Während kinderlose Menschen in Corona-Zeiten oft von Langeweile und Einsamkeit erzählen, wissen die meisten Eltern überhaupt nicht mehr, wo ihnen vor Stress der Kopf steht. Für einen mehrköpfigen Haushalt einkaufen, den Lehrer ersetzen und keine Verschnaufpausen durch Babysitter oder Spielfreunde... Wie anstrengend muss das sein, wenn man auch noch ganz alleine verantwortlich ist?
Mafi (35) weiß es. Die Single-Mama und ihre siebenjährige Tochter leben in Hamburg. Für watson erzählt sie uns, was sie in der Corona-Zeit besonders stresst und warum der Lockdown für Ärger mit dem Ex gesorgt hat.
Momentan kann uns keiner sagen, wann der Unterricht für uns wieder normal losgeht. Im Moment wird von einer ersten Öffnung am 25. Mai gesprochen. Bei meiner Tochter an der Schule gab es zwei Corona-Fälle, einer davon war ihre Klassenlehrerin. Obwohl sie eine gute Zweitklässlerin ist, kann ich sie immer schlechter zu Hause motivieren, je länger der Lockdown dauert, sie wäre gerne wieder im Unterricht.
Anfangs war das mit dem Homeschooling ein völliges Chaos. Inzwischen haben wir uns sortiert. Wir stehen morgens um sieben Uhr auf, frühstücken, machen Yoga und dann schauen wir in die App, wo die aktuellen Aufgaben aufgelistet sind. Es gibt auch eine WhatsApp-Gruppe, in die meine Tochter zum Beispiel ein gelerntes Gedicht senden kann oder ein Foto von einer Kunstarbeit. Die Lehrerin macht das ganz toll und gibt den Kindern sogar Feedback, trotzdem ist das eine seltsame Situation. Momentan stehen viele neue Themen wie Fotosynthese oder Bruchrechnung an und die Eltern lehren das ihren Kindern nach bestem Wissen und Gewissen, wie sie es selbst damals lernten. Mal schauen, wie sich das wieder zusammenrüttelt, wenn die Schulen öffnen.
Nachmittags versuche ich, mit ihr an der frischen Luft zu sein, ohne dabei Leuten zu nahezukommen. Wir fahren viel Fahrrad oder Rollschuh in Parks. Manchmal grillen wir auch auf unserer Terrasse. Trotzdem ersetzt das alles nicht ihre Freundinnen. Dass sie die nicht sehen kann, ist schwierig zu erklären, ohne ihr zu große Angst zu machen. Neulich hatte das Nachbarkind Geburtstag und meine Kleine war so traurig, dass sie nicht gratulieren konnte, dass ich sie doch zehn Minuten dahin ließ. Letztens sagte sie: "Wann kriege ich mein Leben zurück?" Das zu hören tut richtig weh.
Ich bin jetzt schon seit sechs Wochen zu Hause. Ich arbeite in der Gastronomie und wir mussten direkt schließen. Bis zum 21. März habe ich noch gearbeitet, damals schon mit Abstand zwischen den Tischen. Ich bin Kellnerin, arbeite aber vor allem als rechte Hand vom Chef, 25 Stunden die Woche. Nun bin ich freigestellt und kriege Kurzarbeitergeld. Gott sei Dank habe ich noch ein Gehalt, aber die 50 Euro Trinkgeld am Tag, die jetzt wegfallen, die spüre ich schon. Die fehlen uns.
Dabei kann ich noch von Glück reden: Immerhin gehört mein Arbeitgeber zu einer großen Kette. Die kleineren Gastronomen gehen mit ihren Betrieben gerade alle an der Corona-Krise ein, es ist wirklich schrecklich. Und natürlich habe ich Sorgen, dass auch mein Job nicht mehr sicher ist, wenn sich die Gastronomie nicht mehr aufrappelt. Ich wäre die Erste, die gehen müsste, so als Mutti mit meiner Teilzeit bin ich am schnellsten zu ersetzen.
Meine Mama lebt eigentlich in Portugal, aber muss jetzt bei uns bleiben, weil sie zufällig im Land war, als der Lockdown losging. Sie leidet unter Kinderlähmung, ist 67 Jahre alt und muss doppelt aufpassen, weil sie mit der Nervenkrankheit eine Risikopatientin ist. Ich bin in meinem Haushalt also die einzige, die in den Supermarkt geht oder zur Apotheke. Um sie mache ich mir gesundheitlich die meisten Sorgen. Sie hat Schmerzen und wird oft emotional, findet manchmal nächtelang keinen Schlaf. Um sie zu schützen habe ich auch schon lange vor der Pflicht eine Maske getragen, den Bus gemieden und beim Einkaufen Handschuhe angezogen.
Um meine Tochter mache ich mir aber auch Sorgen, da sie schon im Babyalter Probleme mit den Bronchien hatte. Der Kinderarzt meinte, bei einer Corona-Erkrankung müsste sie vermutlich ins Krankenhaus. Mein Vater, der nun alleine in Portugal ist, hatte Magenkrebs und ist ebenfalls nicht ganz fit. Bislang ist er vernünftig und hält sich von allem fern, aber um ihn sorge ich mich auch. Sagen wir mal so: Es ist schon viel los in meinem Kopf momentan...
Der Vater meiner Tochter und ich sind seit vier Jahren getrennt. Bislang konnten wir immer gut miteinander reden und haben uns das Sorgerecht geteilt. Sie hat jedes zweite Wochenende bei ihm verbracht, eigentlich haben wir ein gutes Verhältnis. Doch seit dem Lockdown ist es kompliziert.
Wenn ein Kind zwei Kernfamilien hat, muss es ja logischerweise hin und her – andererseits soll man die Ansteckungsmöglichkeiten klein halten. Für mich stellte sich da die Frage: Wie sollen wir das im Lockdown machen? Offizielle Stellen konnten mir dazu leider nur sagen, dass es keine eindeutigen Regelungen gibt. Das Umgangsrecht könne bei getrennten Eltern zwar gerade nicht stattfinden, aber wie das konkret gestaltet wird, sollten wir untereinander klären. Das ist leichter gesagt, als getan.
Am Anfang hat meine Tochter ihren Papa nur stundenweise gesehen, aber letztes Wochenende hat sie wieder eine Nacht bei ihm geschlafen. Ich möchte die beiden nicht voneinander entfremden, trotzdem ist es eine komische Situation für alle. Bevor sie ging, sagte sie noch: "Ich knutsch nicht viel und wasch mir viel die Hände, versprochen. Ich will ja Oma nicht gefährden." Es wäre so viel schöner, wenn das wieder unkomplizierter wäre.
Am Anfang des Lockdowns hatte ich noch Energie, aber die ist langsam echt aufgebraucht. Im Moment wird mir alles zu viel, ich würde gerne mal ein Wochenende für mich haben, irgendwo in der Sonne. Was mir hilft, ist, wenn ich mich mit Freundinnen mit Abstand im Park treffe, aber selbst dann habe ich schlechtes Gewissen, dass ich meine Mama anstecken könnte.
Momentan sind in mein eh schon stressiges Leben noch ein paar mehr Baustellen und Verantwortlichkeiten dazugekommen. Die Arbeit wäre da eigentlich ein gutes Ventil, um mal an etwas anderes zu denken, aber das geht ja nun nicht. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die Gastronomie sich wieder erholt. Da kenne ich so viele liebe Menschen, die wirtschaftlich an der Kante sind, das haben sie nicht verdient. Abgesehen freue ich mich auch wieder selbst als Gast ein Restaurant besuchen, ein Glas in der Sonne trinken, durchatmen – das wäre jetzt schön...