Nur wenige Wochen nach ihrer Ernennung zur Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt in Berlin stand Manja Schreiner (CDU) unter massiver Kritik. Der Grund: Eigentlich geplante Radwege sollten vorerst nicht weiter ausgebaut werden, wenn dafür ein Parkplatz oder Fahrstreifen wegfallen würde.
Das Entsetzen in der Hauptstadt und weit darüber hinaus war riesig – nicht nur bei Umweltverbänden und Klimaaktivist:innen. Die Botschaft vom "Radwege-Stopp" verbreitete sich auf Twitter und in den Medien wie ein Lauffeuer.
Doch das mit dem "Radwege-Stopp" stimme so alles nicht, sagt Manja Schreiner im Interview mit watson. "Es war eine Mitarbeiterin aus unserem Haus, die einen falschen Inhalt kommuniziert hat." Doch als der Fehler bemerkt wurde, war es längst zu spät – "von da an war das Wort 'Radwege-Stopp' in der Welt". Jedweder Versuch, zu erklären, dass die Radwege lediglich überprüft würden, lief ins Leere.
Mittlerweile ist die wochenlange Prüfung der Radwege, für die eigens eine Taskforce ins Leben gerufen wurde, beendet worden. Das Ergebnis: Bei 16 von 19 Projekten hat der neue Senat eingewilligt, drei Radwege werden vorerst nicht realisiert. Darunter die Radwege in der Stubenrauchstraße in Neukölln, die Roedernallee in Reinickendorf und die Blankenfelder Chaussee in Pankow. In eben diesen Straßen sei eine "Neubetrachtung der Planungen notwendig", wie die Behörde mitteilte.
Doch das oberste Credo, das wird die Senatorin nicht müde zu betonen, bleibt:
Dieses Vorhaben klingt natürlich gut. Was die Senatorin dazu nicht sagt: Gesetzlich ist sie dazu verpflichtet, jährlich mehr Kilometer an Radwegen zu bauen. Festgehalten ist das im Radverkehrsplan: 2023 muss demnach eine Strecke von 60 Kilometern in Berlin bauen, 2024 sind es bereits 100 Kilometer, 2025 200 Kilometer. Bis 2030 sollen so insgesamt 2376 Kilometer Radnetz im Stadtgebiet gebaut werden.
Dass der Rad-, Fuß- und öffentliche Verkehr in Berlin gestärkt werden soll und sogar muss, hat auch mit dem Berliner Volksentscheid von 2018 zu tun, der ein in Deutschland einmaliges Mobilitätsgesetz erwirkt hat.
Darin verankert waren klare Ziele des rot-grün-roten Senats, um Formen neuer Mobilität zu fördern: Regeln für E-Roller, Sharing-Angebote im Stadtverkehr oder eine Neuverteilung der Verkehrsflächen sowie auch ein Stadtzentrum ohne Verbrennermotoren. Oder anders gesagt: Vorhaben, die allesamt zur Mobilitätswende beitragen. Weniger Autos, mehr Fahrräder, mehr Freiheit.
Und all dies waren Vorsätze, die bislang als Voraussetzung galten, um den weiterhin notwendigen Wirtschaftsverkehr flüssiger und effizienter zu machen. Doch anstatt diese Ziele auszubauen, strich der mittlerweile schwarz-rote Senat den Absatz mit den grünen Zielen kurzerhand aus dem Gesetzestext.
Das Vorgehen fügt sich in die im Wahlkampf verkündeten Ambitionen der CDU, die mit Botschaften, wie "Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten" polarisierten. Ähnlich schreibt es die Fraktion auch auf ihrer Website: "Rot-Grün-Rot verteufelt das Auto, will die Berliner zu Radfahrern umerziehen. Doch dieser Kulturkampf bringt Berlin nicht voran. Er ist keine Antwort auf die verkehrlichen Herausforderungen der Zukunft."
Über diese Aussagen muss der Verkehrsexperte Andreas Knie schmunzeln. Er leitet seit 2020 die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und erklärt gegenüber watson:
Im Senat wüsste Knie zufolge auch jede:r, dass es sich bei diesen Slogans um reine Rhetorik handele. Aber wie steht es um die breite Masse der Gesellschaft? Immerhin schreibt die CDU-Fraktion auf ihrer Website weiter, dass sie sich für eine "faire Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und intelligente Lösungen" einsetze.
Auf Nachfrage von watson erklärt Verkehrssenatorin Manja Schreiner dazu:
Stattdessen würde die Verwaltung die richtigen Rahmenbedingungen schaffen – durch einen Ausbau und eine "Attraktivitätssteigerung" des ÖPNV sowie "sichere Rad- und Fußgängerüberwege, damit die Menschen auf den Umweltverbund setzen".
Schreiner ergänzt:
Auch, wenn noch deutlich mehr passieren müsse, sieht Verkehrsexperte Knie, dass es vorangeht mit der Mobilitätswende. Er betont: "Es gibt kein Zurück mehr zur Auto-Gesellschaft. Das machen alle anderen Metropolen der Welt nicht mehr, da wird das auch Berlin nicht machen."
Dies lässt – zumindest auf den ersten Blick – auch eine vom Berliner Senat veröffentlichte Erhebung vermuten, der zufolge das Verkehrsaufkommen in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. Verkehrsexpert:innen zweifeln die Methodik – und damit das Ergebnis – dem "Rbb24" zufolge aber an.
Der Grund: Statt die mit dem Auto zurückgelegten Kilometer zu zählen, wurden die Autofahrten selbst gezählt. Die sind zwar gesunken, allerdings wurden dafür weit längere Strecken zurückgelegt, sprich: Es wurden mehr Kilometer gefahren. Mit Blick auf den Klimaschutz und die CO2-Emissionen kommt es aber auf eben diese gefahrenen Kilometer an, nicht auf die geringere Anzahl an Fahrten selbst.
Das erklärt auch ein gänzlich anderes Ergebnis einer vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Auswertung: Demnach wurden 2017 in Berlin 56 Prozent aller zurückgelegten Kilometer mit dem Auto gefahren. Auf den ÖPNV entfielen etwa 36 Prozent. Mit dem Rad oder zu Fuß wurden lediglich fünf beziehungsweise drei Prozent zurückgelegt. Ob sich die Zahlen großartig verändert haben, wird sich bald zeigen – sie werden derzeit erneut erhoben.
Eines wird aber auch bei der Erhebung des Senats mit Blick auf die absoluten Zahlen der Autofahrten deutlich: Beim Pendlerverkehr mit dem Auto zwischen Berlin und Brandenburg gibt es einen enormen Zuwachs.
Dem will auch Verkehrssenatorin Schreiner etwas entgegensetzen: "Vor allem wollen wir die Menschen in den Außenbezirken besser an den ÖPNV anbinden", sagt sie im Gespräch mit watson und ergänzt: "Ich werde in meinen dreieinhalb Jahren dazu beitragen, Planungsverfahren zu beschleunigen."
Im Fokus stünden dabei die Zusammenarbeit mit Brandenburg und die Schaffung von Park & Ride-Parkplätzen an den U- und S-Bahnhaltestellen in Außenbezirken und im Brandenburger Umland. Dabei sei es wichtig, dass man die Bahnhöfe und Haltestellen auch mit dem Fahrrad gut erreicht.
Dafür braucht es Verkehrsexperte Andreas Knie zufolge vor allem eines: Mut. Und den Blick nach vorn, der zeigt, dass Städte wie Barcelona, Utrecht, Amsterdam und Paris die Mobilitätswende Schritt für Schritt und Tritt für Tritt schaffen. "Bisher aber war Berlin, das muss man deutlich sagen, nicht mutig."