Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

Tag der Indigenen Völker: Darum brauchen wir sie im Kampf gegen die Klimakrise

Indigene Völker werden oft ihrer Heimat beraubt.
Indigene Völker werden oft ihrer Heimat beraubt. bild: Fiona Watson/ Survival International
Gastbeitrag

Warum indigene Völker im Kampf gegen die Klimakrise eine zentrale Rolle spielen

08.08.2023, 15:2408.08.2023, 16:48
Priscilla Schwarzenholz, gastautorin
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Die Menschenrechtsorganisation Survival International setzt sich für indigene Völker ein. Sie bemüht sich darum, ihr Leben und ihr Land zu schützen. In ihrem Gastbeitrag schreibt Priscilla Schwarzenholz darüber, wie wichtig die Wertschätzung von indigenen Völkern auch im Kampf gegen die Klimakrise ist.

Auch wenn wir es nicht in unserem alltäglichen Leben mitbekommen, schützen indigene Völker ihre Territorien, die sie umgebende Natur und ihre unmittelbare Umgebung weltweit, was einen wesentlichen Teil ihrer Existenz darstellt.

Ich bitte dich um einen Moment der Reflexion: Wie würde die Welt ohne indigene Völker aussehen? Die Antwort ist einfach: Es gäbe sie nicht. Die Welt, wie wir sie kennen, würde nicht länger existieren.

Lass mich erklären, warum: Indigene Gebiete sind Barrieren gegen die Umweltzerstörung. Viele der biologisch vielfältigsten Wälder des Amazonastieflandes befinden sich in indigenen Territorien. Auf entsprechenden Bildern von Google Earth wirst du sehen, dass sich in eben diesen Bereichen grüne Inseln befinden, während die umliegenden Landflächen von zunehmender Zerstörung geprägt sind.

Indigene Völker sind meistens eng mit der Natur verbunden.
Indigene Völker sind meistens eng mit der Natur verbunden.bild: Sarah Shenker/ Survival International

Besonders schockierend ist das im Hinblick auf unkontaktierte Völker – die bedrohtesten Gesellschaften des Planeten, denen die Auslöschung durch den Kontakt mit Eindringlingen droht, obwohl sie gut und erfolgreich leben können, wenn man sie in Ruhe lässt.

Indigene Völker haben ein grundlegend anderes Verhältnis zum Land als nicht-indigene Menschen. Für sie stellt ihre Umwelt einen fundamentalen Teil ihres alltäglichen Lebens dar. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass die Umwelt einen Teil ihres Wesens bildet, was die Zerstörung jener im Umkehrschluss mit einer (Selbst-)Verletzung des Menschen selbst gleichstellt. Folgen können tiefer Schmerz, Verzweiflung und eventuell sogar der Tod sein.

Zerstörung von indigenen Gebieten aus Profitgründen

Für uns in der westlichen Welt ist das schwer zu verstehen. In unserer Gesellschaft neigen viele Leute dazu, die Natur als auszubeutende Ressource für das individuelle Vergnügen oder den wirtschaftlichen Profit anzusehen. Viele glauben, separiert von der Natur zu sein oder sogar "über" ihr zu stehen. Dieses Denken hat dem kolonialen Modell des Umweltschutzes Aufschwung gegeben, das indigene Völker aus ihren Territorien vertreibt und bei Widerstand zu Folter und Ermordung greift.

Priscilla Schwarzenholz ist Anthropologin, Forscherin und Aktivistin bei Survival International.
Priscilla Schwarzenholz ist Anthropologin, Forscherin und Aktivistin bei Survival International. bild: privat

Eine Menge westlicher Menschen nehmen die Zerstörung von indigenen Gebieten, inklusive deren biologischer und unsere Existenz erhaltende Vielfalt, gerne in Kauf für eine Anhäufung vergänglicher, materialistischer Freuden. Dafür werden Leben zerstört.

"Der Großteil der indigenen Völker glaubt, dass der Mensch und seine Umwelt unzertrennlich und aufeinander angewiesen sind."

In seinem Buch "The Falling Sky – Words Of A Yanomami Shaman" beschreibt Davi Kopenawa genau das sehr deutlich: "Die Weißen haben bereits mehr als genug Metall, um ihre Waren und Maschinen herzustellen; Land, um ihr Essen anzubauen; Kleidung, um sich zu bedecken; Autos und Flugzeuge zur Fortbewegung. Und trotzdem begehren sie das Metall unserer Wälder, um noch mehr von diesen Dingen herzustellen, obwohl der faule Atem ihrer Fabriken sich schon überall ausbreitet … Vielleicht sinkt seine Dunkelheit auf unsere Häuser herab und wird unsere Kindeskinder davon abhalten, die Sonne zu sehen."

Im starken Kontrast dazu glaubt der Großteil der indigenen Völker, dass der Mensch und seine Umwelt unzertrennlich und aufeinander angewiesen sind. Ihre über Generationen von Lebenserfahrung hinweg geformten Ansichten lässt sie die Natur sowie sich selber gleichermaßen schützen.

"Wir müssen in unser Land zurückkehren – denn wir sind das Land selbst", sagt Merong, ein Indigener des brasilianischen Kamakã-Mongoió-Volkes, als er erklärt, weshalb sie das Land ihrer Vorfahr:innen zurückverlangen, das ihnen für Minenarbeiten gestohlen wurde.

Das Wissen indigener Völker ist unersetzlich – und darf nicht verloren gehen.
Das Wissen indigener Völker ist unersetzlich – und darf nicht verloren gehen.bild: Fiona Watson/ Survival International

Eine ähnliche Mentalität herrscht bei anderen Völkern weltweit. JK Thimma, ein indischer Jenu-Kuruba-Anfüher, dessen Volk im Namen des Tiger-Schutzes gewaltsam aus seinen Territorien vertrieben wurde, fragt: "Wie soll der Wald beschützt werden, wenn wir unsere Rituale nicht abhalten können? Sie [die Außenstehenden] haben absolut kein Verständnis dafür, wie er zu schützen ist."

Wissen indigener Völker hilft im Kampf gegen Klimakrise

Es wäre Wunschdenken, zu behaupten, dass das Wissen indigener Völker allein ausreichen würde, um uns vor der Klimakrise zu retten. Aber es ist unbestreitbar, dass das bedeutendste Wissen, das die Menschheit zu den verschiedenen Ökosystemen der Erde besitzt, bei Leben und Land der indigenen Völker liegt. Dieses Wissen ist eine unserer wirksamsten Waffen im Kampf für die Rettung unseres Planeten.

Im Gegensatz dazu ist unsere "Achillesferse" die Annahme, dass diese "anderen" Gesellschaften, die von ihrem Land leben und wenig mit der globalisierten Marktwirtschaft zu tun haben, ein weniger gutes Verständnis für diese Themen hätten als wir.

Viele neigen dazu, ihre Kenntnisse und Ansichten als Mythen und Aberglaube abzutun, obwohl uns unsere eigene Wissenschaft weltweit unzählige Male das Gegenteil bewiesen hat.

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Das Alawa-Volk des Nordterritoriums Australiens beschreibt mit dem Begriff "Jarulan" eine besondere Art des Lauffeuers: nämlich ein von einem Vogel absichtlich verursachtes.

Jarulan ist kein Mythos, keine bildliche Übertragung oder irgendeine Art von Metapher – es ist die wortwörtliche Wahrheit. 2017 veröffentlichten Wissenschaftler:innen in einem Forschungsbericht, was das indigene Volk schon lange wusste: Dass es nicht nur eine, sondern gleich drei Vogelarten gibt, die bewusst Brände verursachen, um ihre Beute aus ihrem Versteck zu locken.

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Während die meisten wissenschaftlichen Studien ihre Daten über Monate oder Jahre hinweg erheben, hatte das indigene Wissen einen Jahrtausende langen Vorsprung. Das dürfen und können wir nicht ignorieren.

2004 starben mehr als 230.000 Menschen durch den Tsunami, der an der Küste des Indischen Ozeans wütete und scheinbar ohne Warnung auftrat. Die indigenen Völker der Andamanen jedoch erkannten die Warnzeichen schon vorzeitig und trafen Maßnahmen, die sie schützten. Ihre Gemeinschaften blieben von diesem Desaster größtenteils verschont.

"Allzu lang haben wir die Stimmen jener zum Verstummen gebracht, die die Welt anders wahrnehmen als wir."

Das Wissen indigener Völker ist nicht nur unersetzlich, es ist überlebenswichtig – und sollte es zerstört werden, werden wir es nicht zurückholen können. Allzu lang haben wir die Stimmen jener zum Verstummen gebracht, die die Welt anders wahrnehmen als wir. Und wir alle leiden darunter.

Lasst uns stattdessen den indigenen Völkern beistehen, für ihre Landrechte einstehen und für eine blühende Zukunft kämpfen. Denn es sind nicht nur die Kamakã, die Jenu Kuruba oder die Alawa, die dieses Land brauchen – das Schicksal allen Lebens der Erde hängt davon ab.

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