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Ozeane erhitzen sich immer weiter: Klimaforscher Mojib Latif schlägt Alarm

An aerial view of destroyed beachfront homes in the aftermath of Hurricane Nicole at Daytona Beach, Florida, on November 11, 2022. - The rare late storm sparked mandatory evacuation orders just weeks  ...
Die Welt in Trümmern: Folgen der menschengemachten Erderhitzung führen zu gravierenden Umweltkatastrophen auf der ganzen Welt. Bild: AFP / RICARDO ARDUENGO
Analyse

Ozeane erhitzen sich immer weiter: Klimaforscher Mojib Latif schlägt Alarm

15.06.2023, 17:05
Mehr «Nachhaltigkeit»

In Teilen Europas ist es seit Ende April ungewöhnlich heiß. Die Folge: Dürre und Wasserknappheit. Doch nicht nur das Festland ächzt unter einer Hitzewelle – auch die Ozeane leiden darunter.

Satellitenaufzeichnungen der Oberflächentemperaturen der Ozeane zeigen einen neuen und traurigen Rekord an: Die Wassertemperatur liegt rund ein Grad über dem Mittel seit 1982, wie Daten der US-Ozeanografie- und Wetterbehörde National Oceanic und Atmospheric (NOAA) zeigen.

"Das ist Teil eines langfristigen Trends. Und gerade die Meere sind träger, da kann man die Temperaturentwicklung viel besser ablesen als an Land."
Klimaforscher Mojib Latif

In den sozialen Medien überschlagen sich warnende und besorgte Beiträge zahlreicher Forschender. Im Mittelpunkt ihrer Tweets: Grafiken, die viral gegangen sind und eine nie dagewesene Abweichung der Meerestemperaturen vom langjährigen Mittel zeigen.

Die globale Durchschnittstemperatur liegt aktuellen Messungen zufolge bei 20,9 Grad. Im Nordatlantik, wo die Temperaturen besonders stark in die Höhe schossen, liegen sie bei 22,7 Grad – und in den tropischen Regionen des Nordatlantiks gar bei 28 Grad.

Auch der Klimaforscher Mojib Latif beobachtet die Entwicklungen mit großer Sorge, wenngleich ihn das Temperaturhoch nicht überrascht – denn im Hinblick auf den Ausstoß von Treibhausgasen habe sich nichts geändert: "Das ist Teil eines langfristigen Trends. Und gerade die Meere sind träger, da kann man die Temperaturentwicklung viel besser ablesen als an Land", sagt er im Gespräch mit watson.

Wärmere Meere stoßen klimatische und ökologische Domino-Effekte an

Aber nicht nur die Klimakrise trägt zu der Erwärmung der Ozeane bei, auch die Windverhältnisse haben sich geändert: Die Passatwinde, die normalerweise von Nordosten nach Südwesten wehen, also in Richtung des Äquators, sind schwächer geworden. Die Folge: weniger Verdunstung, weniger vertikale Vermischung der Winde – wodurch es wiederum wärmer wird.

TARAVAI, GAMBIER ISLANDS, FRENCH POLYNESIA - FEBRUARY 2018: Overview of the coral reef around Taravai Island with many acropora corals on February 16, 2018, Gambier Islands, French Polynesia, South Pa ...
Früher leuchteten Korallenriffe in den schönsten Farben, doch durch die Erhitzung der Ozean setzt eine Bleiche ein.Bild: Getty Images Europe / Alexis Rosenfeld

Das wiederum zieht neben klimatischen Folgen auch ökologische nach sich, wie etwa die Korallenbleiche. Ein Domino-Effekt wird angestoßen: Eine Änderung im System potenziert sich – und stößt zahlreiche weitere an. Latif ergänzt:

"Wir haben also zwei Effekte, die hier zusammenkommen: Einmal den langfristigen Prozess der globalen Erwärmung und dann den kurzfristigen Prozess (Anm. d. Red.: z.B. die Abschwächung der Passatwinde), weil sich die atmosphärischen Verhältnisse verändern. Das ist also der Grund dafür, dass wir in den Subtropen so hohe Temperaturen haben."

Kräftemessen: Kommt es zur starken Hurrikan-Saison?

Doch dass sich das Oberflächenwasser im Atlantik stark erhitzt hat, könnte schwerwiegende Folgen mit sich bringen. In den Subtropen befindet sich die sogenannte Main Hurricane Development Region – also das Gebiet, in dem sich die allermeisten Hurrikans entwickeln. Latif erläutert das wie folgt:

"Wenn das Oberflächenwasser wärmer ist, so wie derzeit, können potenziell mehr und stärkere Hurrikans entstehen. Da gibt es einen statistisch signifikanten Zusammenhang: Wann immer in den letzten Jahren die Wassertemperatur besonders hoch war, hat es tendenziell eine besonders starke Hurrikan-Saison gegeben. Zumindest in vielen Fällen."

Mit welcher Wahrscheinlichkeit wir mit einer starken Hurrikan-Saison rechnen müssen, hat die Ozeanografie- und Wetterbehörde NOAA berechnet. Das Ergebnis: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent erwarten wir eine normal ausgeprägte Hurrikan-Saison, mit einer Wahrscheinlichkeit von je 30 Prozent könnte sie aber auch schwächer oder stärker ausfallen.

Fort Myers Beach, Florida, Estero Island, aerial view of damaged property after Hurricane Ian. (Photo by: Jeffrey Greenberg/Universal Images Group via Getty Images)
Hurrikans haben die Kraft, ganz Städte und Regionen zu verwüsten. Bild: Universal Images Group Editorial / Jeff Greenberg

Der Grund für die eher geringe Wahrscheinlichkeit einer schweren Hurrikan-Saison: Zu den erhöhten Wassertemperaturen gibt es einen Gegenspieler: den El Niño, der sich im Pazifik ereignet.

Dieser beeinflusst nämlich die Windscherung, sprich: wie sich die Winde in der Höhe über dem Atlantik verändern. Und das tut El Niño in einer Art und Weise, dass Hurrikans gedämpft werden, wie Latif erläutert:

"Es prallen also zwei Prozesse aufeinander: El Niño schwächt Hurrikans, die wärmeren Temperaturen im Atlantik hingegen sorgen für stärkere Hurrikans. Wer da jetzt gewinnt, kann man noch nicht genau vorhersagen. Was man aber definitiv vorhersagen kann: Wenn sich ein Hurrikan entwickelt, hat er das Potenzial, viel stärker zu werden. Trotz El Niño."

Und als wäre das nicht genug, beobachten Expert:innen weitere beunruhigende Anomalien: Erstmals wurde im Juni die 1,5-Grad-Schwelle im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter überschritten, wie das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus am Donnerstag mitteilte. Bisher war diese kritische Schwelle nur im Winter überschritten worden, nicht aber im Sommer.

"Wir führen gerade ein Experiment mit ungewissem Ausgang aus."
Klimaforscher Mojib Latif

Gleichzeitig erreichte die Ausdehnung des antarktischen Meereises neue Tiefstwerte. Die Folge: Es wird eine größere Wasserfläche sichtbar, die Sonnenstrahlung aufnehmen kann – und so zur stärkeren Erwärmung und damit wiederum zur schnelleren Eisschmelze beitragen kann.

Ein Teufelskreis.

Klimakrise mit seinen Folgen: "Experiment mit ungewissem Ausgang"

Klimaforscher Mojib Latif ist über die klimatischen und ökologischen Entwicklungen schwer besorgt: "Wir führen gerade ein Experiment mit ungewissem Ausgang aus", sagt er gegenüber watson.

Zwar habe es etwaige Temperaturschwankungen wie El Niño und La Niña schon immer gegeben, "aber jetzt läuft eben zusätzlich dazu die globale Erwärmung ab – die Temperatur steigt langsam an, während die Schwankungen bleiben". Er betont: "Das System ist so komplex mit seinen ganzen Wechselbeziehungen, dass wir wirklich nicht sagen können, wie dieses Experiment ausgehen wird."

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Seit einem Vierteljahrhundert hätten wir eine Klimakonferenz nach der nächsten – im Dezember findet die Weltklimakonferenz COP28 statt – und der weltweite Treibhausgasausstoß steige noch immer. Latif sagt:

"Im Moment sieht es nicht so aus, als würde die Menschheit noch die Kurve bekommen. Ich habe zwei Herzen in meiner Brust: Einmal das Wissenschaftler-Herz, und das sagt mir, dass es schlecht aussieht. Dafür muss man sich nur die Zahlen und Fakten angucken – es geht alles in die falsche Richtung, auch politisch. Und dann schlägt da noch mein anderes Herz in der Brust, das sieht: Es geschehen auch Dinge, es geht voran – und das gibt mir Hoffnung."

Besonders deutlich werde das am Beispiel der erneuerbaren Energien. Immer mehr Länder würden realisieren, dass die Erneuerbaren "alternativlos" sind – nicht nur aufgrund der klimatischen Vorteile, sondern auch, was die Kosten und Energiesicherheit angehe. "Meine Hoffnung wäre einfach, dass es so schnell geht, dass es kein Halten mehr gibt und die Energiewende auf der ganzen Welt gelingt. Und dann sind wir am Ende doch noch überrascht, wie schnell das funktioniert hat", sagt Latif.

Aufgeben jedenfalls käme für ihn nicht in Frage: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

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