Mit Anfang dreißig geht es los: Eltern fragen nach Enkeln, Geburtsnachrichten flattern in den Briefkasten, Verabredungen finden auf dem Spielplatz statt. Im Schnitt gebären deutsche Frauen ihr erstes Kind mit 30 Jahren, meldet das Statistische Bundesamt.
Auch Stephanie aus Baden-Württemberg hatte vor, in diesem Alter Mutter zu werden. "Seit ich denken kann, möchte ich Kinder", sagt die heute 34-Jährige. "Das ist mein sehnlichster Wunsch". Doch es klappt nicht. Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch wie sie würden oft darüber schweigen, sagt sie: "Ich denke, dass sich viele Frauen dafür schämen, dass sie die gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfüllen können." Um dieses Tabu aufzuheben, sprach sie mit watson.
Als Stephanie 2016 heiratete, starteten ihr Mann und sie noch optimistisch ins Projekt Nachwuchs. Erst als nach zwölf Monaten nichts passiert war, gingen sie zum Arzt, der schnell feststellte, dass es bei dem Paar Fertilitätseinschränkungen gibt. "Es sei ein Lottogewinn, trotzdem auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen, sagte er", berichtet Stephanie. "Das war erstmal ein Schock."
Besuche bei Ärzten und Heilpraktikern blieben ergebnislos. Obwohl die ersten Tests negativ ausfielen, ist Stephanie noch im Gespräch mit einer Kinderwunschklinik. "Einerseits ist das anstrengend, weil man nicht abschließen kann, aber andererseits hofft man doch, dass es irgendwann klappt." Andere Paare zeugen ihre Kinder bei einem weinseeligen Abend, Stephanie und ihr Mann müssen von Praxis zu Praxis. "Ein bisschen hadert man da schon mit dem Schicksal. Warum geht es bei anderen so leicht, nur bei uns nicht?"
Weil sie mit diesen Gedanken in den letzten Jahren nicht alleine sein wollte, startete sie einen Blog und stellte dabei fest: Viele empfinden ähnlich wie sie. Das alleine sei schon ein großer Trost. "Es zeigt mir, dass ich mich in manchen Situationen ganz normal verhalte, obwohl ich mich nicht so fühle. Ich habe zum Beispiel immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich Schwangere sehe und mit ihnen nicht klarkomme. Aber manchen anderen geht es genau gleich", so Stephanie. Welche typischen Situationen für ungewollt Kinderlose belastend sind, erläutert sie anhand ihrer Blogeinträge.
Inzwischen gäbe es fast keine kinderlosen Paare mehr in ihrer Umgebung, erzählt Stephanie. Und das bedeutet auch: Ständig frohe Botschaften von Schwangerschaften und Geburten, Frauen, die ihren Bauch liebevoll umfassen und Ultraschallbilder. Das tut weh, wenn man selbst vergeblich wartet. "Ich versuche Begegnungen mit Schwangeren zu vermeiden", sagt sie. Weil es sie an all das erinnert, was sie nicht haben kann.
Wenn eine Kollegin oder Verwandte Nachwuchs erwarte, sei das jedes Mal ein kleiner Stich ins Herz. "Wenn eine Freundin schwanger wird, beiße ich natürlich die Zähne zusammen", sagt sie, "doch ich habe auch schon Familienfeiern abgesagt, wenn ich ahnte, dass das Kinderthema dort zu präsent sein wird". Jeder Babybauch sei wie ein Spiegel ihrer Probleme, der ihr zuriefe: "Schau mal, bei mir hat es geklappt! Warum kriegst du es nicht hin?"
Träume wie diese seien eine Ausnahme, sagt Stephanie. Doch immer mal würde ihre Traurigkeit durchbrechen, manchmal unerwartet. Was ihr hilft: Rückzug, Ruhe, ein gutes Buch. "Wenn meine Schwägerin mit ihrem Kind da war, setze ich mich schon mal ein, zwei Stunden in den Wintergarten und blase Trübsal, bis es mir selbst reicht", erzählt sie. Tränen wegwischen, das Gedankenkarussell stoppen und weitermachen – noch kann es ja durchaus klappen mit dem Kinderwunsch.
Seit kurzem geht Stephanie zu einer Beratungsstelle, bei der sie ihren Gedanken anonym freien Lauf lassen kann. "Ich wollte lange keine Hilfe von außen annehmen, aber es tut doch sehr gut, alles mal loszuwerden. Und meine Freunde und Familie will ich nicht ständig mit demselben Thema vollquatschen." Wenn der Kinderwunsch für immer unerfüllt bliebe, würde sie sich professionelle Hilfe suchen. "Auch wenn es mir schwerfällt, mir das einzugestehen. Für mich ist es ein Lebenswunsch. Den legt man nicht einfach ab."
Wer die Dreißig überschreitet, wird gerne mal gefragt: Und? Wann ist es bei dir so weit? Eine Frage, die Stephanie selbst nie stellt: "Weil ich weiß, wie schwierig es sein kann, immer wieder an das Problem erinnert zu werden." Sie selbst reagiert inzwischen mit schonungsloser Offenheit. "Leider klappt es bei uns nicht", brächte die Meisten zum Schweigen. Inzwischen würden die Leute in ihrem Umfeld nicht mehr fragen, weil sie Bescheid wüssten, doch es kommt vor, dass sie sich Fremden erklären muss. "Eigentlich ist es ein Thema, das niemanden etwas angeht", sagt sie über ihre Flucht nach vorn. "Aber nur so kann ich mich vor weiteren Fragen schützen."
Gut gemeinte Ratschläge seien ebenfalls ein Thema für sich. Es gäbe so ein paar Sätze, die sie nicht mehr hören will, sagt Stephanie. "Echt ätzend finde ich: 'Sei doch froh, dass du keine Kinder hast, dann kannst du machen was du willst!'" Das käme immer von Menschen, die bereits Nachwuchs hätten und sich über mangelnde Freizeit beschwerten. "Das ärgert mich, weil ich mich dann frage, warum sie überhaupt Kinder bekommen haben. Es ist doch klar, dass ein Kind anstrengend ist und man sich 24/7 darum kümmern muss. Aber ich würde das liebend gerne tun und es wird mir verwehrt. Darüber kann ich nicht froh sein."
Feiertage sind hart für Menschen, die auf Kinder hoffen und Jahr für Jahr verstreichen sehen, ohne dass es klappt. Das weiß auch Stephanie. Den Jahreswechsel 2019 verbrachte sich bei Freunden und musste sich unter Tränen beim Feuerwerk abwenden.
Sie wolle nicht vor Anderen weinen, aber Feiertage wären nun mal besonders emotional. "Es ist eben frustrierend, wenn sich die Enttäuschung wiederholt." Ihr Mann würde sie immer unterstützen, ablenken und in den Arm nehmen. Doch auch er kann nur trösten, nicht die Trauer ganz abnehmen: "Nichts kann das Fehlen eines eigenen Kindes ersetzen."
In den Dreißigern hagelt es Geburten und damit auch Geburtsgeschenke – für andere, die mehr Glück hatten, als man selbst. Stephanie fertigte für die letzten zwei Neuankömmlinge noch Babydecken und -socken in stundenlanger Arbeit her, stellt aber fest, dass ihr das nicht guttut. "Es ist schon sehr bitter, Babysachen für andere zu stricken, wenn man es eigentlich gerne für das eigene Kind täte." Daher lässt sie es nun vorerst sein. Für ihr eigenes Wunschkind habe sie übrigens auch nichts vorbereitet: "Es ist so ungewiss, ob wir jemals Kinder bekommen, da will ich keine Sachen zu Hause liegen haben, die in der Wunde herumstochern."
Schön würde es für sie erst, wenn der Nachwuchs der Freunde bereits auf der Welt sei. Dann würden ihre Muttergefühle die Trauer übertrumpfen. "Ich verwöhne Kinder nach Strich und Faden. Klar bin ich manchmal sehr traurig, wenn ich ein Baby auf dem Arm habe, aber meistens erfreue ich mich einfach an ihnen", sagt sie. Ihre Nichte könnte sie stundenlang durch die Gegend tragen. Noch besser wäre es allerdings, wenn sie selbst irgendwann Mutter sein dürfte. "Ich möchte die ersten Schritte meines Kindes erleben, den ersten Schultag und die erste Liebe", sagt sie. "Ich hoffe weiter darauf, dass ich das irgendwann darf."