Was wäre, wenn wir morgens gleich nach dem Aufstehen eine Runde joggen gingen – oder Yoga machten. Zum Frühstück gibt es dann einen Tee, Haferflocken, Nüsse, einen Apfel. Oder ein Vollkornbrot mit Gemüse. Mit dem Fahrrad geht es danach entspannt auf der Fahrrad-Autobahn zur Arbeit. Die Luft ist frisch und klar. Autos gibt es nur wenige, stattdessen fahren Busse, Bahnen, Straßenbahnen. Zwischen breiten Fußgängerzonen, Straßen und Fahrradwegen befinden sich Parks, Urban Gardening und Plätze, an denen man sich mit Freund:innen treffen kann.
Schöne, heile, gesunde Welt, wie sie uns gefällt.
Klingt nach einer Utopie oder dem Leben von Pippi Langstrumpf? Wenn es nach dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) geht, dann sollten Tage und Szenarien wie dieses schon bald Alltag sein.
Denn die zivilisatorische Entwicklung, das Artensterben, die Biodiversitäts- und Klimakrise haben Folgen. Nicht nur für die Gesundheit und Resilienz der Erde, sondern auch für uns selbst. Doch das muss nicht so bleiben, denn: Nachhaltigkeitspolitik ist auch Gesundheitspolitik. Und die schützt nicht nur die Umwelt, sondern auch uns. Deswegen haben die Mitglieder des WBGU Empfehlungen ausgearbeitet, die der Politik genau dabei helfen sollen: Erde und Menschen gesünder und resilienter zu machen.
Eines wird deutlich: Selten fallen Handlungsempfehlungen eines wissenschaftlichen Gremiums der Bundesregierung so deutlich aus wie diese.
"Der Klimawandel ist viel mehr als die Gefahr für die Wälder, die Gefahr für die Eisbären – das müssen wir verstehen", sagt Claudia Traidl-Hoffmann im Gespräch mit watson. Und weiter: "Der Klimawandel ist eine Gefahr für die Gesundheit."
Traidl-Hoffmann ist Direktorin für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und hat gemeinsam mit neun anderen Expert:innen rund um Klima und Gesundheit das Gutachten "Gesund leben auf einer gesunden Erde" ausgearbeitet, das sie am Mittwoch an Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) übergeben haben.
Darin stellen sie fünf Eckpunkte vor, die dringend angegangen werden müssen, um unsere Erde und uns gesund zu halten.
Oder um es auf den Punkt zu bringen: Das Gesundheitssystem muss revolutioniert werden. Und zwar schnell. "Wir müssen das Thema der planetaren Gesundheit weltweit nach oben auf die Agenda schieben", macht Traidl-Hoffmann auf die Dringlichkeit aufmerksam. "Mit den Eckpunkten, die wir in dem Gutachten ausgearbeitet haben, können wir es tatsächlich schaffen, als Menschheit zu überleben. Tun wir das nicht, ist die Menschheit in Gefahr."
Und die Sorge des Experten-Gremiums davor, dass die Gesellschaft noch immer nicht die Dringlichkeit und Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Wohlstand verstanden hat, sind groß. Gegenüber watson erklärt Claudia Traidl-Hoffmann dazu:
Einen ersten Meilenstein mit Blick auf das präventive Handeln zum Schutz der Menschen vor der Klimakrise haben sie – nach "langem Drängen", wie Traidl-Hoffmann betont – erreicht: einen nationalen Hitzeaktionsplan. Endlich.
Denn die extreme Hitze ist eine tödliche Bedrohung der Klimakrise, die wir schon jetzt erleben. Allein in den Jahren von 2018 bis 2020 sind 19.300 Menschen in Deutschland durch die Auswirkungen extremer Hitze gestorben. Das hat eine Studie des Robert Koch-Instituts, des Umweltbundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes ergeben, die 2022 im "Deutschen Ärzteblatt" veröffentlicht wurde. Tendenz steigend.
Dagegen präventiv zu handeln, sei unfassbar wichtig: "Das ist etwas, das wir unbedingt brauchen, um uns an den Klimawandel, der ja nicht mehr abzuwenden ist, anzupassen", sagt Traidl-Hoffmann.
Dazu komme, dass menschliche Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheiten sei, sondern einen Zustand des "vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens" beschreibt, wie Karen Pittel, Vorsitzende des WBGU und Direktorin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen des ifo Instituts, gegenüber watson erklärt. Und dafür sind wir auf eine "gesunde Erde mit funktionierenden, resilienten und leistungsfähigen Ökosystemen und einem stabilen Klima angewiesen".
Doch neben direkten Folgen der Klimakrise wie Hitzestress und Wassermangel wirken sich auch indirekte Folgen auf die Gesundheit aus: etwa Mangelernährung als Folge von Missernten in Afrika. "Weitere gesundheitliche Risiken wie Übergewicht und Bewegungsmangel entstehen aber auch durch unsere Lebensweise, die gleichzeitig Umwelt und Biodiversität schädigt", betont Pittel und ergänzt: "Wir sprechen daher auch von einer Pandemie der nicht übertragbaren Krankheiten, die auf gesundheitliche Risiken durch Klimawandel und Umweltzerstörung trifft."
Ein "Weiter-so" könne es nicht geben, sonst würden wir den Wohlstand verlieren, sagt Traidl-Hoffmann: "Wir müssen Wohlstand neu definieren. Gesundheit ist der neue Wohlstand – und der ist gefährdet."
Auch wenn die Transformation jetzt schnell in Angriff genommen werden müsse – "es bringt auch nichts, kopflos irgendwelche Hauruck-Aktionen durchzuführen", betont Traidl-Hoffmann.
So müsse es jetzt politisch darum gehen, dass sich etwa jede:r einen gesunden Lebensstil leisten kann: "Es kann nicht sein, dass die Leute Billigfleisch kaufen, weil es eben billig ist. Es müssen die Produkte günstig sein, die gesund sind." Und dafür müsse die Politik nun Leitplanken schaffen. Genauso müsse sie für gesunde Städte sorgen, die grün und mit den richtigen Bäumen bepflanzt sind. "Das macht wahnsinnig viel aus für ein gesundes Leben auf einer gesunden Erde", sagt Traidl-Hoffmann.
Wichtig sei hierfür eine interdisziplinäre Wissenschaft und Herangehensweise – sonst würden etwa gesundheitliche Risikofaktoren nicht ausreichend mitgedacht. Als Negativ-Beispiel dafür nennt Traidl-Hoffmann etwa Gebäude mit Glasfassaden. "Dort staut sich die Hitze und das kann am Ende noch Menschenleben gefährden."
Ebenfalls kritisiert sie, dass zum Beispiel am Potsdamer Platz in Berlin so viele Birken gepflanzt wurden. Sie sagt:
Die Beispiele zeigen, wie wichtig die interdisziplinäre Herangehensweise bei der Bekämpfung der Klimakrise ist.
Traidl-Hoffmann hat die Hoffnung, dass das Gutachten dazu beiträgt, Klimaanpassungen vorzunehmen und die Menschen antreibt, alles zu tun, um die Klimakrise abzumildern: "Wir müssen diese doppelten Gewinnsituationen sehen: Wenn ich das Fahrrad statt dem Auto nehme, ist das nicht nur gut für den Planeten, sondern auch für mich."