Nachhaltigkeit
Interview

Luisa Neubauer kritisiert Letzte Generation: Radikale Aktionen nicht wirksamer

Luisa Neubauer ist das Gesicht der deutschen Klimabewegung und ist davon überzeugt, dass es Fridays for Future insbesondere in unruhigen und harten Zeiten wie derzeit benötigt.
Luisa Neubauer ist das Gesicht der deutschen Klimabewegung und ist davon überzeugt, dass es Fridays for Future insbesondere in unruhigen und harten Zeiten wie derzeit benötigt. bild: watson / josephine Andreoli
Interview

Luisa Neubauer: "Wandel kommt nicht schneller, wenn man zu radikaleren Maßnahmen greift"

Vor fünf Jahren brachte Greta Thunberg Fridays for Future ins Rollen. Seitdem hat die Klimabewegung viel erreicht. Doch die Blockaden der Letzten Generation sorgen bei vielen Menschen für Frust. Im Interview mit watson erzählt Luisa Neubauer, warum es gerade deswegen jetzt Fridays for Future braucht.
13.08.2023, 15:28
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Watson: Luisa, obwohl sich derzeit etliche Krisen wie Waldbrände und Überschwemmungen ereignen, hört man wenig von Fridays for Future. Wie blickst du auf die Zukunft der Bewegung?

Luisa Neubauer: Ein ganz großes Ziel, das wir erreicht haben, ist, dass auch ohne, dass wir täglich auf der Straße stehen, übers Klima gesprochen wird. Das war harte Arbeit. Und wir sehen auch laut neuesten Zahlen vom Bundesumweltamt, dass eine überwältigende Mehrheit der Deutschen mehr Klimaschutz will und auch einfordert. Es ist etwas eingetreten, für das wir hart gekämpft haben, nämlich, dass es einen Konsens für den Klimaschutz gibt. Und das ist eine ganz große Errungenschaft, die auch bedeutet, dass wir uns auf andere Dinge konzentrieren können.

Zum Beispiel?

Auf die Einhaltung jährlicher Emissionsziele oder die konkrete Umsetzung von Energie- und Verkehrswenden. Das ist nicht immer eine Schlagzeile, aber genauso wichtig. Wir sind ja auch nicht da, damit wir da sind, sondern damit sich etwas verändert. Und das bedeutet, dass sich unsere Aufgaben mit der Zeit verändern. Natürlich müssen wir uns aber fragen, was es ist, das wir brauchen: Braucht es mehr Massenmobilisierung? Wie können wir den Druck auf die Regierung erhöhen?

Wo auch immer Luisa unterwegs ist und sich für das Klima einsetzt: Ihre Follower:innen nimmt sie immer mit.
Wo auch immer Luisa unterwegs ist und sich für das Klima einsetzt: Ihre Follower:innen nimmt sie immer mit.bild: watson / josephine andreoli

Du hast dich eben auf die Umweltbewusstseinsstudie bezogen. Daraus geht auch hervor, dass die Menschen Angst vor dem sozialen Abstieg aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen haben. Welche Lehre ziehst du daraus?

Das ist eine valide und ernst zu nehmende Sorge darüber, wie Klimaschutz gestaltet werden muss. Es geht nicht um die Frage, ob Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, sondern darum, dass das sozial gerecht passiert und die Leute das richtig vermittelt bekommen. Die Geschichte, dass Klimaschutz eine Wohltat gegenüber dem Eisbären ist, muss dringend umerzählt werden hin zu einer Geschichte, in der es darum geht, Menschen und das Wohlergehen aller zu schützen, egal wie reich oder arm man ist.

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Glaubst du, dass diese Geschichte langsam bei den Menschen ankommt, auch weil die Klimakrise durch Brände, Dürren und Überschwemmungen weniger abstrakt ist?

Die Arbeit, die uns diese Katastrophen dabei abnehmen, liegt bei ungefähr null. Bestimmt gibt es Menschen, die durch die Feuer oder Überschwemmungen realisieren, dass die Klimakatastrophe kein fernes Zukunftsproblem ist, sondern ein großes und gewichtiges Gegenwartsproblem. Gleichzeitig sehen wir auch, dass diese Katastrophen dazu führen, dass die Menschen im Zweifel resignieren, weggucken oder in Zynismus verfallen. Denn eine Flut sagt dir nicht, wie alles schöner, besser und sicherer werden könnte, das müssen wir tun.

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Bei den verheerenden Bränden auf Hawaii sind bereits über 50 Menschen gestorben, viele mussten fliehen.Bild: AP / Rick Bowmer

Und wie könnte es schöner, besser und sicherer werden?

Indem wir die Lösungen umsetzen, die wir schon längst zur Hand haben. Aber nur weil es diese Lösungen schon gibt, dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass sie umgesetzt werden. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Luft und Flüsse sauberer, die Städte sicherer, das Essen gesünder und die Menschen besser angebunden werden. Aber ab dem Moment, ab dem wir das tun, könnte es wirklich gut werden.

"Ich finde es sehr besorgniserregend, dass junge wie alte Menschen so verzweifelt sind, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen, als sich auf die Straße zu kleben."
FFF-Aktivistin Luisa Neubauer

Wir haben die Pläne und die Programme, die dazu beitragen, dass wir nicht mehr ungebremst von einer Krise in die nächste schlittern. Und die nächsten Katastrophen, Hitzewellen und Überschwemmungen werden kommen, das wissen wir ja. Aber mit den richtigen Klimaschutzmaßnahmen können wir dafür sorgen, dass wir eine resiliente Gegenwart aufbauen. Und auch wenn das abstrakt klingt: Die allermeisten Klimaschutzmaßnahmen wären selbst dann gute Maßnahmen, wenn es die Klimakrise gar nicht geben würde.

A view on a restaurant on Rue de Rivoli in Paris, France on June 6, 2023 (Photo by Foto Olimpik/NurPhoto via Getty Images)
Mehr Platz für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen – mehr Platz zum Leben. Paris gilt dahingehend als Vorbild.Bild: NurPhoto / NurPhoto

Das musst du genauer erklären.

Es macht doch einfach Sinn, dass Kinder auf ihrem Schulweg sicher sind, dass die Luft, die wir einatmen uns nicht krank macht und dass gesundes Essen für alle bezahlbar ist – und nicht nur für die Privilegierten.

Durch die Straßenblockaden der Letzten Generation reagieren viele mittlerweile schon genervt, wenn sie das Wort Klimaschutz nur hören. Leidet die Klimapolitik darunter?

Ich verstehe, dass die Leute wütend sind angesichts der Klima-Ignoranz von weiten Teilen der Regierung. Und ich finde es sehr besorgniserregend, dass junge wie alte Menschen so verzweifelt sind, dass sie sich nicht anders zu helfen wissen, als sich auf die Straße zu kleben. Ich glaube, dass es ein Missverständnis darüber gibt, wie Wandel passiert und wie man ihn beschleunigt. Politischer Wandel kommt nicht kategorisch schneller, indem man zu radikaleren Maßnahmen greift.

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Von den Straßenblockaden der Letzten Generation sind viele Menschen genervt – das führt auch zu Gewalt.Bild: X03862 / CHRISTIAN MANG

Sondern?

Ein schneller Wandel kommt dadurch, dass man noch strategischer wird. Und deswegen ist es gerade die große Aufgabe, strategisch zu bleiben – gerade, wenn die Zeiten hart werden. Es ist nicht immer wirksamer, wenn man doller draufhaut. Es kann auch wirksamer sein, wenn etwas ganz leise und unverhofft aus unerwarteten Ecken kommt.

"Wann wacht der Kanzler auf und hört auf am Rand zu stehen und dabei zuzusehen, wie sich seine Minister die Köpfe einschlagen – was auf Kosten sämtlicher Stimmungen geht?"
FFF-Aktivistin Luisa Neubauer

Hast du ein Beispiel dafür?

Wenn man sich für ein Tempolimit einsetzt, ist es im Zweifelsfall wirkungsvoller, eine Runde FDP-Wähler zu finden, die sich davon überzeugen lässt und dafür einsteht, als noch eine Straßenblockade. Es gibt Momente, in denen disruptiver Ungehorsam total wirksam sein kann. Aber wir haben bislang keinen Anlass, davon auszugehen, dass er kategorisch wirksamer ist. Und wir müssen bedenken, dass gewisse Aktionen Menschen und politische Entscheidungsträger im schlimmsten Fall auch abschrecken können.

Und was bedeutet das für Fridays for Future?

In einer Zeit, in der wir sehen, dass sehr viele Menschen negativ gegenüber Klimaschutzmaßnahmen eingestellt sind oder Vorbehalte haben, ist es ist dramatischerweise auch ein bisschen zu unserer Aufgabe geworden, Menschen für den Klimaschutz zu begeistern. Auch wenn das eigentlich nicht unser Job sein sollte, sondern der der Regierung – aber sie macht es nicht.

"Wir müssen anerkennen, dass es freie Demokratien auf einer drei Grad wärmeren Welt nicht geben kann."
FFF-Aktivistin Luisa Neubauer

Die Ampel-Regierung hat ihre Halbzeit fast erreicht. Wie lautet dein Zwischenfazit?

Wir befinden uns in einer hochgradig beunruhigenden Lage. In dieser Legislaturperiode muss so viel passieren, es muss nach den 16 Jahren Merkel so viel aufgeholt werden. Aber anstatt sich in den Aufholmodus zu begeben, hat man das Kindertheater eingeleitet und sich die letzten zwei Jahre mit Streitigkeiten innerhalb der Regierung beschäftigt. Und das gefährdet ein ganz, ganz wichtiges Gut in der Klimakrise.

02.07.2023, Berlin: Luisa Neubauer, Klimaaktivistin f
Vor allem in schwierigen Zeiten ist es Luisa Neubauer zufolge wichtig, die Menschen für Klimaschutz zu gewinnen. Bild: dpa / Christophe Gateau

Welches?

Die Bereitschaft und Begeisterungsfähigkeit der Menschen, die ihre Geduld verlieren, die ihr Verständnis verlieren, die ihr Vertrauen verlieren. Und all das ist schwer wiederzubekommen. Ich gucke mit großen, fragenden Blicken auf den Kanzler: Wann wacht der Kanzler endlich auf und hört auf am Rand zu stehen und dabei zuzusehen, wie sich seine Minister die Köpfe einschlagen – was auf Kosten sämtlicher Stimmungen geht? Unter Merkel mag so ein Regierungsstil funktioniert haben. Jetzt tut es das nicht mehr. Die Krisen sind zu heftig. Das Verhalten ist zögerlich und zündelnd. Scholz verspielt bisher unsere historische Chance, aus diesen Krisen herauszukommen.

Dieser Vertrauensverlust spiegelt sich auch in Umfrageergebnissen wider. Die der Grünen sind in den Keller gerasselt, die AfD triumphiert. Wie sehr besorgt dich diese Entwicklung?

Wir sehen, wie sich die großen Grundsatzfragen unserer Zeit verschränken. Der Schutz der Lebensgrundlagen, der Schutz der Demokratie – das gehört zusammen. Jetzt sind alle demokratischen Parteien gefragt, zusammenzuarbeiten. Denn genau das ist ja das Ziel der AfD: Die Demokratie zu zersetzen. Und da zieht sich im Zweifel nicht nur eine Brandmauer gegen die Demokratie auf, sondern auch eine ökologische. Wir müssen anerkennen, dass es freie Demokratien auf einer drei Grad wärmeren Welt nicht geben kann.

Allein unserer Demokratie wegen müssen wir verhindern, dass sich die Katastrophen weiter überschlagen und bei den Menschen immer größere Zukunftsängste schüren. Wir müssen ein Verständnis dafür entwickeln, wie gut wir es auf dieser Welt haben könnten und dass sich Kinder irgendwann weniger Sorgen machen könnten, wenn wir uns heute ein bisschen mehr Sorgen machen und auch dahingehend handeln.

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