft.
Im Moment bin ich in einer Phase, in der vieles too much ist. Während sie viele Monate lang ihren Ruheplatz im ersten Stock hatte, einfach ihre Ruhe genoss, ist sie seit Wochen wieder ständig an meiner Seite. Legt sich in die Nähe und gräbt ihre Schnauze unter meine Hand, bis ich streichle. Bis es wieder strömt. Erst wenn sie das Gefühl hat, dass ich positiv aufgeladen bin, klettert sie wieder die Treppe hoch, zurück ins erste Geschoss, auf ihren Lieblingsplatz.
So gab es in den letzten 17 Jahren hunderte solcher Momente und Phasen in meinem Leben. Kaum etwas war so wichtig und wertvoll, wie Spagnas positive Energie. Nichts war wertvoller für meine mentale Gesundheit, wie jeder Moment mit Spagna. Und deshalb werde ich jede Sekunde mit ihr genießen, die mir, die uns noch bleibt. Und ich weiß nicht, was geschieht, wenn sie nicht mehr ist.
Am selben Tag, als ich Spagna aus Italien zu mir holte, schmiss sich Dante vor meine Füße. Ein Herdenschutzhund-Mix, der umständlich versuchte, mit seinen dicken Pfoten an einen Futternapf zu kommen. Dabei plumpste er immer wieder auf meine Boots, blieb wie ein Käfer auf dem Rücken liegen, bis ich ihm beim Umdrehen half. Als er den Futternapf geleert hatte, erinnerte er sich irgendwie an seinen Helfer und kaute am Verschluss meiner Jacke, während ich Spagna streichelte. Denn nur ihretwegen war ich ja ursprünglich die 1400 Kilometer gefahren, um sie abzuholen. Um die Geschichte kurz zu machen: Ich fuhr nicht ohne Dante.
Dieser entwickelte sich zu meinem persönlichen Beschützer. Er beschützte mich nicht etwa vor komischen Menschen in der Dunkelheit, Dante hatte einen besonderen Riecher, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Rasse Maremmano Abruzzese ist dafür bekannt, dass sie als Welpen bereits in der Schafsherde aufwachsen. Mehrere Tiere bleiben immer bei der Herde, 24/7! Nähert sich ein Wolf, stellen sich diese mutigen Hunde vor den Wolf. Dieser darf sich dann entscheiden, ob er weiter auf die Schafe zugeht oder nicht.
Ein Maremmano greift nicht proaktiv an. Durch seine Gestik und Mimik, allein durch sein Sein macht er klar: keinen Schritt weiter. Geht ein Wolf den berühmten Schritt zu weit, lassen ihn die Hunde nicht vorbei. Über die Jahre gab es immer wieder einmal "Wölfe", die sich mir näherten. Menschen, die etwas mit mir zu tun haben wollten und ich nicht so recht wusste, wie ich diese einschätzen sollte. Ich habe kein schlechtes Bauchgefühl, aber ich gebe zu: Ich bin manchmal zu offen, gehe zu positiv auf Menschen zu, jedenfalls war das so. Durch Dante habe ich gelernt, besser hinzusehen.
Er hatte eine unfassbare Gabe: Hatte er das Gefühl, dass ein Mensch keine guten Absichten hatte, verhielt er sich so, wie es ihm seine Rasse gelehrt hatte: Er stellte sich vor diesen Menschen und ließ ihn nicht vorbei. Anfangs war ich irritiert und maßregelte ihn. Und tat das natürlich auch weiterhin, jedoch nicht ohne seine Warnung ernstzunehmen. Dante sendete dieses klare Zeichen mit einer Trefferquote, die bei 100 Prozent lag. Ob der Bekannte, der mich geschäftlich übers Ohr hauen wollte, oder sogar ein nahes Familienmitglied, das nicht gut zu mir war, ich könnte unglaublich viele Beispiele benennen: Dante lag immer richtig.
Er war quasi der mentale Filter. Wen er nicht mochte, konnte für mich nicht gesund sein. Und auch wenn ich natürlich der Rudelführer war und bei dieser Rasse auch sein musste, diese Zeichen nahm ich mehr als ernst. Und eben dieser mentale Filter fehlt mir bis heute.
Bereits mit sieben Jahren hat mich Dante verlassen. So plötzlich und überraschend wie er zu mir gekommen war, ging er auch wieder. Eines Tages im Sommer atmete er schwer, bekam kaum Luft. Er signalisierte mir, dass er Hilfe brauchte und sofort wusste ich: Diesmal musste ich mich vor ihn stellen. Diesmal musste ich ihn schützen. Sofort fuhr ich zum Tierarzt, der Dante nicht mehr helfen konnte. Wahrscheinlich starb er an einem Herzinfarkt. Mein Herz hatte er so sehr bereichert und beschützt und ich seines, da bin ich sicher.
Aber in dieser Situation war ich machtlos. Bis heute wird Dante sehr vermisst. Von mir und von jedem, der ihn kannte. Ich bin sehr froh, dass es Spagna noch gibt. Und dass sie gerade wieder ihre Schnauze unter meine Hand gräbt.