Es ist eine Umweltkatastrophe von noch unbekanntem Ausmaß, die sich derzeit in der 866 Kilometer langen Oder abspielt – die in Tschechien entspringt und in der Ostsee mündet: ein massenhaftes Fischsterben. Die Umweltschutzorganisation "BUND" schätzt die Menge toter Fische auf bis zu 100 Tonnen.
Die genauen Ursachen sind noch unklar, die Untersuchungen dauern an. Auf über 300 schädliche Stoffe sollen die Kadaver untersucht werden, darunter auch auf Pestizide. Zudem sollen die Fischleichen seziert und das Verhalten der Tiere kurz vor ihrem Tod untersucht werden. Bislang kann nur Quecksilber als Todesursache ausgeschlossen werden.
Die polnische Regierung vermutet, dass womöglich eine riesige Menge an chemischen Abfällen in die Oder gekippt wurde. Daten von Wassermessstationen entlang der Oder, die vom Brandenburger Landesamt für Umwelt veröffentlicht werden, zeigen aber auch: Das Flusswasser wies schon einige Tage vor dem Fischsterben Auffälligkeiten auf.
Spricht das für die Algentheorie, die auch das brandenburgische Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz hinter dem Fischsterben vermutet?
Damit würde sich zumindest der hohe Sauerstoffgehalt trotz hoher Temperaturen erklären.
Doch der Salzgehalt im Wasser gibt den Forschenden weiterhin Rätsel auf und spricht gegen die Algentheorie. Vielmehr deutet alles auf eine Zuführung von Giftstoffen hin.
Welche Rolle spielen die Folgen der Klimakrise bei einem massiven Fischsterben wie in der Oder? Und wie gut sind unsere Ökosysteme vor dem Kollaps gewappnet? Darüber hat watson mit Experten gesprochen.
Ob das Fischsterben in der Oder mit einer Intoxikation zusammenhängt, wie Karsten Rinke vermutet, oder nicht: "Die Klima-Situation verschärft die Problematik ungemein." Rinke ist Leiter der Abteilung Seenforschung beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg, gegenüber watson betont er, wie sehr Gewässer bei Hitze unter Stress stehen: "Je höher die Temperatur, desto weniger Sauerstoff kann sich im Wasser lösen. Gleichzeitig werden die Abbauprozesse immer schneller, weil die bakterielle Aktivität steigt."
Dazu kommt noch, dass die Bakterien bei höheren Wassertemperaturen aktiver werden. Rinke sagt: "Und deswegen führt allein die Klimaerwärmung – auch ohne die zusätzliche Vergiftung des Gewässers – zu einer Verschlechterung des Ökosystems."
Schon jetzt kommt es aufgrund der Erhitzung in zahlreichen Gewässern zu einem massiven Fischsterben. Der Grund: Die Wassertemperatur ist zu hoch, der Sauerstoff sinkt ab, sodass die Fische ersticken. Auch Ammoniak, ein Abbauprodukt der bakteriellen Aktivität, kann entstehen, wie Rinke erklärt. Dieses ist ein starkes Gift – das ebenfalls ein Fischsterben induzieren kann.
Gegenüber watson ergänzt er:
Auch Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin bestätigt, dass unsere Ökosysteme durch die Folgen der Klimakrise anfälliger werden. Gegenüber watson sagt er: "Deshalb ist es wichtig, endlich mit Anpassungen an die Klimafolgen zu beginnen, anstatt darauf zu hoffen, dass man die Klimaänderungen aufhalten kann."
Er pocht auf die dringend notwendige Abkehr vom technischen, hin zum natürlichen Hochwasserschutz durch funktionierende Flussauen. Diese würden nicht nur vor Überschwemmungen schützen, sondern Fischen bei toxischen Wellen wie derzeit in der Oder auch die Möglichkeit geben, den Hauptstrom zu verlassen.
Ein weiteres Problem: Insbesondere Kleingewässer, aber auch große Flüsse wie der Rhein drohen auszutrocknen. "Auch hier helfen Wasserrückhalt in der Landschaft und Beschattung, um die Verdunstungsverluste zu reduzieren", sagt Fischökologe Wolter. Eine Verbreiterung der Gewässer, wie sie aktuell am Oder-Havel-Kanal vollzogen werde, sei hingegen kontraproduktiv – sie fördere nur die Verdunstung.
Dass der Wasserpegel in vielen Flüssen und Seen im Sommer sinkt, beobachtet auch René Orth vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.
Dafür gebe es vier Ursachen:
Inwiefern ein sinkender Wasserpegel mit der Klimakrise zusammenhänge, ließe sich aber nicht ganz eindeutig beantworten – dafür müsse man sich jede der vier Ursachen separat ansehen.
Zwar habe es in diesem Sommer weniger geregnet als sonst, dennoch ließen sich beim Niederschlag Orth zufolge keine langfristigen Trends dahingehend beobachten, dass dieser abnehme.
"Anders ist das bei der Verdunstung, die ja eng mit der Temperatur zusammenhängt", sagt Orth. "Die Temperaturen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen, da sieht man also ganz klar, dass der Klimawandel eine Rolle spielt." Bei den Gletschern sei das genauso.
Gegenüber watson ergänzt Orth:
Bei der Schneeschmelze wiederum schätzt Orth die Rolle der Klimakrise als geringer ein. Ihm zufolge falle eher mehr als weniger Regen, der in höheren Lagen als Schnee falle. "Wird es natürlich zu warm, fällt kein Schnee mehr, sondern Regen", relativiert er. Das sei aber zunächst in den kommenden Jahren nicht zu erwarten.
Und dennoch – die Folgen der Klimakrise auf die Stabilität des Ökosystems Fluss sind nicht zu übersehen: "Man kann schon sagen, dass der Klimawandel eher dafür sorgen wird, dass es im Sommer häufiger niedrige Pegelstände geben wird, aber nicht unbedingt in der Stärke und Konsequenz, wie es in diesem Jahr der Fall ist", sagt Orth.
Jedoch: "Die niedrigen Wasserpegel führen dazu, dass eventuelle Schadstoffe, die in die Flüsse gelangen, sich weniger verdünnen können und dadurch einen größeren Schaden anrichten."
Der Negativkreislauf schließt sich.