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Sexistische Scheiße

Angela Merkel und Annalena Baerbock zeigen: In der Politik ist Sexismus normal

Merkel, Raute
Ähnlichkeiten dieser Frau mit einer früheren Kanzlerin sind natürlich rein zufällig.Bild: Chatgpt / ai
Sexistische Scheiße

Angela Merkel und Annalena Baerbock zeigen: In der Politik ist Sexismus normal

26.11.2024, 08:0426.11.2024, 10:16
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An diesen Tagen auf Tiktok oder X unterwegs zu sein, hat wirklich keinen Spaß gemacht. Am Freitag erschienen diverse Artikel über die Trennung von Annalena Baerbock und ihrem Ehemann Daniel Holefleisch.

Und was das auf Social Media ausgelöst hat, hat mich schockiert: Noch nie habe ich Frauenfeindlichkeit und Sexismus in der Politik als so extrem wahrgenommen wie in diesem Fall. Wenn ein Paar sich nach 17 Jahren Ehe trennt, dann ist das traurig. Nichts, über das man sich lustig machen oder spekulieren sollte. Aber leider ist genau das passiert: Viele der Kommentare (von Männern genauso wie von Frauen) über die deutsche Außenministerin und Grünen-Politikerin sind geschmacklos.

Über "Sexistische Scheiße"
Ronja Brier schreibt in dieser Kolumne über Alltags-Sexismus, den wir alle kennen, selbst erfahren oder in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Der trotzdem oft genug kleingeredet wird oder über den hinweggesehen wird. Unsere stellvertretende Chefredakteurin hat genug davon! In ihren Texten will sie informieren, widersprechen oder sich einfach mal über sexistische Scheiße auslassen.

Kommentare zur Trennung von Annalena Baerbock sind unangebracht

Um zu zeigen, was mich in der Debatte so aufregt, beschreibe ich zumindest grob, was ich auf Social Media gesehen habe:

  • Immer wieder hieß es, Annalena Baerbock habe ihre Karriere über ihre Familie gestellt.
  • Es gibt Spekulationen darüber, ob die Ministerin sich jetzt bei Tinder anmeldet.
  • Alberne Tiktok-Videos, in denen eine Romanze zu Habeck angedeutet wird.
  • Und natürlich ist auch das völlig absurde Gerücht über eine mögliche Affäre von Annalena Baerbock wieder aufgeflammt. Darüber haben wir hier bereits berichtet.

All das ist vielleicht wenig kreativ. Aber das macht es ja nicht weniger schlimm. Die Kommentare über Baerbocks Trennung bleiben absolut unangebracht. Denn unterm Strich liest es sich, als sei sie an allem schuld.

Das meiste ist "nur" respektlos. Doch vor allem der Vorwurf, sie sei eine schlechte Ehefrau und Mutter, ist absolut grenzüberschreitend: Wirklich niemandem außer Annalena Baerbock und Daniel Holefleisch steht es zu, ihre Ehe zu bewerten. Die Gründe, warum die Ehe von Annalena Baerbock gescheitert ist, gehen niemanden etwas an. Sie sind privat.

21.04.2023, Berlin: Annalena Baerbock (B�ndnis 90/Die Gr�nen), Au�enministerin, und ihr Ehemann Daniel Holefleisch kommen zum 70. Bundespresseball "F�r die Pressefreiheit" ins Hotel Adlon Ke ...
Nach 17 Jahren Ehe trennen sich Annalena Baerbock und Daniel Holefleisch.Bild: dpa / Monika Skolimowska

Aber vor allem sind derartige Vorwürfe zutiefst sexistisch. Weil sie besagen, dass Frauen an den Herd gehören und nicht in die Politik (und sie sich nicht wundern brauchen, wenn ihre Familie zerbricht, wenn sie es anders handhaben). Und wenn Frauen besser keine Karriere machen, heißt das nichts anderes, als dass sie nicht gleichberechtigt sind. Dass ein Mann Karriere macht und die Partnerin ihm den Rücken freihält, ist hingegen völlig normal.

Düzen Tekkal verteidigt Annalena Baerbock gegen Kritik

Aber ich würde noch weiter gehen. Ich empfinde derartige Kritik an Annalena Baerbock nicht nur als grenzüberschreitend, sondern auch als gefährlich. Wenn toleriert wird, dass so über unsere Außenministerin, aber auch über berufstätige Frauen allgemein, gesprochen wird, dann ist das fatal.

"Was bedeutet das für unsere Kinder und insbesondere Töchter und ihre Zukunft, wenn sie das Gefühl haben müssen, so dehumanisiert zu werden, wenn sie eines Tages Politiker:innen, Menschenrechtsaktivist:innen oder Unternehmer:innen werden wollen?", fragt auch Menschrechtsaktivistin Düzen Tekkal auf Linkedin. "Der Pushback von Frauenrechten ist real."

Das kann nur schiefgehen, ist die fatale Message derartiger Kritik. Und dass junge Frauen und Mädchen eben doch nicht alles werden können, was sie wollen.

Really, 2024?! Ich dachte, da wären wir schon weiter in der Politik, aber auch allgemein in der Gesellschaft. Ich dachte, es sei klar, dass man Frauen und Mädchen ermutigen sollte, ganz genau wie Jungs.

Die Kleidung von Baerbock ist mehr Gesprächsthema als ihre Politik

Neu ist der Sexismus gegen Annalena Baerbock allerdings nicht. In der Vergangenheit wurde beispielsweise oft intensiver über ihr Äußeres diskutiert als über ihre Politik. Die Inhalte, die ihr wichtig sind, gerieten in den Hintergrund. Dabei wüsste ich weder, welche Relevanz ihr Kleidungsstil hat, noch über welchen männlichen Politiker in ähnlicher Weise gesprochen wurde. Nicht normal ist außerdem, wenn Fotos ihrer Füße auf der Fußfetisch-Seite "WikiFeet" landen:

Dennoch schockiert all das kaum jemanden. (Und eigentlich ist auch das schon ein Skandal.)

Spannend ist übrigens auch, wie unterschiedlich die Partner:innen von männlichen und weiblichen Politiker:innen öffentlich betrachtet werden. Baerbocks Ex-Partner Holefleisch hatte zwar 2021 seinen Job aufgegeben, um sich um die Kinder und Haushalt zu kümmern. Schon 2022 hat er allerdings wieder angefangen, als Kommunikationsberater zu arbeiten: Die Entscheidung wurde hingenommen als etwas Logisches. Als folgerichtig. (Lediglich dass der neue Arbeitgeber eine Lobbyagentur war, sorgte für Kritik.)

Bei der Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde hingegen als ungewöhnlich empfunden, dass sie als deutsche First Lady wieder arbeiten gehen wollte, weil sie das Amt ihres Ehemannes offenbar nicht ganz erfüllte. (Wie kann das sein?)

In den vergangenen Wochen haben wir viel über die US-Politik gesprochen. Haben uns aufgeregt darüber, wie die amerikanischen Wähler:innen ernsthaft einen verurteilten Sexualstraftäter zum nächsten Präsidenten wählen können. Gleichzeitig geht auch in der deutschen Politik noch so viel schief. Gleichberechtigt sind wir noch lange nicht. Das zeigt das Beispiel von der Trennung von Annalena Baerbock leider sehr deutlich.

Angela Merkel macht Männer-Witze: Ist das der Feminismus, den ihr wollt?!

Zufällig sorgte eine andere Politikerin fast zeitgleich mit Annalena Baerbock für Aufsehen auf Social Media. Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat dem "Spiegel" vor der Veröffentlichung ihrer Autobiografie "Freiheit" (VÖ: 26. November 2024) ein Interview gegeben, in dem sie auch nach dem Aus der Ampel befragt wurde.

Auf die Frage "Was dachten Sie beim Anblick des Ampel-Dramas?" antwortete sie: "Männer!" Das Zitat landete auf dem Cover des Magazins – und die dazugehörige Instagram-Kachel in den Storys von unzähligen Frauen, die Merkels Antwort schlagfertig und feministisch fanden.

Aber ich muss zugeben: So richtig checke ich das nicht. Denn es zeigt: In der Politik werden Frauen gefeiert, die 16 Jahre lang als Kanzlerin keine feministische Politik gemacht haben und dann drei Jahre später platte Witze über Männer machen. Merkel hat während ihrer Regierung die Gleichstellungspolitik nicht konsequent genug gefördert. Themen wie gleiche Bezahlung, Frauenquoten oder der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen hätte sie viel stärker priorisieren müssen. Und erst am Ende ihrer Kanzlerschaft, 2021, hat sie sich getraut, sich selbst eine Feministin zu nennen. Viel zu spät.

Das Feministischste an Merkel ist ihre Biografie, ihre mächtige Position. Aber das ist noch kein feministisches Verhalten. Auch Witze über Männer sind nicht feministisch. Merkel verhält sich damit leider kein Stück besser als Männer, die Frauenwitze reißen. Jetzt könnte man bei der Alt-Kanzlerin noch sagen: It‘s another generation. Merkel ist Jahrgang 1954. Es geht mir um das, was auf Instagram abgegangen ist: Von wie vielen jungen Frauen ihr Zitat geteilt wurde, die eigentlich eine andere, solidarischere Vorstellung von Feminismus vertreten.

Mein Humorzentrum hat sie damit jedenfalls genauso wenig getroffen wie die Witze über die Trennung von Annalena Baerbock. Danke, Merkel.

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