Das massenhafte Fischsterben in der Oder ist jetzt bald ein Jahr her. Mehrere hundert Tonnen toter Fische und anderer Lebewesen waren damals aus der 866 Kilometer langen Oder geborgen worden. Und auch jetzt noch gilt das Ökosystem als schwer geschädigt.
Ursache des Fischsterbens waren bisherigen Erkenntnissen zufolge Salzeinleitungen auf polnischer Seite in Verbindung mit hohen Temperaturen, einem niedrigen Wasserstand und Nährstoffeinleitungen aus der Landwirtschaft. Ein weiteres Problem stellte auch der Ausbau der Oder dar. Oder einfacher gesagt: Schuld an der Katastrophe waren wir Menschen.
Bei einer Konferenz zum Schutz der Oder im brandenburgischen Schwedt hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) daher dazu aufgerufen, mehr gegen Salzeinleitungen in den Fluss zu unternehmen.
In ihrer Rede auf der Konferenz sagte Lemke:
Doch schon jetzt mehren sich erste Warnzeichen – der Salzgehalt der Oder ist hoch. Und auch die Temperaturen werden zum Sommer hin erneut steigen.
"Wenn wir wieder wenig Wasser in der Oder haben, das Wasser also teilweise steht, und dazu der hohe Salzgehalt auftritt, dann ist die Tür wieder offen für dieses Problem", sagt Karsten Rinke, Leiter der Abteilung Seenforschung beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg gegenüber watson.
Ob uns eine solche Katastrophe in diesem Sommer erneut erwarten könnte, lässt sich dem Experten zufolge aber nicht verlässlich vorhersagen. Generell sei dies bei aquatischen Ökosystemen schwieriger als etwa bei Wäldern oder Graslandschaften, da Gewässer wesentlich dynamischer seien.
Er erklärt, dass sich Fließgewässer wie die Oder weit schneller erholen, als es etwa bei Seen der Fall ist. Das hängt vor allem mit dem Wasseraustausch zusammen. Rinke sagt:
Kernproblem eines kippenden Gewässers ist Rinke zufolge ein zu hoher Nährstoffgehalt. Die Folge: Es kommt zu einem verstärkten Algenwachstum – und damit zum Sauerstoffschwund. Allerdings kämen zumeist mehrere Stressoren zusammen: neben dem zu hohen Nährstoffgehalt auch der zu hohe Salzgehalt, Schadstoffe aus dem Abwasser sowie die Einwanderung neuer Arten und der gleichzeitige Verlust etablierter Arten.
Und wie bei fast allen geschwächten Ökosystemen spielen auch die Folgen der Klimakrise eine wesentliche Rolle beim Kippen von Gewässern: Denn Hitzestress und geringe Wasserstände schwächen das Ökosystem zusätzlich.
"Die Probleme unserer Gewässer sind ausschließlich menschengemacht", betont Rinke. "Ohne die Nährstoffe und den Salzgehalt wäre die Alge nicht in der Oder aufgetreten, erst recht nicht in dieser wirklich außergewöhnlich hohen Konzentration." Und auch die klimatischen Änderungen habe der Mensch verursacht. Dazu kämen noch die Einflüsse auf die Gewässer durch Kläranlagen, Landwirtschaft und Bergbau – "all diese Aktivitäten wirken auf unsere Gewässer".
Deswegen sei es so wichtig, die Umwelt proaktiv zu schützen. Wie auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke pocht Rinke darauf, insbesondere im Sommer die Einleitung hoher Salzfrachten zu unterbinden.
Doch bislang funktioniert die Kooperation nur schleppend. "Die Zusammenarbeit ist teilweise schwierig, sie ist teilweise zäh, weil es eben unterschiedliche Ansichten gibt", erklärte Lemke am Dienstag im Inforadio des Senders RBB.
Insbesondere, weil etwas gegen die Salzeinleitungen und den Ausbau der Oder unternommen werden müsste. Dafür müsse ein deutsch-polnisches Regierungsabkommen von 2015 geprüft werden – auf deutscher Seite. "Und in Polen haben wir die Situation, dass ja dort sogar das Gericht einen Ausbaustopp verhängt hat für den Moment, der aber von den polnischen Behörden ignoriert wird, und das ist natürlich etwas, was mich mit großer Sorge und auch Unverständnis erfüllt", ergänzte Lemke.
Schon 2018 erklärte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen, dass es nur 6,6 Prozent der deutschen Flüsse nach ökologischen Kriterien gut gehe. In 93 Prozent der Fließgewässer leben nicht mehr die Gemeinschaften aus Fischen, Pflanzen und Kleintieren, die man dort eigentlich vorfinden müsste.
Das macht die Flüsse anfälliger.
"Die Elbe und auch der Rhein haben ebenfalls sehr hohe Nährstoffgehalte, die Elbe auch sehr hohe Algenmengen", erläutert auch Gewässer-Experte Karsten Rinke. Der Salzgehalt sei aber in beiden Flüssen bei Weitem nicht so hoch wie in der Oder.
Einen Fluss, der einen ähnlich hohen Salzgehalt wie die Oder aufweist, gibt es dem Experten zufolge aber dennoch: die Werra – der rechte, östliche der beiden Hauptquellflüsse der Weser. Noch aber gibt es keine Anzeichen darauf, dass auch die Werra kippen könnte: "Dort sind die Algen bisher noch nicht in Erscheinung getreten."
(Mit Material der dpa)