Mit 10 habe ich mal für ein Jahr kein Fleisch gegessen. Weil es mir einfach nicht schmeckte. Veganismus oder Vegetarismus waren mir damals genauso egal wie jeder andere "ismus". Beim Essen gab's gut und bäh (natürlich als gut erzogenes Kind zu Tisch als „nein, danke“ formuliert).
Heute funktioniert mein Hirn schon ein klein wenig differenzierter – hoffe ich. Was mir aber immer noch stark gegen den Strich geht: alles Radikale – der "Ismus“. Ich stehe mehr auf Impro – essen, was da ist, und so. Militante Pflanzenfresser gehen mir eigentlich ziemlich auf die Nerven. Vor allem, wenn ich mir mal die Mühe mache zu kochen: eine vegetarische Variante wird mittlerweile vorausgesetzt von den Mitessern – zumindest in der Berliner Hipster-Gemeinde (derer ich mich natürlich zugehörig fühlen will). So habe ich auch den Unterschied zwischen Vegetariern und Veganern schmerzlich am eigenen Herd erfahren: "Wie, du isst das auch nicht. Weil Sahne drin ist?! Wofür dann die extra Veggie- Nummer – arghhh.
Jetzt kommt es doch: Die Zeiten des kleinen Veggie-Hypes sind vorbei. Das ist ein Fakt. Wir sind im echten Veganismus angekommen: Eine knappe Million Deutsche bezeichnen sich als Veganer. Vor zehn Jahren waren es gerade mal 80.000. Ich nehme diesen "ismus" also ernst und will mich damit befassen. Wie?
Alles beginnt mit einem Post an die YouTuberin, die mich in Sachen Veganismus und cooler Lifestyle am meisten überzeugt hat: Lisa Sophie Laurent (338 000 YouTube Follower! Und ein Buch: "ItsColeslaw: Wie ich aufhörte, perfekt sein zu wollen") Hier ist er:
Und tatsächlich - Lisa schickt mir nicht nur ihre veganen Hotspots in Berlin, auch ihr Lieblingsrezept verrät sie mir - übrigens nicht mehr exklusiv für mich, ihr könnt es ab sofort auf ihrer neuen Website von GoDaddy finden! Hier ist der Link zu Lisas Quinoa-Erdnuss-Salat (jetzt bitte nicht gegen Nüsse allergisch sein). Im Video (unten) beschreibt und kocht sie ihn sogar step-by-step nach! Das ziehe ich mir auf jeden Fall auch noch rein, bevor ich selbst loslege.
Klar bin ich gleich losgespurtet, um mir alles zu besorgen. Und nix da – fancy Bio-Laden – gab’s alles im stinknormalen Supermarkt. Wie angenehm. Danke Lisa. Auch das Kochen (eher Zusammenwerfen - nur der Quinoa musste gekocht werden) verlief wie am Schnürchen. Dank meines Sohnes und Superassistenten Philipp! Hier ist der Beweis ...
Dass der Quinoa-Salat MEGA schmeckt, muss ich wohl nicht mehr dazu sagen. Highlight: Die Erdnuss-Sauce! Das beste daran: Alles machbar - auch für Kochchaoten (ich - nicht Philipp, der ist 'n echter Profi!).
Und dann kommt mein großer Vegan-Tag (der Salat gestern war Aufwärmübung - heute NUR noch vegan). Auf Lisas Liste stehen einige Läden. Drei kann ich in einem Tag schaffen. Locker. Vegan braucht man sicher die doppelte Menge. Mindestens!
Mein Anti-Verhungerungsplan: Zum Frühstück erstmal einen fetten Donut. Wenn der nichts taugt, ist es bis zum Mittagessen nicht mehr so lang. Zu Mittag kommt das mutigste Experiment für einen echten Fleischfresser und Junkfood-Junkie: der vegane Burger. Dann Büro. Zum Abschluss geht's (mit Bier – das muss drin sein. Ist doch vegan, oder?) zum Asiaten. Im absoluten Notfall kann ich dort meinen Hunger mit Bier kompensieren.
10.00 Uhr. Als ich bei Brammibals Donuts ankomme, brummt der Magen auch schon gut. Ich bin seit halb sieben wach und habe Oberkohldampf. Dass die Berliner Hipsterläden frühestens um 10 öffnen, habe ich wieder mal verdrängt. Ich bestelle also gleich DREI Donuts. Sie sehen wirklich unglaublich gut aus: Riesig, saftig, bunt, schokonougatschlachtmäßig, fluffig. Eigentlich will ich alle.
Ich muss zwei Leute vorlassen, weil ich in der Riesenvitrine vor lauter Donuts den Wald nicht mehr sehe. Es werden dann: die Geilheit nougat, der Klassiker cinnamon sugar – und: salted caramel hazelnut (das ist nichts: in meiner Schwangerschaft habe ich Cheddar-Käse mit Kinderschokolade gegessen. Ich kann süß und salzig!). Dazu gibt’s den veganen Cappuccino (Zeit wird’s, mein Koffeinlevel ist auf Unterzucker).
Uuuund? Ja, es schmeckt einfach nur GUT. Alle drei – wobei ich die Zucker-Salz-Nummer schon am meisten feiere.
Wider Erwarten kann der Donut ohne Milch, Butter ALLES. Die Konsistenz ist NOCH fluffiger als bei der Butter-Konkurrenz. Auch der Kaffee mit Ersatzmilch schmeckt gleich und besser als sonst. Ich vertilge alle drei 😲 Donuts. Es ist 11 Uhr, als ich den Laden verlasse. Erstaunt. Extrem froh, dass ich nicht verhungern muss. Und: besorgt – weil ja schon in zwei Stunden der dicke Burger ansteht. Halleluja.
13:00 Uhr. Ich schiele auf mein Smartphone, als die Erinnerung erklingt: Veganen Burger bei Lia’s Kitchen. Aua. Jetzt schon Mittagessen - der Pampfburger. Welch TIERische Quälerei. Zum ersten Mal ahne ich, was Lisa meint, wenn sie in ihren Videos darüber spricht, dass sie sich vorgenommen hat, gesünder zu essen. Vor meinem Selbstversuch dachte ich: what?! Als Veganer gesünder ernähren? Was soll das heißen? Nichts mehr essen?! Nur noch trockene Salatblätter?! Lisa vor ihrem türkisen Bücherregal als bleiche Bohnenstange … Besorgt spiele ich die übelsten Szenarien durch.
Nein, liebe Leute: es geht tatsächlich auch anders. Es gibt sie, die total vegane Junkpackung! Und ich durchlebe sie gerade LEIBhaftig.
Angekommen bei Lia's erkundige ich mich, welcher Burger am meisten nach Fleisch schmeckt. Die nette und sehr aufgeschlossene Frau (Seltenheit in Fastfoodläden in Berlin) am Tresen empfiehlt mir den Chickenburger. Chicken ist natürlich kein echtes Huhn – sondern Seitan. Das ist so ein zermanschtes und püriertes Weizengluten, das gebacken eine fleischähnliche Konsistenz hat. Einschließlich Knorpelbissen – wie ich geschockt feststellen muss, als ich das zweite Mal in meinen Burger beiße. Hui – darauf kann ich verzichten.
Der erste Bissen ist ein großes Aha-Erlebnis: Es schmeckt nicht wie ein klassischer Burger, aber irgendwie ganz geil. Ich schmecke Salat, Zwiebel, eine Art süßlich/säuerlicher Käse, etwas Fleischähnliches und das ganze mit tollen Saucen verziert. Die Konsistenz ist eher die eines Sandwiches als die eines Burgers. Sehr viel knuspriger, ganz erfrischend. Und er sieht toll aus – very instagrammable. Über den „Knorpel“ freue ich mich nicht – ich kann aber damit umgehen. Kommt ja im echten Fleisch auch mal vor. Ich kann mich da durchaus "hinein(fr)essen“.
Und dann ist er weg. Der ganze, riesige Burger. Aha. Geht also auch ohne Hunger. Noch ein guter Nebeneffekt: Obwohl ich heute schon massenweise Food in mich hineingeschaufelt habe, läuft es sich schon wieder fast federleicht ins Büro zurück. Das geht mit der echten Fleischbombe (auch halb gelogen) nicht. Zurück am Schreibtisch merke ich: Fastfood bleibt Fastfood. Und Fett bleibt Fett. Vegan oder nicht. Ich stinke genauso wie sonst auch post Fastfood-Laden.
Der Nachmittag läuft. Vielleicht etwas schleppender als sonst. Wahrscheinlich doch ob der ungewohnten Masse an neu zu verarbeitenden Nahrungsmitteln. Was war das noch mal alles? Eiweiß-Gluten-Stampf, aufgebackenes Mandelmus, Bohnenmus, DOOONUUUTS … Mir wird ganz schwindelig … Ich verzichte auf die obligatorische Tafel Schokolade am Nachmittag. Und dann geht’s auch wieder - so gegen sechs. Als ich Richtung Soy – Lisas veganem Lieblingsasiaten – laufe, spüre ich (wenn ich mich fest darauf konzentriere) auch wieder ein klitzikleines Hungergefühl.
Die Stimmung im Asialaden ist schön – mit Kerzen und lila Lichtern. Ich lehne mich zurück, bestelle ein Bier und lasse mich erneut von einem besonders freundlichen Kellner beraten. Was dem Fleisch am nächsten käme? Ein Gericht namens Banh Canh Hap: Dicke Nudeln, Tofu, wieder Seitan (ha – da kenne ich mich ja schon mal aus!), Gemüse, Sojasauce. Why not.
Wieder mega serviert im Bastkorbkonstrukt, dampft mich ein extrem schön angerichtetes Essen an. Beim ersten Happen bin ich fast enttäuscht: Wieder schmeckt es einfach nur wahnsinnig gut. Keine eingschlafenen Füß‘ (als ich meiner Mutter heute Morgen von meinem Experiment erzählte, war das ihr einziger Kommentar); kein Kaugummi (wird veganen Eiweißersatzprodukten immer wieder nachgesagt); kein ranziger Geschmack (höre ich auch öfter von meinen Omnivor-Friends). Im Gegenteil: Ich vermisse nichts. Ich muss nichts kompensieren. Tja.
Die Bilanz nach einem veganen Tag: Geschmacklich kann ich mir den Veganismus so durchaus vorstellen. Aber das waren ja auch die top-of-the-pops – fresh von der veganen YouTube- Königin höchstpersönlich und sorgfältigst recherchiert, erprobt. Mein Geldbeutel ist jedenfalls nach dem Luxus-Vegantag gebeutelt. Wäre er sicher auch sonst, wenn ich drei Mal am Tag fett essen gehe. Aber auch Einkaufen und Kochen geht vegan nicht mehr so easy. Vegansein erfordert schon eine Umdenke.
Alle ideologischen Glaubenssätze habe ich übrigens in meinem Selbsttest extra weggelassen. Wäre viel zu viel "ismus" und viel zu wenig Ess-Muss geworden.