In Teilen Europas ist es seit Ende April ungewöhnlich heiß. Die Folge: Dürre und Wasserknappheit. Doch nicht nur das Festland ächzt unter einer Hitzewelle – auch die Ozeane leiden darunter.
Satellitenaufzeichnungen der Oberflächentemperaturen der Ozeane zeigen einen neuen und traurigen Rekord an: Die Wassertemperatur liegt rund ein Grad über dem Mittel seit 1982, wie Daten der US-Ozeanografie- und Wetterbehörde National Oceanic und Atmospheric (NOAA) zeigen.
In den sozialen Medien überschlagen sich warnende und besorgte Beiträge zahlreicher Forschender. Im Mittelpunkt ihrer Tweets: Grafiken, die viral gegangen sind und eine nie dagewesene Abweichung der Meerestemperaturen vom langjährigen Mittel zeigen.
Die globale Durchschnittstemperatur liegt aktuellen Messungen zufolge bei 20,9 Grad. Im Nordatlantik, wo die Temperaturen besonders stark in die Höhe schossen, liegen sie bei 22,7 Grad – und in den tropischen Regionen des Nordatlantiks gar bei 28 Grad.
Auch der Klimaforscher Mojib Latif beobachtet die Entwicklungen mit großer Sorge, wenngleich ihn das Temperaturhoch nicht überrascht – denn im Hinblick auf den Ausstoß von Treibhausgasen habe sich nichts geändert: "Das ist Teil eines langfristigen Trends. Und gerade die Meere sind träger, da kann man die Temperaturentwicklung viel besser ablesen als an Land", sagt er im Gespräch mit watson.
Aber nicht nur die Klimakrise trägt zu der Erwärmung der Ozeane bei, auch die Windverhältnisse haben sich geändert: Die Passatwinde, die normalerweise von Nordosten nach Südwesten wehen, also in Richtung des Äquators, sind schwächer geworden. Die Folge: weniger Verdunstung, weniger vertikale Vermischung der Winde – wodurch es wiederum wärmer wird.
Das wiederum zieht neben klimatischen Folgen auch ökologische nach sich, wie etwa die Korallenbleiche. Ein Domino-Effekt wird angestoßen: Eine Änderung im System potenziert sich – und stößt zahlreiche weitere an. Latif ergänzt:
Doch dass sich das Oberflächenwasser im Atlantik stark erhitzt hat, könnte schwerwiegende Folgen mit sich bringen. In den Subtropen befindet sich die sogenannte Main Hurricane Development Region – also das Gebiet, in dem sich die allermeisten Hurrikans entwickeln. Latif erläutert das wie folgt:
Mit welcher Wahrscheinlichkeit wir mit einer starken Hurrikan-Saison rechnen müssen, hat die Ozeanografie- und Wetterbehörde NOAA berechnet. Das Ergebnis: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent erwarten wir eine normal ausgeprägte Hurrikan-Saison, mit einer Wahrscheinlichkeit von je 30 Prozent könnte sie aber auch schwächer oder stärker ausfallen.
Der Grund für die eher geringe Wahrscheinlichkeit einer schweren Hurrikan-Saison: Zu den erhöhten Wassertemperaturen gibt es einen Gegenspieler: den El Niño, der sich im Pazifik ereignet.
Dieser beeinflusst nämlich die Windscherung, sprich: wie sich die Winde in der Höhe über dem Atlantik verändern. Und das tut El Niño in einer Art und Weise, dass Hurrikans gedämpft werden, wie Latif erläutert:
Und als wäre das nicht genug, beobachten Expert:innen weitere beunruhigende Anomalien: Erstmals wurde im Juni die 1,5-Grad-Schwelle im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter überschritten, wie das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus am Donnerstag mitteilte. Bisher war diese kritische Schwelle nur im Winter überschritten worden, nicht aber im Sommer.
Gleichzeitig erreichte die Ausdehnung des antarktischen Meereises neue Tiefstwerte. Die Folge: Es wird eine größere Wasserfläche sichtbar, die Sonnenstrahlung aufnehmen kann – und so zur stärkeren Erwärmung und damit wiederum zur schnelleren Eisschmelze beitragen kann.
Ein Teufelskreis.
Klimaforscher Mojib Latif ist über die klimatischen und ökologischen Entwicklungen schwer besorgt: "Wir führen gerade ein Experiment mit ungewissem Ausgang aus", sagt er gegenüber watson.
Zwar habe es etwaige Temperaturschwankungen wie El Niño und La Niña schon immer gegeben, "aber jetzt läuft eben zusätzlich dazu die globale Erwärmung ab – die Temperatur steigt langsam an, während die Schwankungen bleiben". Er betont: "Das System ist so komplex mit seinen ganzen Wechselbeziehungen, dass wir wirklich nicht sagen können, wie dieses Experiment ausgehen wird."
Seit einem Vierteljahrhundert hätten wir eine Klimakonferenz nach der nächsten – im Dezember findet die Weltklimakonferenz COP28 statt – und der weltweite Treibhausgasausstoß steige noch immer. Latif sagt:
Besonders deutlich werde das am Beispiel der erneuerbaren Energien. Immer mehr Länder würden realisieren, dass die Erneuerbaren "alternativlos" sind – nicht nur aufgrund der klimatischen Vorteile, sondern auch, was die Kosten und Energiesicherheit angehe. "Meine Hoffnung wäre einfach, dass es so schnell geht, dass es kein Halten mehr gibt und die Energiewende auf der ganzen Welt gelingt. Und dann sind wir am Ende doch noch überrascht, wie schnell das funktioniert hat", sagt Latif.
Aufgeben jedenfalls käme für ihn nicht in Frage: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."