Mit der neuen Ampelregierung wurde auch der Ministerposten im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) neu besetzt. Der neue Minister ist Cem Özdemir von den Grünen, der damit die für Blockadehaltung und Missachtung von Problemen bekannte ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner von der CDU ablöst.
Wofür Özdemir inhaltlich steht, ist bisher noch nicht ganz klar, denn in den vergangenen Jahren war er Verkehrspolitiker. Zwar gibt der Koalitionsvertrag einige Anhaltspunkte darüber, was passieren soll, doch vieles bleibt weiterhin nicht konkret oder unausgesprochen.
Die Landwirtschaft, beziehungsweise die gesamte Ernährungs- und Forstwirtschaft sowie die Landschaftsgestaltung generell, ist die fundamentale Grundlage der menschlichen Existenz auf diesem Planeten. Der Mensch hängt ganz zentral von der Ernährungssicherheit ab. Wir brauchen fruchtbare Böden, sauberes Grundwasser und ganz generell funktionierende Ökosysteme, um diese Sicherheit auch tatsächlich gewährleisten zu können.
Schaut man auf Europa, scheint der größte Teil der Bevölkerung recht gut versorgt zu sein. Doch die Folgen der Klimakrise treffen insbesondere die Regionen schwer, die am wenigsten zur Erderwärmung beitragen. Das heißt, dass Europa die globale Ungerechtigkeit anfeuert und vor allem der landwirtschaftliche Sektor von den Effekten stark betroffen ist.
Während Desertifikation und ein sinkender Grundwasserspiegel noch relativ neue Probleme in Deutschland und vielen anderen Ländern des globalen Nordens sind, kämpft der globale Süden schon seit Jahrzehnten damit. Viele Menschen sind aufgrund unfruchtbarer Böden gar dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Zur gleichen Zeit halten wir mehr Nutztiere, als wir brauchen, schmeißen tonnenweise Essen weg, weil es nicht die Form hat, die wir gerne hätten und nutzen Unmengen an Pestiziden. Und all das passiert direkt oder indirekt auf Kosten des globalen Südens. Für das Futter unserer Nutztiere wird der Regenwald abgeholzt. Jede verschwendete Tonne an Lebensmitteln bedeutet auch die Verschwendung von Energie, Wasser und Flächen. Und all die Pestizide, die wir nutzen, haben eine bedeutende Rolle im Insekten- und, für die Landwirtschaft besonders relevant: Bienensterben. Und als wäre das nicht genug, trägt all das auch noch zur Klimakrise bei.
Für das Fortschreiten der Klimakrise am relevantesten sind aber vor allem der Ausstoß massiver Methanemissionen durch die Tierindustrie und die Nicht-Nutzung potenzieller CO₂-Senken wie beispielsweise Moore. Hinzu kommt auch die Zerstörung von bereits existierenden Senken – hervorzuheben ist hier insbesondere der brasilianische Regenwald.
In Europa, und vor allem Deutschland, werden viel mehr Tiere gehalten als wir Futtermittel haben und verwenden dürften. Und paradoxerweise brauchen wir dieses gar nicht für uns selbst – denn Deutschland und andere europäische Länder zählen zu den größten Fleischexporteuren weltweit.
Die harte Wahrheit ist also: Unsere Praktiken im Agrarsektor tragen maßgeblich zu globalen Ungerechtigkeiten und der Klimakatastrophe bei.
Möglicherweise habt ihr mitbekommen, wie Ende 2021 die EU für den aktuellen Vorschlag der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) abgestimmt hat. Das ist vor allem bedeutsam, da dieses Paket hunderte Milliarden Euro schwer ist, was rund 30 Prozent des EU-Haushalst ausmacht, bis 2027 gilt und die beinhaltenden Maßnahmen zu überwältigenden Teilen genau das Verhalten belohnen, das uns überhaupt erst in die Krise gebracht hat.
Die GAP unterstützt also bis 2027 weiterhin die industrielle Tierhaltung und intensive Bewirtschaftung von Böden, anstatt klimafreundliche und ökologische Methoden zu belohnen und damit den Umbau zu fördern. Heißt also: Bis 2027 bleiben wir bei einer Agrarwirtschaft, die nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist.
Eines ist auf jeden Fall klar: Die industrielle Tierhaltung muss beendet werden. Aus einer Studie von Greenpeace geht hervor, dass wir den Nutztierbestand bis zu dem Zeitpunkt halbiert haben müssen, an dem wir klimaneutral werden wollen. Dasselbe gilt für den Fleischkonsum, wie eine Untersuchung des Umweltbundesamtes nahelegt – auch er muss in diesem Zeitraum halbiert werden.
Das Besondere an dem Agrarsektor ist, dass er im Gegensatz zu anderen Sektoren nicht nur klimaneutral sein kann, sondern sogar zum Klimaschutz beitragen kann. Das funktioniert mit Maßnahmen, wie der Wiedervernässung von Mooren sowie nachhaltig bewirtschaftetem Dauergrünland. Beides sind potenziell gigantische CO₂-Senken, sprich: Sie binden CO₂ im Boden. Agroforst, also die Verbindung von Land- und Forstwirtschaft, kann hierbei ebenfalls unterstützen, jedoch vor allem einhergehend mit einer Reduktion von Pestiziden, um die Biodiversität zu stärken. Dabei hilft der Ökolandbau generell.
Mit bäuerlichen, lokal verwurzelten Betrieben können regionale Wirtschaftskreisläufe entschieden gestärkt werden. In der nachgelagerten Industrie der Ernährungswirtschaft müssen Wertschätzung, Lohn und Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden. Mit der reduzierten Tierzahl werden gigantische Mengen an Lebensmitteln und Anbauflächen frei, die vorher in der "Veredelung" der Fleischproduktion verschwanden und buchstäblich verschwendet wurden. Diese können wir zur Stärkung der Biodiversität und als CO₂-Senken nutzen.
Wir können die alten, teils neokolonialen Strukturen, die auch heute zu Teilen noch vorherrschen, überwinden, wenn wir die Agrarwende ordentlich angehen. Der Schutz von Ökosystemen und des Regenwaldes ist von elementarer Bedeutung. Von besonderer Wichtigkeit ist auch, dass die Sozialleistungssätze für die Ernährung erhöht werden, beziehungsweise das System grundlegend verändert wird. Denn die momentanen Sätze reichen allenfalls aus, um die Zerstörung des Planeten weiter voranzutreiben, keinesfalls aber für eine gesunde und ausgewogene Ernährung, wie auch aus Erhebungen hervorgeht.
Dahingehend muss auch die GAP grundlegend verändert werden. Und zum Glück ist kein Beschluss in Stein gemeißelt. Deswegen werden in den Klima- und Umweltbewegungen auch schon Strategien für eine Klage besprochen, damit wir nicht bis 2027 auf die nächste Chance, die GAP zu verändern, warten müssen.
Wir erwarten, kurz gesagt, dass die Politik die Verantwortung nicht auf den Einzelnen abwälzt, sondern dass sie die Agrarsubventionen und auch Bau-, Tier-, Naturschutz- und Sozialgesetze so gestaltet, dass für das Klima und die Ökosysteme vorteilhaftes Bewirtschaften rentabel wird – und im gleichen Zuge auch globale Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden.