Wer an Terror, Krieg und die Raketenanschläge in Israel denkt, dem ist vermutlich weniger nach Tanzen und guter Laune zumute. Immerhin sind dort bereits mehrere tausend Menschen auf grauenvolle Weise gestorben, mehr als 12.000 schwer verletzt worden – und dann sind da auch noch die über 200 Geiseln: Babys, Kinder, Frauen, Männer.
Trotz der grauenvollen Geschehnisse und ihrem Kampf an den Fronten, scheint das bei israelischen Soldatinnen anders zu sein. Zumindest, wenn man ihren Tiktok-Videos glauben kann: Auf der Social-Media-Plattform gehen Soldatinnen der IDF (Israel Defence Forces) mit fröhlichen Tanzvideos in Uniform viral, samt ihrer Waffen, die sie teilweise im Takt der Musik schwenken. Zu Songs von Justin Bieber, Rihanna oder Avicii. Unter ihren Video-Clips finden sich Hashtags wie #beautiful, #soldier #militarygirlsoftiktok.
Wie aber passen Krieg und Tanzvideos zusammen? Und welches Bild wird dadurch vermittelt? Watson hat bei Social-Media-Experten und Kommunikationsberatern nachgehakt.
"Das ist Teil der strategischen digitalen Kriegsführung, in diesem Fall von der IDF – und mittlerweile Standard in bewaffneten Konflikten", sagt Politikberater Martin Fuchs gegenüber watson. Die israelische Armee sei in diesem Feld seit Jahren Vorreiter und bespiele es "extrem professionell".
Die Tanzvideos, die sich abgesehen von den Militäruniformen und Waffen auf den ersten Blick nicht groß von den Tanzvideos anderer User:innen auf Tiktok unterscheiden, vermitteln den Eindruck, dass die Soldat:innen sind wie du und ich. Fuchs ergänzt:
Geht es um die strategische Nutzung von Social Media, zählt das israelische Verteidigungsministerium zu den professionellsten weltweit. Laut Martin Fuchs gibt es für digitale Kampfaktionen, wie etwa die Erstellung von Tiktok-Videos, eigene Abteilungen im Ministerium, die Leitfäden und Workshops für Soldat:innen entwickeln.
Die Botschaften, die in den Clips vermittelt werden, sind also nicht dem Zufall überlassen, sondern haben einen klaren Zweck und stehen im Fokus des Videos. Der Social-Media-Experte Bendix Hügelmann erklärt gegenüber watson:
Auch der Ukraine-Krieg würde nicht laufen, wie er läuft, hätte die Ukraine nicht weltweite Unterstützung organisiert, die auch durch "extrem gute und professionelle digitale Kriegsführung" zustande gekommen ist, wie Fuchs erläutert.
Clips wie jene der tanzenden Soldatinnen würden allem voran denen in die Hände spielen, die die Klaviatur des Infowars beherrschen und die digitalen Dynamiken für sich am besten nutzen können. "Im Krieg gibt es keine Wahrheit, sondern nur die medial vermittelte", sagt Fuchs.
Zwar sei Deutschland nicht die primäre Zielgruppe der Videos, aber diejenigen, die nicht anti-israelisch eingestellt seien, hätten zunächst mal ein sympathisches Bild der Armee. "Diese Videos sind ja nur ein kleiner Teil der Kommunikation", meint Fuchs. "Mehrheitlich wird man in Deutschland eher schreckliche Kriegsbilder sehen – da ist dies hier eine willkommene Ablenkung und Entspannung von der Kriegsberichterstattung, die ja auch viele in Deutschland sehr beängstigt."
Als problematisch schätzen die Experten die Tanz-Videos nicht ein. Immerhin sehe man lediglich Mitglieder der Streitkräfte eines demokratischen Staates, der sich einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sehe. "Nur, weil wir hierzulande die Notwendigkeit von Streitkräften zur Wahrung der äußeren Sicherheit eines Staates gern ausblenden, ändert das ja nichts an der Lage", sagt auch Social-Media-Experte Hügelmann.
Trotzdem gilt, wie bei allem Content auf Social Media: Immer hinterfragen, woher das Video kommt. Zudem hilft es, sich selbst zu fragen: Was könnte das Ziel des Videos sein? Wer hat es gepostet? Und wem nützt es? "Das gilt weniger für Tanz-Videos als vielmehr für Videos von Gräueltaten", betont Hügelmann.
Damit Jugendliche die Inhalte auf Tiktok, Instagram und X bestmöglich einordnen können, plädiert Hügelmann dafür, dass Eltern mit ihren Kindern in den Dialog treten und sie darüber aufklären, wie ihr Nutzungsverhalten etwa auf Tiktok die ihnen ausgespielten Inhalte direkt beeinflusst.
Letzten Endes, so glaubt Politikberater Fuchs, würden Clips wie jene der Soldatinnen aus Israel aber in den meisten Fällen nur bei den Nutzer:innen durchrauschen und einen normalen Teil des unterhaltenden Konsums darstellen.
Und dennoch: "Soziale Medien sind in gewisser Weise ein eigenes Schlachtfeld", sagt Social-Media-Experte Hügelmann. Dabei gehe es immerzu darum, welches Narrativ im Diskurs die Oberhand habe.
Das sei allem voran für demokratische Gesellschaften wichtig, weil es einen Zusammenhang zwischen dem vorherrschenden Narrativ und der gesellschaftlichen und politischen Unterstützung für das Regierungshandeln gibt. Meint: Wie eine Geschichte erzählt wird, hat einen massiven Einfluss darauf, wie eine Gesellschaft einer bestimmten Thematik gegenübersteht. Das ist Hügelmann zufolge bereits im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich geworden. Er ergänzt:
Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje findet dafür gegenüber watson deutliche Worte. Er sagt: "Jeder Krieg tobt heutzutage auch als Informationskrieg in den sozialen Medien."