Die Vorbereitungskonferenzen über ein internationales Rahmenabkommen zum Schutz der Artenvielfalt sind in Genf ohne Einigung auf ein unterschriftsreifes Papier zu Ende gegangen. Ende Juni sollen dann im chinesischen Kunming weitere Gespräche stattfinden und schließlich ein Weltnaturabkommen verabschiedet werden. "Die Vertragspartner haben noch viel zu tun", sagte Elizabeth Maruma Mrema, die Chefin des Sekretariats der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD).
Das Abkommen soll weltweit das Artensterben, die Zerstörung der Natur und den Verlust von Lebensräumen für Flora und Fauna stoppen. Das Ziel ist, 30 Prozent aller Meeres- und Landflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Zurzeit sind nur rund 8 Prozent der Meere und 17 Prozent der Böden geschützt.
Für die Umsetzung dieser Ziele ist viel Geld nötig, doch über die Höhe der Mittel wird noch diskutiert. Afrikanische Staaten ließen am Dienstag mit der Forderung aufhorchen, dass reiche Länder ihre Hilfszahlungen bis zum Jahr 2030 auf 700 Milliarden Dollar (638 Milliarden Euro) aufstocken sollten, um ärmere Länder beim Naturschutz zu unterstützen. Das ist wesentlich mehr, als bislang im Verhandlungstext vorgesehen war.
Dass unter den Delegierten keine Einigkeit über die Etappenziele herrschte, mit denen Fortschritte zum Schutz der Biodiversität gemessen werden sollen, kritisieren Umweltorganisationen scharf. "Es ist deutlich spürbar, dass das Thema Biodiversität in den Regierungen nicht die Priorität hat, die es bei der Dringlichkeit dieser Krise bräuchte. Das ist fatal, denn es geht um unsere Lebensgrundlagen", sagte Florian Titze vom WWF Deutschland gegenüber watson.
Friedrich Wulf, Biodiversitäts-Experte von Pro Natura, pflichtet diesen Aussagen auf Nachfrage von watson bei. Er erklärt: "Ohne Pflanzen, Tiere und Ökosysteme gäbe es keine Nahrung, keine Kleidung, keine Fotosynthese und keine Rückgewinnung von Sauerstoff." Auch im Kampf gegen die Klimakrise sei Biodiversität eine wichtige Waffe, beispielsweise weil Wälder und Moore Unmengen an Kohlendioxid speichern.
Doch warum wird dem Thema Artenschutz dann nicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet? Wulf zufolge stehen dahinter vor allem kurzsichtige wirtschaftliche Interessen. Damit die Biodiversität wirklich global gesichert werden könne, sei ein Wandel in der Wirtschaftspolitik dringend notwendig: "Es darf sich nicht mehr lohnen, die Natur auszubeuten."
Biologin Prof. Dr. Juliane Filser erkennt in der fehlenden Priorität des Themas in den Regierungen einen Fall von Lobbyismus: "Anstatt die dringend benötigte Renaturierung, Wiedervernässung und Aufforstung voranzutreiben, wird weiter auf Massenproduktion gesetzt. Und das nicht etwa, um die Welternährung zu sichern – ein völlig verlogenes Argument – sondern um vor allem chemische Industrie, Milch- und Fleischproduktion möglichst hochzuhalten."
Während bei den Verhandlungen in Genf Stillstand herrscht und keine Einigung über Ziele und Maßnahmen erzielt werden kann, macht Prof. Dr. Filser gegenüber watson deutlich, was konkret getan werden müsste, damit die globale Biodiversität gesichert ist. "Den Fleischkonsum und die Lebensmittelverschwendung reduzieren, Moore wieder vernässen, standortgerechte Mischwälder aufforsten, Agroforstwirtschaft und Förderung von ökologischem und integriertem Pflanzenbau vorantreiben."
Außerdem müsse ein Umdenken im Verkehr stattfinden – denn für den Bau von Straßen und Parkplätzen werden täglich Grünflächen zerstört. Filser plädiert deshalb dafür, dass der Handel wieder in die Stadt und in die Dörfer zurückgeholt wird, sodass auf ein eigenes Auto verzichtet werden kann – und stattdessen Fahrrad und ÖPNV zum Einsatz kommen.
Was passiert, wenn der Schutz der Biodiversität weiter vernachlässigt wird und es zu keiner Einigung kommt, will sich Filser gar nicht erst vorstellen: "Ich beobachte seit Jahrzehnten einen so massiven Rückgang vor allem an Insekten, dass mir angst und bange wird." Dies kann auch für die Landwirtschaft ein Problem werden: "Allein durch den Verlust an Bestäubern ist mit massiven Ertragsverlusten zu rechnen."
Gleichzeitig geht die Biologin davon aus, dass der Artenverlust auch dazu beitragen wird, dass sich Viren und Parasiten schneller ausbreiten: "Covid-19 ist dabei nur eines von vielen Beispielen." Der Biodiversitäts-Experte Friedrich Wulf geht noch einen Schritt weiter: "Wenn der Biodiversitätsverlust weiter voranschreitet, werden wichtige Ökosystemleistungen und Ressourcen fehlen und unser Planet nicht mehr funktionieren."
Wulf betont, dass es zwingend eine Einigung brauche, die den Stand der Wissenschaft und die Ergebnisse des Weltbiodiversitätsrats IPBES berücksichtigt. Doch leider sei ihm bewusst: "Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt."
(mit Material der dpa)