Dieser Sommer ist ein Sommer der Extreme.
Gravierende Hitzewellen haben zahlreiche Regionen weltweit erfasst: In Italien, Spanien und Griechenland ächzen die Menschen unter Temperaturen um die 45 bis 48 Grad. Und auch in den USA und China konnten traurige Rekorde gemessen werden: Temperaturen von weit mehr als 50 Grad.
Die nicht seltene Folge der Hitze und Trockenheit: heftige Waldbrände. Im Juni versank New York City aufgrund der verheerenden Waldbrände in Kanada in grau-gelbem Dunst. Seit dem Wochenende toben auch auf der beliebten griechischen Urlaubsinsel Rhodos schwere Waldbrände.
Dazu kommen heftige Unwetter, die über die Länder hinwegfegen – und Bilder der Zerstörung hinterlassen. Tornados. Tennisball-große Hagelkörner. Überschwemmungen. In Mailand trieb gar ein Meer aus Eisschollen durch die überfluteten Straßen.
Die Folgen der Klimakrise – plötzlich überschlagen sie sich. Überall auf der Welt.
Doch anstatt, dass sich die Menschen für mehr Klimaschutz starkmachen und auch entsprechend wählen, zeichnet sich derzeit ein eher gegenteiliges Bild ab: ein Rechtsrutsch. Ein Festhalten an altbekannten Strukturen, am Status Quo – und am Beiseiteschieben des größten Problems unserer Zeit: der Klimakrise. Und damit auch ihrer Lösung.
Woran aber liegt es, dass die Abwehrhaltung der Menschen gegenüber Klimaschutzmaßnahmen so groß ist?
Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ist über die Abwehrhaltung der Menschen nicht weiter verwundert. Unser Gehirn ist ihm zufolge darauf ausgerichtet, den Status Quo beizubehalten – weil das am wenigsten Anstrengung erfordere. Gegenüber watson erklärt er:
Trotzdem geht der Wissenschaftler davon aus, dass sich zumindest Verunsicherung angesichts der sich überschlagenden Katastrophen unter fast allen Menschen breitgemacht hat.
Kliche erläutert: "Wir stehen vor wirklich tiefen Veränderungen, unter dem Druck unkontrollierbarer Krisen und äußerer Bedingungen." Diese Angst vor Veränderungen löse bei einigen unangenehme Gefühle aus, die sie an denjenigen ausließen, die versuchen würden, den Menschen die Augen zu öffnen. Etwa, indem sie Klimaaktivist:innen der Letzten Generation verprügeln.
"Es wächst ein Hass auf Menschen, die moralisch handeln und ihr Leben ethisch ausrichten. Die waren ja schon immer unbequem", sagt Kliche. "Um kein schlechtes Gewissen zu haben, führt er [der Mensch] dann lieber Kulturkämpfe um Fleischkonsum, Verbote, Tempolimit – auch die Debatte ums Gendern wird davon befeuert."
Dazu kommt: "Wenn man den drohenden Klimakollaps ernst nimmt, muss ganz viel schnell in Gang gebracht und verändert werden. Da steckt man lieber erstmal den Kopf in den Sand."
Dieses Phänomen wird in der Psychologie auch als "cognitive miser" bezeichnet, kognitiver Geizhals. Das bedeutet: Wir Menschen neigen dazu, Probleme auf möglichst bequeme und einfache Weise zu lösen.
Umso wichtiger sei es, dass die Politik die Ursache für die Abwehrhaltung der Menschen erkenne. Doch das passiere nicht: "Die Politik ignoriert die Angst und Abwehr bislang ja nicht, sondern spiegelt sie", kritisiert Kliche. Er ergänzt:
Was es brauche, seien "greifbare Veränderungen". Deswegen würde auch die Kommunalpolitik für viele Felder immer wichtiger. So könnten die Menschen Kliche zufolge am eigenen Leib erleben und sehen, dass Innovation machbar ist, funktioniert, sich lohnt. Er sagt: "Dann wird der Erfolg sichtbar und das Gekeife verstummt."
Das hat sich auch am Beispiel der von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo eingeführten "15-Minuten-Stadt" gezeigt. Weil die Straßen hauptsächlich für Fußgänger:innen und Fahrradfahrende Platz bieten und die Stadt möglichst autofrei werden sollte, hatten sich die Bürger:innen zunächst gesträubt. Hidalgo ignorierte die Abwehrhaltung – und führte das Stadtkonzept trotz allem ein. Mit Erfolg – schon kurze Zeit später erkannten die Bürger:innen die vielen Vorteile einer autofreieren Innenstadt.
Auf die Frage, was die Politik besser machen könne, hat Kliche eine klare Antwort: "Alles. Prozess- wie Ergebnisqualität vieler Regierungen sind inzwischen unterirdisch." Die Ampel-Regierung müsse klare Ziele vereinbaren, gemeinsam hinter diesen stehen und deren Umsetzung aktiv vorantreiben. Kliche ergänzt:
Deswegen sei es die Aufgabe der Politiker:innen und Parteien, dafür zu werben und das Land tatsächlich führen zu wollen. "Wir brauchen überzeugte Menschen, die Karriere und Parteiprofilierung zurückstellen hinter den menschheitlichen Auftrag von Zivilisations-, Klima- und Lebensschutz."
Seit Jahren würden Tausende vernünftige Fachleute auf "einige Abermillionen verantwortungsloser, feiger, gieriger Kindsköpfe" einreden – ohne Erfolg. "Es war egal", sagt Kliche und fügt hinzu:
Jetzt sei die Zeit gekommen, in der sich die Mehrheit entscheiden müsse – für moralisch und politisch dringend notwendige Veränderungen, oder für ein "faules Weiter-so". Sollte es auf Letzteres hinauslaufen, müssten wir uns aber eines klarmachen: "Wenn die Mehrheiten weiter auf ihrem Kurs bleiben, geht diese Zivilisation demnächst unter. Die Zeit für den Schmusekurs ist abgelaufen."