Leben
Nah dran

Israel-Krieg: Deutsche Schriftstellerin will trotz Hamas zurück nach Tel Aviv

Katharina Höftmann Ciobotaru ist Schriftstellerin und lebt mit ihren beiden Kindern in Tel Aviv.
Katharina Höftmann Ciobotaru ist Schriftstellerin und lebt mit ihren beiden Kindern in Tel Aviv.bild: privat
Nah dran

Israel-Krieg: Katharina ist in Berlin in Sicherheit – aber denkt an ihre Rückkehr nach Tel Aviv

24.10.2023, 20:24
Mehr «Leben»

Als Katharina Höftmann Ciobotaru am 7. Oktober aufwacht, weiß sie noch nicht, dass dieser Morgen alles verändern wird. "Versuch, keine Angst zu haben. Versuch, so ruhig wie möglich zu bleiben", sagt ihr Lebensgefährte zu ihr, als sie aufwacht. "Jetzt kannst du aufs Handy gucken." Katharina greift nach ihrem Smartphone.

Auf dem Display leuchtet eine SMS ihres Ex-Mannes auf, der – wie sie eigentlich auch – in Israel lebt. "Wir sind am schlimmsten Morgen aller Zeiten aufgewacht", schreibt er. Katharinas Herz beginnt zu rasen. Sie fühlt sich wie in einem Tunnel, alles um sie herum verschwimmt.

Raketenalarm.

"Es ist wohl so, dass sehr, sehr viele Terroristen im Süden des Landes eingedrungen sind und dort gerade ein Massaker veranstalten."

"Ich bin bei deinen Eltern und den Kindern, es geht ihnen gut – also mach dir keine Sorgen", schreibt ihr Ex-Mann weiter. Viele Informationen von offiziellen Nachrichtenseiten gebe es bislang nicht. "Aber es ist wohl so, dass sehr, sehr viele Terroristen im Süden des Landes eingedrungen sind und dort gerade ein Massaker veranstalten."

The interior of a kitchen and dinning room area in a civilian house in the Jewish community of Kibbutz Be eri along the border with the Gaza Strip during a press tour on October 20, 2023. This communi ...
Die Hamas-Terroristen töteten wahllos Menschen in Israel und setzten Familienhäuser in Brand.Bild: imago images / Jim Hollander

Panik macht sich in Katharinas Brust breit. Das ist nicht "nur" ein weiterer Raketenalarm. Das ist ein Massaker, ein Krieg. Und sie ist hier, in Berlin, während ihre Kinder und ihre Eltern in Tel Aviv in ihrer Wohnung festsitzen. Im Bunker-raum.

Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden? Hier findest du unseren Broadcast-Channel.

Katharinas Familie flieht aus Israel: Wo ist das Flugzeug hin?

Sofort wählt Katharina die Nummer ihrer Eltern, die noch immer im Bunker-Raum sitzen. "Meine Kinder waren völlig verängstigt und wollten da gar nicht mehr rausgehen", erzählt Katharina. Vor allem ihr älterer Sohn, der neun Jahre alt ist, war panisch – wie auch die letzten Male schon, als es Raketenalarm gab.

Aber dieses Mal ist anders. Dieses Mal ist Krieg.

"Und ich war hier in Berlin – und meine Kinder und meine Eltern saßen in Tel Aviv, das war sehr, sehr schlimm für mich", sagt Katharina.

Sie will ihre Familie zu sich nach Deutschland holen, so schnell wie möglich. Katharina sucht nach Flügen – und findet schließlich einen von Tel Aviv nach Prag. "Die haben dann wirklich innerhalb von paar Stunden alles gepackt und sind am nächsten Morgen ganz früh zum Flughafen."

Eine Stunde zu spät hebt der Flieger in Richtung Tschechien ab. Gerade noch rechtzeitig, wie sich später herausstellt. Denn kaum sind ihre Kinder und Eltern in der Luft, wird der Flughafen in Tel Aviv mit Raketen beschossen. Über Whatsapp erhält sie unzählige Nachrichten. Hilferufe von Freunden, die schreiben, dass sie festsitzen. "Es war wirklich, wirklich, wirklich schrecklich. Ich habe die ganze Zeit gebangt", sagt Katharina.

"Dann erinnert man sich, beginnt sofort zu weinen und das Herz zerbricht in 1000 Stücke."

Und dann verschwindet auch noch der Flug, in dem ihre Kinder und Eltern sitzen, von der Anzeigetafel auf der Website der Fluggesellschaft. Panik bricht in Katharina aus. Ihre Welt beginnt sich zu drehen.

Bitte, lass alles gut werden. Bitte, bitte, bitte.

Ihre Gedanken rasen. Sie beginnt heftig zu weinen, ruft aufgelöst ihren Lebensgefährten an. Der versucht sie zu beruhigen. "Ruf einfach deinen Vater normal an", sagt er. Sie versucht es erneut – dieses Mal nicht über Whatsapp, sondern via Mobilfunk. Er nimmt ab – und Nina fällt ein Stein vom Herzen. Alles ist gut. Alle sind sicher. Atmen. "Ich glaube, wir haben sehr viel Glück gehabt, dass ich schon in Deutschland war. Sonst wären wir vermutlich auch erst einmal in Tel Aviv geblieben", sagt Katharina.

Katharina mit ihren beiden Söhnen
Katharina mit ihren beiden Söhnenbild: privat

Katharina ist in Rostock geboren, lebt und arbeitet aber als Schriftstellerin in Tel Aviv, auch zum Judentum ist sie konvertiert. Grund für ihre Reise nach Berlin waren die Israel-Tage, an denen eigentlich das 75-jährige Bestehen des Staates gefeiert werden und sie als Autorin Lesungen geben sollte.

Ein Leben in Angst: Was nur wird aus Israel, aus den Menschen?

Für Katharina teilt sich die Welt in ein "Davor" und ein "Danach" auf. Seit dem 7. Oktober, als die Hamas-Terroristen Israel angriffen und regelrecht auf Jagd nach Menschen gingen, ist jeder Morgen gleich. Katharina wacht auf – und bis die Erinnerungen hochkommen, ist die Welt für einen kurzen Moment in Ordnung: "Dann erinnert man sich, beginnt sofort zu weinen und das Herz zerbricht in 1000 Stücke."

Trotz der Aufgewühltheit und trotz der Angst versucht Katharina ihren Kindern das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung sei. "Aber im Grunde genommen möchte man sich die ganze Zeit unter der Decke verkriechen und heulen. Und dass eigentlich nichts in Ordnung ist, kriegen natürlich auch die Kinder mit." Insbesondere ihr älterer Sohn bekomme immer wieder Whatsapp-Nachrichten von Freund:innen aus Tel Aviv, die schreiben, dass Raketenalarm sei.

Aber Katharina macht weiter. Sie kann und will nicht einfach tatenlos dasitzen. "Und dadurch, dass ich gerade weit weg bin von Israel, ist das einzige, das ich tun kann, aufzuklären und Informationen zu verbreiten."

"Sobald sich abzeichnet, dass das Land einigermaßen sicher ist, gehen wir zurück."

Also zieht sie ihre Lesungen durch – obwohl sie davor oder währenddessen weinen muss, manchmal nicht weiß, wie sie die Lesung überhaupt durchstehen soll. Auch deswegen teilt sie auf Instagram zahlreiche Stories über die Israelis – "damit zumindest die 13.000 Leute, die mir auf Instagram folgen, nicht aus den Augen verlieren, dass über 200 Geiseln in der Hand der Hamas sind".

Sie will deutlich machen, dass die Menschen über das Elend sprechen und Druck ausüben müssen. Auch auf die deutsche Regierung. Gleichzeitig hofft Katharina, dass die Menschen durch ihre Texte etwas fühlen können, das sie anderweitig vielleicht nicht hätten fühlen können. Kurze Gedichte, die durch die Dunkelheit leiten. "Und wenn ich ein bisschen erfolgreich damit bin, dann hoffe ich, die Leute auch ein bisschen zu trösten."

Das Sicherheitsgefühl ist komplett verschwunden

"Wenn man sich überlegt, wie viele Leute innerhalb von wenigen Stunden niedergemetzelt wurden, dann kann man sich vorstellen, mit welcher Brutalität da vorgegangen wurde. Das ist ein absoluter Albtraum", sagt Katharina. Zwar habe es auch vor dem Krieg regelmäßig Raketenangriffe gegeben, aber das jetzt sei ein neues Level – und "absolut schockierend".

Israeli soldiers near destroyed Jewish homes in the southern Israeli community of Kibbutz Be eri on October 22, 2023. This community was attacked by Hamas infiltrators who killed some 100 people out o ...
Israelische Soldaten in der Nähe zerstörter Häuser in der Gemeinde Kibbutz Be eri.Bild: imago images / Jim Hollander

Katharina ergänzt: "Wir hatten schon vorher nicht wirklich ein Sicherheitsgefühl, aber das hebt es komplett aus den Angeln."

Die ständige Sorge vor Raketenbeschuss zerrt an den Nerven. Dazu aber kommt eine neue, noch größere Angst: Nämlich, dass die Hisbollah mit in den Krieg eintritt. Sie sagt:

"Es könnte noch so viel schlimmer werden. Die Hamas hat mittlerweile schon gute Raketen, aber die Hisbollah hat Langstreckenraketen – die könnten ganz Israel das Leben zur Hölle machen und für viele, viele Tote sorgen."

Trotzdem will Katharina mit ihren Kindern so schnell wie möglich zurück nach Tel Aviv. "Meine komplette Familie ist da, ich bin israelische Staatsbürgerin und meine Kinder sind dort geboren und aufgewachsen. Natürlich wollen wir zurück, Israel ist unsere Heimat."

Wie lange es aber dauern wird, bis sie zurückkönnen, vermag bislang niemand zu sagen. Bis dahin sitzen sie "wie in einem mentalen Wartezimmer".

Sicher aber ist schon jetzt: Der Weg in eine neue Normalität wird weit und schwer. "Aber sobald sich abzeichnet, dass das Land einigermaßen sicher ist, gehen wir zurück und helfen dabei, es so schön zu machen, wie es vorher war."

"Schmatz mir nicht ins Ohr": Rebecca bekommt von Sprachnachrichten beim Essen schlechte Laune

Bei Sprachnachrichten gibt es nur zwei Meinungen: Man liebt sie oder man hasst sie. Die einen kommunizieren fast nur so via Whatsapp und sparen sich Telefonate ohnehin, die anderen bekommen die Krise, wenn wieder irgendjemand zu faul war, um eine Nachricht zu schreiben.

Zur Story