Bild: imago stock&people
Supermarkt
08.11.2019, 10:2723.01.2020, 12:56
Es passiert in einer Juni-Nacht 2018, vor
einem Supermarkt in Olching bei München. Caro und Franzi sind noch
unterwegs, "containern" – die Studentinnen fischen im Müll nach
aussortierten Lebensmitteln, die man noch essen kann. Plötzlich sind
da zwei Polizisten. Obst, Gemüse und Joghurt müssen aus dem Rucksack
zurück in die Tonne. Aber damit ist die Geschichte nicht zu Ende.
Eineinhalb Jahre und zwei Gerichtsurteile später erreicht der
Fall an diesem Freitag das Bundesverfassungsgericht. Am Vormittag
wollen Caro und Franzi ihre Klageschrift in Karlsruhe
einreichen.
Denn der 4. Juni 2018 hat für die beiden Frauen ein unschönes
Nachspiel. Nach einem Strafantrag des Supermarkts ermittelt die
Staatsanwaltschaft – "wegen besonders schweren Falls des Diebstahls".
Zur beantragten Geldstrafe von jeweils 1200 Euro kommt es zwar nicht.
Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hält den Frauen im Januar 2019
zugute, "dass die entwendete Ware für den Eigentümer wertlos war".
Aber die beiden werden schuldig gesprochen und verwarnt – mit je acht
Stunden Sozialarbeit bei der örtlichen Tafel.
Lassen sie sich noch einmal beim Containern erwischen, droht eine Strafe von 225 Euro.
Anfang Oktober wird dieses Urteil vom Bayerischen Obersten
Landesgericht bestätigt. "Der Umstand, dass die Lebensmittel zur
Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen wurden, sagt darüber, ob
dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig ist,
nicht zwingend etwas aus", heißt es in dem Beschluss. Der Container
habe auf Firmengelände gestanden und sei verschlossen gewesen.
Außerdem bezahle der Supermarkt eine Firma für die Entsorgung.
Für Caro und Franzi eine herbe Enttäuschung. "Wir haben niemandem
Schaden zugefügt", sagen sie. "Wenn wir Lebensmittel in der Mülltonne
sehen, die eigentlich noch genießbar sind, finden wir das sehr schade
und eine enorme Ressourcenverschwendung." Die Supermarkt-Leitung habe
doch gar kein Interesse mehr an den Waren. "Die werden ganz
offensichtlich nicht mehr verkauft, die vergammeln in der Tonne."
Im Internet haben die Studentinnen ihren Fall öffentlich gemacht
und informieren in einem Blog über die neuesten Entwicklungen. Von
der Unterstützung ermutigt, haben sie auch eine Petition gestartet:
Supermärkte sollen wie in Frankreich verpflichtet werden, noch
genießbare Lebensmittel zu verteilen, zum Beispiel an soziale
Einrichtungen. Inzwischen haben 150.000 Menschen unterschrieben.
In Deutschland landen nach Berechnungen der Universität Stuttgart
jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die
Umweltorganisation WWF geht sogar von mehr als 18 Millionen Tonnen
aus. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das
Containern zu legalisieren, scheiterte im Juni auf der
Justizministerkonferenz in Lübeck am Widerstand der CDU-Länder.
"Solange es keine klaren Gesetze gibt, müssen wir es über die
Auslegung des Rechts versuchen", sagt Franzis Verteidiger Max Malkus.
Die Verfassungsklage soll mehr Menschen auf das Problem aufmerksam
machen. Mittlerweile bekommen Caro und Franzi Unterstützung von der
Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt
hat, Grund- und Menschenrechte vor Gericht einzuklagen.
Verfahren über Containern hat Grundsatzcharakter
Für die Nichtregierungsorganisation hat das Verfahren
grundsätzliche Bedeutung. "Es geht um die Frage, wo die
verfassungsrechtliche Grenze des Strafrechts ist", sagt GFF-Juristin
Sarah Lincoln. Karlsruhe habe mehrfach klargemacht, dass das
Strafrecht nur das letzte Mittel sein kann. Nach diesen
Entscheidungen ist es auf Verhalten zu beschränken, das "über das
Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das
geordnete Zusammenleben unerträglich" ist.
"Hier wird das Strafrecht eingesetzt, um etwas zu schützen, an
dem niemand mehr ein Interesse hat", meint Lincoln. "Besonders
sozialschädlich ist ja das Wegwerfen der Lebensmittel, nicht die
Verwertung." Auch Malkus findet das widersprüchlich: "Faktisch
kriminalisieren wir diejenigen, die im Kleinen etwas für den
Klimaschutz tun, ohne dass jemandem geschadet wird."
"Der Schutz unserer Lebensgrundlagen wird weiterhin als
zweitrangig betrachtet", schreiben Caro und Franzi in ihrem Blog. Sie
hoffen auf den Erfolg ihrer Klage: "Neue Fragen fordern andere
Antworten."
(hd/dpa/afp)
Erst Regen, Regen und noch mehr Regen. Dann Sonnenschein von morgens bis abends und sengende Hitze. Der Sommer schlägt immer häufiger von einem ins andere Extrem. Das schlägt nicht nur uns Menschen aufs Gemüt.