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Skandal bei Gucci, Disney und Shell: Zeit deckt Betrug mit CO₂-Zertifikaten auf

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Viele große Unternehmen haben wertlose Zertifikate gekauft – und dem Klima weiter geschadet.Bild: iStockphoto / Rhett Ayers Butler - Mongabay
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Klima-Skandal bei Gucci, Disney und Shell: Recherche deckt Betrug mit CO₂-Zertifikaten auf

19.01.2023, 18:33
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Für eine weiße Weste tun viele Unternehmen alles. Sie investieren große Summen in Waldschutzprojekte und erhalten im Gegenzug CO2-Zertifikate, die ihnen beim Erreichen ihrer Klimaziele helfen sollen. Doch wie viel sagen diese Zertifikate aus? Sind sie tatsächlich ein Garant für Klimaschutz? Eine Recherche lässt daran Zweifel aufkommen.

Journalist:innen der "Zeit", der britischen Tageszeitung "The Guardian" und des britischen Reporterpools "SourceMaterial" haben in einer umfangreichen Recherche aufgedeckt, dass über Jahre hinweg offenbar Millionen wertlose CO₂-Zertifikate verkauft wurden.

Aber wie konnte es dazu kommen?

89 Millionen Tonnen CO₂ wurden nicht eingespart

Wenn ein Unternehmen nachhaltiger werden will, sucht es nach einem Weg, die eigenen CO2-Emissionen entweder zu minimieren, oder zu kompensieren. Da Letzteres schneller funktioniert, wählen viele den einfachen Weg – und investieren zum Beispiel in Waldschutzprojekte. Wie viele Zertifikate ein solches Projekt hat, entscheidet in 75 Prozent der Fälle das Unternehmen Verra.

Verra trägt also die Verantwortung dafür, dass nur dann ein Zertifikat ausgegeben wird, wenn auch tatsächlich CO₂ eingespart wird. Davon profitieren beispielsweise der Walt-Disney-Konzern, Aldi, Gucci, Netflix und Zalando. Diese Unternehmen wirken nach außen "grün", weil sie auf Kompensationsprojekte setzen.

Um verursachtes CO2 zu kompensieren, investieren Firmen in Zertifikate für beispielsweise Waldschutzprojekte.
Um verursachtes CO2 zu kompensieren, investieren Firmen in Zertifikate für beispielsweise Waldschutzprojekte.bild: pexels / Rudolf Jakkel

Wie wenig wirklich hinter diesen Projekten steckt, haben erstmals zwei Studien ergeben, die die "Zeit" ausgewertet hat. Das Ergebnis ist erschreckend: Vermutlich sind über 90 Prozent aller Zertifikate aus den insgesamt 29 untersuchten Waldschutzprojekten, die aktuell von Verra zertifiziert sind, wertlos. Nach Berechnungen der "Zeit" wären somit knapp 89 Millionen Tonnen CO₂ nicht eingespart worden.

Viele Firmen sind doch nicht so "grün"

Dieser Skandal entlarvt nicht nur das Unternehmen Verra, sondern zeigt auch auf, dass viele angeblich klimaneutrale Produkte es eigentlich gar nicht sind. Und die Unternehmen dahinter auch nicht so klimafreundlich, wie sie – und die Kund:innen – glaubten.

Die "Zeit" macht zudem darauf aufmerksam, dass es ein Risiko birgt, CO₂-Emissionen durch den Schutz von Wäldern zu kompensieren. Denn die Unternehmen bekommen ihre Zertifikate direkt, nachdem sie ihr Geld gezahlt haben. Ob die Wälder jedoch tatsächlich bestehen bleiben und so auch eine Leistung fürs Klima erbringen, nämlich CO2 binden, ist eine andere Frage.

Firmen wie Gucci kauften CO2-Zertifikate um grüner zu wirtschaften.
Firmen wie Gucci kauften CO2-Zertifikate um grüner zu wirtschaften.bild: pexels / EVG Kowalievska

Zudem muss jedes Kompensationsprojekt nachweisen, dass der Wald, der durch die Finanzierung geschützt wird, eigentlich abgeholzt geworden wäre. Das zu beweisen, ist knifflig – und im Detail nachvollziehen lassen sich diese Hintergründe oftmals nicht.

Das macht die Zertifikat-Lösung doppelt schwierig.

Gefälschte Prognosen führen zu gefälschten Zertifikaten

Anhand eines Regenwaldschutzprojekts in Peru zeigt die Recherche auf, wie Informationen, die zur Vergabe von CO2-Zertifikaten führt, gefälscht werden. Organisationen erstellen nämlich eigene Prognosen darüber, wie viel Entwaldung sie verhindern wollen. Und diese fällt oft düsterer aus, als sie müsste. Denn je mehr Abholzung ein Projektbetreiber in seinem Wald erwartet, desto mehr Zertifikate kann er produzieren – und desto mehr Geld verdient er auch daran.

Die angewandte Prognose und die daraus berechnete Zahl der Zertifikate muss nicht mehr von Verra, sondern lediglich von einer Prüfgesellschaft bestätigt werden. Diese prüfe jedoch nur "ob die Regeln richtig angewandt wurden. Nicht, ob sie sinnvoll sind." So konnten zahlreiche Fake-Zertifikate entstehen – aufgrund der durchlässigen Regeln von Verra.

"Ich gebe zu, dass es ein Problem damit gibt, dass es sehr unterschiedliche Regelwerke gibt. Das schafft eine Menge Verwirrung."
David Antonioli, Geschäftsführer von Verra

Die aktuelle Recherche ist nicht die erste dieser Art. Auch der Assistenzprofessor Thales West der Freien Universität Amsterdam und ein Team um den Forstwissenschaftler Alejandro Guizar Coutiñohat hat an der britischen Universität Cambridge Waldschutzprojekte von Verra untersucht. Beide Untersuchungen zeigen, "dass es erhebliche Diskrepanzen zwischen ihren Ergebnissen und den von Verra autorisierten Zahlen gibt".

Konfrontation mit Verra: Keine Reue

Nun stellt sich die Frage, ob die Mitarbeitenden von Verra darüber Bescheid wussten, wie falsch ein Großteil der Zertifikate ist. David Antonioli, Geschäftsführer von Verra, räumt gegenüber den Reporter:innen der "Zeit" ein: "Ich gebe zu, dass es ein Problem damit gibt, dass es sehr unterschiedliche Regelwerke gibt. Das schafft eine Menge Verwirrung."

Konfrontiert mit den Erkenntnissen aus den Studien von West und Guizar, verteidigt sich die Organisation jedoch. Verra behauptet, die Schlussfolgerungen seien "falsch" und die Methoden der Wissenschaftler:innen würden lokale Faktoren "nicht berücksichtigen". Sie würden den Unterschied in den Zahlen erklären.

Auch Staaten kaufen sich von Klimaschulden frei

Wie gefährlich das Spiel mit falschen Zertifikaten ist, wird spätestens klar, wenn Axel Michaelowa, Experte für internationale Klimapolitik an der Universität Zürich, erklärt, dass es Verra nicht mehr nur darum gehe, den Markt der Unternehmen zu bedienen, sondern auch den der Staaten.

Da das Pariser Klimaschutzabkommen von 2016 vorsieht, dass Staaten künftig selbst entscheiden können, welche Zertifizierer sie zulassen, könnten Staaten dann auch die Zertifikate von Verra zulassen. In Kolumbien und Singapur ist das bereits der Fall. Und die Organisation gewinnt mit jedem Land, das sich von Klimaschulden freikaufen will, an Macht.

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