Dass sich mit Fake News Stimmung erzeugen lässt, ist bekannt. Wie brisant das in Kriegszeiten sein kann, wird aktuell am Beispiel der bombardierten Klinik Ahli Arab in Gaza klar: die Zerstörung eines Klinik-Gebäudes Mittwochnacht kostete hunderte Menschenleben. Die Ereignisse lösten spontane Proteste weltweit aus. Unklar ist nur: Wer ist schuld?
Die Hamas macht Israel dafür verantwortlich. Doch die israelische Armee sagt, dass eine fehlgeleitete palästinensische Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad für den Einschlag verantwortlich ist.
Zum Beweis veröffentlichten sie am Mittwochvormittag Luftaufnahmen, auf dem das Krankenhaus und ein Parkplatz vor und nach dem Angriff zu sehen sind. Dabei sei kein Einschlagloch entstanden, wie bei israelischen Luftangriffen üblich.
In Windeseile bildeten sich online Lager Unbeteiligter, die vermeintliche Beweise weiterleiten und teilen – je nach politischer Haltung. Nicht immer stecke böse Absicht dahinter, sagt Josef Holnburger auf watson-Anfrage. Der Politikwissenschaftler forscht zu Verschwörungsideologien im digitalen Raum:
Seit dem Hamas-Angriff auf Israel nimmt dieses Phänomen zu. Pro- und Anti-Israel-Stimmen greifen sich in Kommentarspalten aufs Übelste an, aufgebracht durch Videos, gefüttert mit Halbwissen und Desinformation.
"Bei Großereignissen gibt es eine Informationsflut auf sozialen Netzwerken, oft ergibt sich dort die Problematik, dass Schnelligkeit wichtiger wirkt als das Abwarten auf korrekte Informationen", erklärt Holnburger.
Wie kann man sich vor dieser Manipulation schützen? Mit diesen Tipps erkennst du Fake News.
Die wichtigste Frage ist: Wer hat die Nachricht in die Welt gesetzt? Die Timeline kann Aufschluss über Überzeugungen des oder der Urheber:in geben. Ein Klarname und eine Kontaktmöglichkeit sind gute Zeichen.
Holnburger rät, auf Nummer sicher zu gehen. "Info-Ticker reputabler Medien, die sich dem Kodex des Presserats verpflichten, sind auf sozialen Netzwerken das bessere Mittel, um sich bei einem Großereignis aktuell zu informieren", sagt er. In der Regel erfolgt die Faktenprüfung dort im Vorfeld.
Aber auch, wo die Nachricht verbreitet wird, spielt eine Rolle. So wird besonders X, ehemals Twitter, für die laxe Quellenprüfung im Zusammenhang mit dem Israel-Konflikt kritisiert.
EU-Kommissar Thierry Breton ermahnte Elon Musk in einem Brief, dass sie Hinweise hätten, dass seine Plattform nach den Hamas-Attacken genutzt worden sei, um "illegale Inhalte und Desinformationen in der EU zu verbreiten".
Es sei die Pflicht der Plattform, Desinformationen einzudämmen, um die "öffentliche Sicherheit" und den "bürgerlichen Diskurs" nicht zu gefährden. Inzwischen ist ein Verfahren gegen X durch die EU eingeleitet worden.
Viele Faktenprüfer sind aktiv auf der Plattform, um Falschmeldungen direkt zu identifizieren. Auch Josef Holnburger warnt:
In den letzten Tagen seien Desinformationen tausendfach auf X geteilt worden, teilweise auf Account-Empfehlung durch Elon Musk höchstpersönlich.
"Desinformationen sind oft stark emotionalisiert", warnt die Organisation Correctiv auf ihrer Website. "Texte sind reißerisch geschrieben, Bildcollagen dienen dazu, die Meldung groß und wichtig wirken zu lassen." Was starke Gefühle hervorruft, wird mehr geteilt und so "oft auch Geld verdient".
Im aktuellen Konflikt ist das Spiel mit Emotionen allgegenwärtig. Leichen, Blut, Tränen und dramatische Musik werden in Filmchen zusammengesetzt – der Informationswert ist oft gering.
"Emotionalisierung ist nicht grundsätzlich falsch – wenn etwas Schreckliches passiert, darf das auch als solches benannt werden", sagt Holnburger dazu. "Bei Bildern sollte aber auch die Perspektive von Hinterbliebenen und Opfern mitberücksichtigt werden. Seriöse Accounts schützen die Identität von Opfern und respektieren Hinterbliebene."
Bilder werden häufig zur Desinformation genutzt. Auch im aktuellen Konflikt kursieren viele Videos und Fotos, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Die Faktenprüfer von Correctiv nennen als Beispiel dafür ein Video, das gefangene Kinder in Käfigen zeigte, die unter Gelächter gefilmt wurden. Der Post verbreitete sich millionenfach.
Auf der einen Seite wurde behauptet, dass es sich um palästinensische Kinder in Israel handle. Andere wiederum erklärten, es handele sich um von der Hamas entführte, israelische Kinder. In Wirklichkeit hat das Video nichts mit dem Krieg zu tun und existierte bereits Wochen zuvor.
Josef Holnburger rät, Bilder auf "interne und externe Plausibilität" zu prüfen: "Stimmt das, was auf einem Bild oder Video zu sehen ist, mit dem behaupteten Text überein? Passt die Umgebung, die Jahreszeit, die Sprache?" Manchmal erkennt man einen Schwindel schon an einem Straßenschild.
In einem früheren watson-Gespräch erklärte Faktenchecker Andre Wolf von Mimikama dazu: "Die Bildersuche bei Google ist auch hilfreich, das ist so simpel, dass es auch Privatpersonen können." Dafür lädt man das verdächtige Bild hoch und überprüft, in welchem Zusammenhang es schonmal aufgetaucht ist.
Aus der Ferne ist es unmöglich, zu hundert Prozent sicherzustellen, dass eine Nachricht der Wahrheit entspricht. Es gibt jedoch Indizien. Zum Beispiel, wenn mehrere, unabhängige Nachrichtenseiten von ein und demselben Ereignis berichten, obwohl unterschiedliche Quellen befragt wurden.
Wenn Augenzeugen und Polizeiberichte mit Beobachtungen von Journalist:innen und Hilfsorganisationen vor Ort übereinstimmen, stimmt die Geschichte vermutlich. Fehlt zu einer Nachricht aber jegliche zweite Stimme oder ein Hinweis in den Medien, ist Vorsicht angebracht.
Zudem machen Faktenprüfer derzeit sich wiederholende Narrative aus, die kursieren. Dazu gehöre etwa die Behauptung, dass der Terroranschlag der Hamas "eine Inszenierung sei und nicht, oder nicht in der Form, stattgefunden habe", erklärt das Correctiv-Team. Ähnliche Erzählungen habe es auch im Ukraine-Krieg vonseiten Russlands gegeben.
Wer sich für das Thema interessiert, dem legt Holnburger internationale Recherchekollektive wie Bellingcat ans Herz. Diese seien schnell darin, Bilder aus Krisengebieten zu verifizieren, zudem bieten sie Kurse an, wie man Desinformation erkennen kann.
Zudem lohnt es sich, Seiten wie Faktenfinder, dpa-Faktenchecker, Faktenfuchs oder Correctiv zu abonnieren, sagt der Experte. Sich mit dem Thema zu befassen, sensibilisiere für jeden noch folgenden Konflikt. Je mehr man sich damit auseinandersetze, um so eher werde deutlich, welchen Quellen man misstrauen sollte.