Einfach mal abtauchen in die unendliche Ruhe des Ozeans... Was für viele eine romantische Vorstellung ist, ist nur selten Realität.
Denn unter der Wasseroberfläche ist einiges los: Wellen rauschen und donnern, Unterwasserstrudel und -vulkane zischen und brodeln, Wale und andere Meeressäuger rufen in hochfrequenten Tönen nach ihrer Herde, andere Tiere nutzen Schall zum Jagen, zur Ortung, zur Kommunikation.
Richtig ruhig ist es unter Wasser nie.
Doch inzwischen kommen noch ganz andere Töne zur natürlichen Geräuschkulisse in den Meeren dazu: Durch den Menschen und seine Maschinen kracht, dröhnt und knallt es unter der Wasseroberfläche.
Dieser Lärm wird durch das Wasser noch multipliziert. Ein Schall wird im Wasser 4,5-mal schneller geleitet als an Luft und kann dabei eine Reichweite von über 1000 Kilometer erreichen. Die Folge: unfassbarer Lärm.
Neu sind in den Meeren dabei gleich mehrere menschliche Krachmacher: "Es gibt den kontinuierlichen Lärm, der zum größten Teil von Schiffen verursacht wird", erklärt Bettina Taylor vom Meeresschutzbüro vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegenüber watson. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen, die der menschengemachte Unterwasserlärm auf die unterschiedlichen Ökosysteme in den Meeren hat. Hierbei konnte sie einen klaren Anstieg des Lärms in den vergangenen Jahren mitverfolgen.
Ob Containerschiffe, Öl- und Gastanker, Fähren, Kreuzfahrtschiffe, oder auch Serviceschiffe wie Schlepper oder Offshore-Versorgungsschiffe – mittlerweile tummeln sich über 90.000 Schiffe unterschiedlicher Größe auf den Weltmeeren. Diese Zahlen gehen auf Schätzungen des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2019 zurück. Allerdings sind in dieser Zahl nicht einmal die Fischereischiffe mit inbegriffen – dementsprechend dürfte die Gesamtzahl noch deutlich höher liegen.
Zusätzlich besitzen große wie kleine Schiffe oft Motoren und Propeller, die immer leistungsstärker werden – und damit auch immer lauter.
"Dieser Lärm kann wichtige biologische Schallsignale überdecken, die die Tiere brauchen, um zu jagen oder Artgenossen oder Feinde zu hören", antwortet Expertin Taylor vom BUND auf Nachfrage von watson. Wie sie erklärt, führt der gestiegene Geräuschpegel dabei oft zu Verhaltensveränderungen der Tiere:
Betroffen sind längst nicht nur Meeresbewohner in seichten Gewässern und den ersten 15 Metern unter der Wasseroberfläche. Auch Tiere der Tiefsee werden inzwischen von menschengemachtem Krach gestört: Denn die Mehrzahl aller Schiffe und selbst kleinerer Boote verfügt über Sonarsysteme.
Besonders durch militärisch genutzte Sonare werden so auch tief tauchende Wale verschreckt. Empfangen sie immer mehr der ausgesandten Schallimpulse, versuchen sie panisch zu fliehen – und tauchen übereilt aus der Tiefe auf. Dabei können sie sich schnell Verletzungen zuziehen.
Besonders schlimm sind die Auswirkungen von sogenanntem "impulsivem Lärm" für die Meerestiere:
Allem voran von Schall-Kanonen.
Indem gigantische Explosionen aus komprimierter Luft unter Wasser erzeugt werden, entstehen die lautesten vom Menschen erzeugten Geräusche überhaupt: Die Druckwellen wandern mehrere tausend Meter tief ins Wasser und dringen dann noch hunderte Kilometer tief in den Meeresboden ein. Mithilfe dieser Methode werden die Böden am Meeresgrund nach Öl- und Gasvorkommen durchsucht.
Hier könnt ihr euch anhören, wie eine Schallkanone klingt:
Allein ein Erkundungsschiff kann mehrere Schallkanonen mit sich führen: Und jede Schall-Kanone löst alle zehn Sekunden eine Explosion aus. Und das zum Teil wochenlang jeden Tag über mehrere Stunden.
"Unterwasserlärm, vor allem impulsiver Lärm, kann im Nahbereich dann zu inneren Verletzungen bei Meerestieren führen, die auch tödlich enden können", stellt Taylor klar. Durch die Druckwellen kommt es bei Meeressäugern von temporären bis zu permanenten Hörschwellenverschiebungen.
Die Tiere verlieren ihre Orientierung, wodurch im schlimmsten Fall ganze Herden von ihrer Route abkommen – und stranden.
Noch stärkere Folgen lassen sich bei Jungfischen feststellen: In Regionen, in denen Schall-Kanonen abgefeuert werden, konnten bei ihnen bereits starke Schäden an der Schwimmblase nachgewiesen werden. Die Schwimmblase stellt bei Fischen das Pendant zum menschlichen Trommelfell dar. Da sie aber auch die Schwingungen von Geräuschen mit der ganzen Körperoberfläche wahrnehmen, tragen sie durch die Druckwellen zusätzlich auch äußerliche Verletzungen davon.
Noch kleinere Organismen, wie etwa Planktonschwärme, werden durch die Druckwellen komplett zerfetzt.
Wie die Meeresschutz-Expertin Taylor für watson auflistet, würden aktuell auch sogenannte Ramm-Arbeiten den Meerestieren zusetzen, die zur Installation von LNG-Terminals, von Bohrinseln oder Offshore-Windanlagen durchgeführt werden.
So hat jedes Offshore-Windrad ein bis vier Fundamentpfeiler, die durch mehrere tausend Schläge mit einem tonnenschweren Hammer bis zu 50 Meter tief in den Meeresboden gerammt werden. Die Bauarbeiten dieser Windparks dauern dabei über mehrere Wochen hinweg bis zu acht Stunden am Tag an.
"Offshore Wind wird vor allem in den nächsten Jahren sicherlich mehr werden, besonders in der deutschen Nordsee", ordnet die Meeresexpertin vom BUND ein. Aber auch in der deutschen Ostsee sind in den nächsten Jahren der Bau von LNG-Terminals, sowie Hafenerweiterungen geplant. Auch ein Tunnel soll im Fehmarnbelt gegraben werden, der zwischen Deutschland und Dänemark liegt. Und das, obwohl noch immer Munitionsaltlasten am Grund des Meeres lägen, wie die Expertin äußert.
Bettina Taylor und ihr Team vom BUND-Meeresschutzbüro blicken diesen Bauvorhaben kritisch entgegen. Auf Anfrage von watson erklärt sie:
Auch auf EU Ebene wurden Ende letzten Jahres erstmals Grenzwerte für impulsiven und kontinuierlichen Schall vereinbart. "Wie diese jedoch umgesetzt werden und ob sie ausreichen, muss sich in den nächsten Jahren zeigen", betont sie.
Parallel dazu arbeiteten Ingenieure inzwischen an weiteren Lösungen, um den Lärm während des Rammens zumindest zu reduzieren. Eine davon ist der sogenannte Blasenschleier, wie Taylor erläutert: "Diese werden in einem Ring aus Luftblasen um die Schallquelle gelegt und dämpfen damit den Schall."
Auch bei Schiffen kann kurzfristig, vor allem durch langsameres Fahren, eine beachtliche Schallreduktion erzielt werden. Doch bislang fehlten insbesondere in internationalen Gewässern noch immer klare Schutzregeln.