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Urlaub & Freizeit
19.08.2019, 12:1219.08.2019, 12:12
Emilio Rappold, dpa
Amalia beteuert, dass sie nicht übertreibt. "Wir
werden schlechter behandelt als Tiere. Mit uns kann man praktisch
alles machen", versichert die 52-Jährige aus Alicante. Mit "wir"
meint Amalia die rund 200.000 Zimmermädchen Spaniens, die eine
"zunehmend brutale Ausbeutung" seitens der Hotels und anderer
Touristenunterkünfte beklagen.
Nun sagen die Zimmermädchen "Basta!" – und steigen auf die
Barrikaden. Am nächsten Sonntag wollen die "Camareras de piso" in
zahlreichen Städten Spaniens abends auf die Straßen gehen, um auf
ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen und Verbesserungen zu fordern.
Auf den Balearen-Inseln Ibiza und Formentera wollen sie gar mitten in
der Hochsaison 48 Stunden lang, das gesamte Wochenende über, die
Arbeit niederlegen.
Der Tourismus boomt in Spanien, die Zahl der Besucher kletterte von
68 Millionen 2015 auf knapp 83 Millionen im vorigen Jahr. Mit knapp
90 Milliarden Euro gaben die Besucher 2018 über drei Prozent mehr als
im Vorjahr aus, wie das Tourismusministerium mitteilte. Auch in diesem Sommer genießen Millionen Menschen ihren Urlaub an den Stränden Spaniens. Wie schlecht es oft denjenigen geht, die für saubere Duschen und frischbezogene Betten sorgen, ahnen die Besucher wohl kaum. Das wollen die Zimmermädchen mit ihrer Aktion ändern.
Sand, Scherben und Erbrochenes in den Zimmern
Die Demos und Streiks werden von den Regionalverbänden der 2016
gegründeten Interessenvertretung "Las Kellys" organisiert. "Las
Kellys" wird von den Anfangssilben des Spanischen "Las que limpian"
(Die, die sauber machen) abgeleitet. "Die Gewerkschaften haben uns
kaum geholfen. Wir haben gemerkt, das wir uns selber helfen mussten",
erzählt Maria Fresneda, 60, die Sprecherin der Gruppe in Alicante.
Wie schlimm ist die Lage der Zimmermädchen in Spanien? Die "Kellys"
berichten, dass jede "Camarera" zwischen 20 und 30 Zimmer pro Tag,
manchmal auch mehr, schaffen muss. Im Schnitt habe sie pro Zimmer
lediglich 15 bis 20 Minuten Zeit. Da die Frauen auch für die
Reinigung anderer Bereiche des Hotels zuständig sind, reicht das
weder vorne noch hinten. Die Folgen sind unbezahlte Überstunden und
ein stressiges Rennen gegen die Uhr, dem oft Toiletten- oder
Essenspausen zum Opfer fallen.

Bild: dpa
"Ganz schlimm ist es, wenn es an einem Tag besonders viele
Check-out-Zimmer gibt. Nicht selten brauchst du dann eine oder
eineinhalb Stunden für eine einzige Komplettreinigung", sagt Amalias
und Marias jüngere Mitstreiterin, die 40-jährige Vicky. Man finde auf den
Zimmern Erbrochenes, Sand vom Strand, zerbrochene Flaschen,
schmutzige Windeln auf den Betten und "vieles mehr".
Die Arbeit verschleißt den Körper
Es müssen Möbel
gerückt, Matratzen gehoben und schwere Wäschewagen von Zimmer zu
Zimmer geschoben werden. Dazu kommen ständig wiederholte,
gleichartige Bewegungen und der Einsatz aggressiver Reinigungsmittel,
die Allergien auslösen können.
Die Mehrheit der Zimmermädchen bekommt irgendwann Rücken- und
Gelenkprobleme. Amalia erzählt von Eingriffen an der Halswirbelsäule:
"Bin für immer und ewig kaputt."
Maria sagt: "Im Sport ist Doping
verboten. Bei uns ist es aber Alltag, und allen ist es offenbar egal.
Ohne Medikamente gegen Schmerzen, Übermüdung und Depressionen hält
man die unmenschliche Arbeit, die wir machen, nicht aus."
Was denken die Touristen?
Am überfüllten Postiguet-Strand von Alicante hört man an diesem Tag
im August neben Englisch, Spanisch, Italienisch und Französisch auch
viel Deutsch. Martin, 23, aus Bremen ist mit seinen Kumpels hier.
"Also ich glaube nicht, dass es den Putzfrauen im Hotel so schlecht
geht. Das ist ja nicht Afrika hier", sagt er. Mehr Anteilnahme zeigt
Stefanie, 45, aus der Nähe von Frankfurt. "Man achtet ja nicht so auf
diese Personen, aber wenn ich erfahren würde, dass sie schlecht
behandelt werden, wäre das für mich schon ein Grund, nächstes Mal das
Hotel zu wechseln."

Massentourismus: Nur die Farbe des Meers ist noch schön...Bild: Getty Images/iStockphoto
Trinkgeld von den Gästen bekomme man – anders als bis zu den 1990er
Jahren – kaum noch, auch ein nettes Wort sei sehr selten geworden,
sagen die "Kellys". Viele Gäste beschwerten sich heutzutage vielmehr,
wenn das Zimmer nicht schon nach dem Frühstück wieder picobello sei.
"Dann wälzen Rezeption und Etagenchefin den Druck auf uns ab", sagt
Vicky. Es gebe psychischen Druck, Mobbing, Beschimpfungen und
Drohungen.
"Früher mussten wir uns auch abrackern, aber es gab von den Chefs
nette Worte, man hat uns auch mal eine Tasse Kaffee rauf gebracht.
Aber nach der Arbeitsmarktreform von 2012 ist unsere Lage viel, viel
schlimmer geworden", sagt Maria, die bis zu ihrem Ausscheiden 30
Jahre lang in einem großen Hotel am Postiguet-Strand gearbeitet hat.
"Eine Kollegin, die heute anfängt, hält es keine fünf Jahre aus."
Eine Reform verschlechterte die Situation
Seit der Reform, die der damalige konservative Regierungschef Mariano
Rajoy zur Bekämpfung der Krise beschloss, sind stark befristete
Verträge auch für zum Teil wenige Stunden erlaubt. Immer mehr wird
zudem auf Personal von Leiharbeitsfirmen zurückgegriffen. Dieses hat
einen schlechteren Kündigungsschutz, eine schlechtere Altersvorsorge,
weniger Lohn. "Wir bekommen im Schnitt 1000 Euro pro Monat, die
Kolleginnen der Fremdfirmen oft weniger als 700", klagt Vicky.
Die wenigen Hoteliers, die zur Problematik Stellung beziehen, räumen
ein, dass es hier und da Probleme geben könne. Diese seien aber nicht
weit verbreitet und schon gar nicht die Regel. Antonio Catalán
hingegen, Gründer und Chef der AC-Hotel-Kette und einer der
erfolgreichsten der Branche, fordert die Abschaffung der
Arbeitsmarktreform und spricht sich für fest angestelltes Personal
mit allen Rechten aus. "Wenn man das Personal opfern muss, um mehr zu
verdienen, verdiene ich lieber weniger", sagte er schon mehrfach.
Auf Ibiza bereitet derweil "Kellys"-Chefin Milagros Carreño den
ersten Zimmermädchen-Streik auf den Balearen vor. "Bei uns gibt es
Camareras, die bis zu 37 Zimmer pro Tag reinigen müssen", erzählt die
54-Jährige. Vor allem die Sommerzeit, für die meisten Menschen
Ferien- und Freudenzeit, sei für die Zimmermädchen "die Hölle".
Neben einer verbindlichen Regelung der Arbeitsbelastung fordern die
"Kellys" in erster Linie ein Recht auf Vorruhestand, die Anerkennung
von mehr Gesundheitsproblemen als Berufskrankheiten und das Ende der
Auslagerung an Fremdunternehmen. Die Tourismus-Ministerin der
sozialistischen Regierung, Reyes Maroto, stellte jüngst
Verbesserungen in Aussicht. Aber von Versprechungen haben die
"Kellys" genug. "Wir streiken", sagt Carreño.
Philipp Ruland verbrachte seine Jugend zwischen Boxring und Straße und flüchtete sich in das Nachtleben und aggressives Gehabe. Doch hinter dem Mann, der so stark wirkte, verbarg sich ein Kindheitstrauma. Eine Geschichte von Machos, Missbrauch und Heilung.
Philipp ist inzwischen Therapeut und sieht Fälle wie seinen eigenen ständig: Jungs, die versuchen, sich mit Gewalt zu profilieren, weil sie selbst verletzt wurden.