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Klimaschutzgesetz: Die Bundesregierung lügt uns ins Gesicht

BERLIN - MARCH 13: Rush hour traffic makes its way through the district of Steglitz on the ninth day of a strike by Berlin public transit authority (BVG) workers on March 13, 2008 in Berlin, Germany.  ...
Die bislang verbindlichen Sektorziele für Emissionen fallen weg – und machen das Klimaschutzgesetz zu einer Farce. Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
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Neues Klimaschutzgesetz: Die Bundesregierung lügt uns ins Gesicht

21.06.2023, 19:23
Mehr «Nachhaltigkeit»

Angetreten ist die Ampelregierung damals, im Superwahljahr 2021, mit einem großen, grünen Versprechen: mehr Klimaschutz. Der Druck der Fridays for Future-Aktivist:innen – und auch der Bevölkerung – schien die Regierungsparteien im Würgegriff zu halten. Denn die Zeit, die Pariser Klimaziele noch zu erreichen, wird knapper, unwahrscheinlicher, utopischer gar. Und das mit jedem Tag und jeder abgeschwächten oder nicht umgesetzten Klimaschutzmaßnahme.

BERLIN, GERMANY - AUGUST 24: A boy walks past election campaign billboards showing Robert Habeck and chancellor candidate Annalena Baerbock of the German Greens Party (L) and Olaf Scholz, chancellor c ...
Im Wahlkampf zur Bundestagswahl war der Klimaschutz eines der wichtigsten Themen.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup

Tja, herzlichen Glückwunsch. Denn heute ist ein Tag, an dem – wieder einmal – eine wichtige Klimaschutzmaßnahme abgeschwächt wurde. Das große, grüne Versprechen nach mehr Klimaschutz – es ist geplatzt, wie eine Seifenblase. Und die Zeit, die uns noch bleibt, wird knapper und knapper.

Tick, tack. Tick, tack.

Die Bundesregierung sieht das natürlich anders, oder verkauft es zumindest so – als "Flexibilität". Dabei sollte man diese sogenannte "Flexibilität" einfach mal als das benennen, was sie ist: Eine Mogelpackung. Oder: ein Versprechen, das nur die halbe Wahrheit berücksichtigt.

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Anstatt dass alle Ministerien mit den dazugehörigen Wirtschaftsbereichen ein jährlich schrumpfendes und festgesetztes CO2-Ziel erreichen müssen, wird das Klimaschutzgesetz aufgeweicht. Fortan gibt es ein CO2-Gesamtbudget, das sie gemeinsam erreichen müssen. Heißt: Wenn etwa das Verkehrsministerium seine Ziele nicht erreicht, ist das halb so wild, wenn stattdessen beispielsweise das Landwirtschaftsministerium mehr CO2 einspart und das Gesamtziel dadurch nicht gerissen wird.

"Statt für mehr Klimaschutz zu sorgen, macht die Ampelregierung das zentrale Instrument im deutschen Klimaschutz zur Farce."

Klingt erst einmal nicht verwerflich. Wäre da nicht ein großes "aber". Denn: Es werden nicht allein die Sektorziele der einzelnen Bereiche abgeschafft – also etwa Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude. Sondern es fällt auch die jährliche Überprüfung und Nachsteuerung bei nicht erreichten CO2-Einsparzielen weg. Dazu kommt noch, dass eigentlich keines der Ministerien so viel CO2 einspart, dass es die Versäumnisse eines anderen noch auffangen könnte.

Im Klartext heißt das: Statt für mehr Klimaschutz zu sorgen, macht die Ampelregierung das zentrale Instrument im deutschen Klimaschutz zur Farce.

Tick, tack. Tick, tack.

Die Klimakatastrophe rückt näher und näher.

An aerial view of destroyed beachfront homes in the aftermath of Hurricane Nicole at Daytona Beach, Florida, on November 11, 2022. - The rare late storm sparked mandatory evacuation orders just weeks  ...
Die Klimakrise fördert Extremwetter. Durch beispielsweise Hurrikans werden ganze Regionen zerstört.Bild: AFP / RICARDO ARDUENGO

Dabei hatten sich alle demokratischen Parteien – also auch die Ampel-Regierung – darauf verständigt, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad und höchstens auf zwei Grad zu beschränken. Klingt ja auch gut, immerhin warnen Forschende seit Jahren, dass eine um drei oder vier Grad erhitzte Welt sich multiplizierende Krisen mit sich bringt. Nicht mehr lebenswert ist.

Und weil (leider) alles erst dann wichtiger wird, wenn man selbst betroffen ist: Das gilt auch für uns in Deutschland. Auch wir bleiben nicht von den verheerenden Konsequenzen verschont.

Wie also kann es sein, dass die Regierung uns, aber auch sich selbst, in die Tasche lügt? Der Regierung muss klar sein, dass sie das Klimaschutzgesetz heute vehement abgeschwächt hat. Genauso wie kürzlich das Heizungsgesetz – und das sind nur zwei Beispiele.

Wie nur können sie das vor sich selbst, vor ihren Kindern, Enkelkindern und der Gesellschaft rechtfertigen? Wie wollen sie in zehn, 15 Jahren mit dem Wissen in den Spiegel blicken, dass sie Mitschuld daran tragen, dass die Welt ist, wie sie ist. Herzlich willkommen in der Klimakatastrophe.

07.06.2023, Brandenburg, Jüterbog: Rauch steigt aus einem Waldstück nahe Jüterbog in die Höhe. Starker Wind hat den vor einer Woche ausgebrochenen Waldbrand bei Jüterbog nach Angaben der Einsatzleitun ...
Klimakrise in Deutschland: Riesige Wälder brennen. Bild: TNN / Sven Kaeuler

Und das nur, um sich und uns noch ein klitzekleines bisschen länger vorzugaukeln, die Welt wäre in Ordnung. Die Hitzesommer – einzelne Ausreißer. Die Waldbrände – lediglich Folgen der warmen Sommer. Die Unwetter – Wetter halt. Die Ernteausfälle, die kippenden Gewässer, das Fischsterben.

Aber nein, negativ beeinflussen werden die geplanten Änderungen die Klimapolitik nicht, ganz sicher! "Das Gesetz hat keine Auswirkungen auf unsere Klimaschutzpolitik", sagt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Kurze Frage dazu: Wenn das so ist – warum genau machen wir das dann und lassen das Gesetz nicht, wie es ist? Und weiter sagte Wissing: "Denn wir sind seit Beginn der Legislaturperiode dabei, den Mobilitäts- und Verkehrssektor klimaneutral zu stellen."

Ja – aber wie denn? Ein Sofortprogramm, wie das Verkehrsministerium die verfehlten Ziele doch noch erreichen könnte, hat Wissing nämlich auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nachgereicht.

German Chancellor Olaf Scholz (R) speaks with German Minister for Transport and Digital Affairs Volker Wissing prior to the start of the weekly cabinet meeting at the Chancellery in Berlin on June 7,  ...
Weil Wissings Verkehrsministerium die Klimaziele verfehlt hatte, sollte er ein Sofortprogramm nachreichen. Bild: AFP / TOBIAS SCHWARZ

Und Klimaschutzmaßnahmen, die – sogar schnell (!) – dazu beitragen könnten, die Emissionen im Verkehr zu senken, wie etwa ein Tempolimit, lehnt Wissing vehement ab. Vielmehr erklärte er – und zwar ebenfalls am heutigen Mittwoch – dass es kein flächendeckendes Tempo 30 in Städten geben würde. Die Regelgeschwindigkeit bleibe bei 50 Kilometern die Stunde. Punkt. Denn: Freiheitseingriffe müssten begründet werden, das verlange das Grundgesetz.

Wow. Dass ich nicht lache. Wie bitte will Wissing denn dann den Mobilitäts- und Verkehrssektor klimaneutral bekommen? Und was bitte hat ein Tempolimit 30 in Städten mit Freiheitsberaubung zu tun? Vielmehr handelt es sich um einen Freiheitseingriff, wenn er und der Rest der Regierung sich nicht endlich für Klimaschutz starkmacht. Echten Klimaschutz. Den Klimaschutz, der uns eine lebenswerte Welt sichert.

"Die Politiker:innen können uns nicht länger vorgaukeln, dass unsere Welt schon in Ordnung kommt. Das ist nicht mehr als eine Utopie, die so nicht passieren wird."

Über diese Widersprüchlichkeit hat auch der Journalist, Autor und Professor Christian Stöcker schon nachgedacht. In seiner "Spiegel"-Kolumne bezeichnete er Vorgehensweisen wie jene von Wissing als Konstruktion einer Parallelrealität. "Eine Trump-Realität gewissermaßen", schrieb er. "Das ist nicht nur extrem kurzsichtig, es reflektiert im politischen Diskurs auch schamlose Wählerverachtung. Jemanden permanent anzulügen, um ihn zu manipulieren, ist ja kein Zeichen von Respekt, sondern von extremer Respektlosigkeit."

Besser hätte ich es selbst nicht sagen können. Und genau dieses Verhalten kann man an Volker Wissing und der FDP beobachten. Und letztlich an der Bundesregierung generell: Denn selbst die Grünen nehmen die abgemilderten Klimaschutzmaßnahmen, wenn auch missbilligend, in Kauf.

Tick, tack. Tick, tack.

Die Zeit rast. Die Welt steuert auf eine Erderhitzung von 2,7 Grad zu. Das 1,5-Grad-Ziel und selbst das 2-Grad-Ziel rücken in immer weitere Ferne. Doch anstatt die Warnzeichen zur Kenntnis zu nehmen und alles dafür zu tun, bessere und schnellere Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, mildert die Regierung diese ab, vertagt sie oder streicht sie gänzlich. Redet aber im gleichen Zuge davon, dass ja ach-so-tolle Maßnahmen kommen und Klimaschutz bei allem mitgedacht würde.

Es ist eine Farce.

Ein Märchen, aus dem schon bald ein böses Erwachen droht.

Die Politiker:innen können uns nicht länger vorgaukeln, dass unsere Welt schon in Ordnung kommt. Das ist nicht mehr als eine Utopie, die so nicht passieren wird. Sie müssen endlich anfangen, angemessen zu handeln. Und zwar schnell.

Tick, tack. Tick, tack.

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