Die Alpen verbinden acht Länder und erheben sich auf bis zu 4000 Meter Höhe. Die größte Gebirgskette Europas erstreckt sich über 1200 Kilometer von Ost nach West und teilt Europa in den mediterranen Süden und den gemäßigten Norden. Das Dach Europas weist eine faszinierend große Bandbreite an unterschiedlichsten Landschaften auf, mit einer ganz speziellen Tier- und Pflanzenwelt.
Naturfilmer Otmar Penker kennt dieses Naturjuwel sehr gut. Er wuchs als Sohn eines Bergbauern in den Kärntner Nockbergen in Österreich auf und lebt bis heute in den Alpen. Sein zweiteiliger Film "Die Alpen" (1. Teil am Montag, 1. März, 20.15 Uhr, ARD, 2. Teil genau eine Woche später. Der Zweiteiler ist schon einen Tag vor der TV-Ausstrahlung in der Mediathek abrufbar) widmet sich der faszinierenden Fauna und Flora des Hochgebirges.
Mit watson sprach Penker über seine Arbeit, seine Beziehung zur Natur und darüber, wie sich Urlauber in den Alpen möglichst respektvoll verhalten können.
watson: Sie haben durch Ihre Biografie eine enge Beziehung zu den Alpen, oder?
Otmar Penker: Das ist ein automatischer Umstand. Wenn man da geboren ist und auf über 1000 Höhenmetern lebt, dann hat man dazu einen Bezug, klar.
Was macht das für Ihre Arbeit aus?
Es ist natürlich schon ein Vorteil, wenn man in den Alpen aufgewachsen ist und 90 Prozent seines Lebens in den Bergen verbracht hat. Man sieht draußen alles mit anderen Augen, kann es anders einschätzen. Ich bin auf einem Bergbauernhof aufgewachsen, habe seit Kindestagen mit Wildtieren zu tun gehabt. Wir haben verletzte und kranke Tiere aufgenommen, gepflegt und wieder in die Freiheit entlassen. Von klein auf habe ich meine ganz eigene Beziehung zur Natur und speziell zu den Alpen.
Wollen Sie dieses Gefühl für die Landschaft in Ihrem Film dem Zuschauer vermitteln?
Da ist schon Herzblut drin, keine Frage. Da bringt man das eigene Gespür mit hinein. Aber auf der anderen Seite hat man auch einen Auftraggeber (Terra Mater Factual Studios, Anm.), eine Vorgabe. Du versuchst das natürlich damit zu verbinden. In unserem Fall sollen die Alpen ja quasi als Bühne für die Tiergeschichten dienen. Der Film beschreibt ja nicht nur die Alpen, hauptsächlich geht es um die Tiere, die dort leben. In den letzten unberührten Lebensräumen, nebenbei. Deshalb sind auch keine Menschen im Film.
Warum der Fokus auf die Tiere?
Der Mensch beansprucht durch seine Freizeitnutzung der Natur immer mehr Raum von den Tieren. Deren Lebensraum nimmt stetig ab. Uns war es ein Anliegen, jetzt quasi 5 vor 12 noch einmal einen Film zu machen, ohne den Mensch im Bild zu haben, um die letzten Paradiese der Alpen, die Rückzugsgebiete von Tieren, zu zeigen.
Es ist also vor allem unser Freizeitverhalten, das die Tiere bedroht?
Ja, das spürt man jetzt in der Pandemie extrem, wo die Reichweite erheblich eingeschränkt ist und der Mensch raus will – was ja auch verständlich ist. Dadurch verbringt er sehr viel Zeit in der Natur, und das hat natürlich auch negative Auswirkungen, speziell auf den Lebensraum von Wildtieren. Speziell in den Wintermonaten ist es sehr hart für die Tiere, wenn ständig Schneeschuhwanderer und Skitourengeher in ihre Rückzugsgebiete eindringen. Es ist wirklich 5 vor 12, denn wenn wir Menschen immer mehr für uns beanspruchen, werden wir in den nächsten 30 Jahren sehr viel Wildtierlebensraum verlieren.
Der Film soll also schon auch aufrütteln?
Es ist jetzt nicht bewusst so eingebaut, da müsste man einen eigenen Film drehen, in dem man auch den Klimawandel näher beleuchtet. Der wirkt sich ja genauso negativ auf die Wildtiere aus. Wir haben aber bei diesem Film gesagt, das lassen wir außen vor, wir machen Tiergeschichten in den Alpen. Wahrscheinlich ist es eh eine der letzten großen Produktionen, die wir so umsetzen konnten.
Wieso denn das?
Wenn man schaut, wie schnell jetzt der Klimawandel voranschreitet, und wie sich das negativ auf die Wildtiere auswirkt – so haben etwa die Steinböcke schon auf 4000 Metern oben mit Parasiten zu kämpfen –, dann kann man davon ausgehen, dass das nicht 100 oder 150 Jahre dauern wird, bis die Steinböcke da oben verschwinden, sondern eher 40 Jahre. Und so eine Produktion wird man vielleicht in zehn, 15 oder 20 Jahren wieder starten können. Der Trend zu solchen Produktionen nimmt ja auch eher ab.
Woran liegt das?
Es wird viel mehr auf Dokus mit Menschen gesetzt, die dann einem Wildtier hinterherjagen. Diese Bluechip-Produktionen sind wegen des großen zeitlichen und technischen Aufwands eher weniger geworden.
Was genau bedeutet Bluechip in diesem Zusammenhang?
Mit dem Wort bin ich auch vor zwei Jahren erst das erste Mal in Berührung gekommen. (lacht) Bluechip steht für den klassischen Naturfilm auf höchstem Qualitätsniveau, produziert mit modernstem technischen Aufwand, zum Beispiel Aerials mit Shot-over, Spezialzeitraffer, Drohnen, Kameras mit Fernsteuerungstechniken und so weiter.
Und das ist nicht mehr gefragt?
Wir Naturfilmer spüren das. Wenn wir für Produktionen angefragt oder als Kameramänner gebucht werden, ist der Trend immer mehr, dass der Mensch im Film vorkommen soll, dass wir einen Presenter brauchen. Ich komme halt aus der reinen Naturfilm-Ecke, bin einer der letzten gelernten Naturfilmer. Aber die Zeiten sind einfach anders als vor 30, 35 Jahren.
Die klassische Art von Tierfilmen ist sehr aufwändig, oder?
Ja, speziell diese Produktion war tatsächlich sehr aufwändig. Es geht ja auch meistens nicht in einem Jahr, sondern du brauchst mindestens zwei, wenn nicht drei. Wir haben für diesen Film zweieinhalb Jahre gedreht. Die gesamte Produktionszeit betrug sogar vier Jahre. Es wird natürlich immer teurer, keine Frage, und heute soll es lieber möglichst schnell gehen, am besten in einer Saison. (lacht) Das ist eben das Schwierige bei der Umsetzung, die Geschichten in diesem kurzen Zeitraum in den Kasten zu bekommen.
Engagieren Sie sich auch abseits Ihrer Filme für den Erhalt der Alpen als Lebensraum für die Wildtiere?
Ja, ich arbeite mit der Kampagne "Respektiere deine Grenzen" zusammen. Die setzt sich dafür ein, dass die Lebensräume von Rot- und Gamswild wirklich den Tieren vorbehalten bleiben und der Mensch sich da ein bisschen raushalten sollte. Damit wollen wir das Überleben dieser Wildtiere sichern. Da bin ich sehr stark eingebunden und filme immer wieder Kampagnen-Filme.
Was wollen Sie mit denen erreichen?
Da muss man einfach das Bewusstsein ein bisschen schärfen bei den Natur-Nutzern. Wir sind ja nicht alleine hier auf dieser Welt. Die Tiere sind auch da, die waren auch vor uns da, und ich hoffe, dass wir das auch für die kommenden Generationen noch erhalten können. Wir formulieren das auch immer als Bitte, als Dialog, und kommen nicht mit dem erhobenem Zeigefinger daher. Wildtiere haben es in ihrem Zuhause nicht so fein wie wir in unserem Wohnzimmer, sondern die kämpfen wirklich Tag für Tag ums Überleben. Und wir verbringen draußen unsere Freizeit und haben unseren Spaß. Da sollte der Mensch wieder ein bisschen zurücktreten und sagen, okay, das habe ich verstanden und lasse da draußen den Wildtieren den Vorrang. Im Salzburger Land übernehmen diese Initiative auch schon die großen Skigebiete.
Wie sehen die Filme aus, die Sie dafür gedreht haben?
Die sind quasi aus der Sicht der Tiere gefilmt und erzählen die Dramatik dieses Überlebenskampfes. Und das kommt sehr gut an. Es wird auch besser verstanden, als wenn ich wie ein Schulmeister daherkomme. Ich versetze mich quasi in die Lage der Tiere und versuche aus deren Sicht, den Menschen darauf aufmerksam zu machen: Pass auf, du betrittst jetzt mein Wohnzimmer. Bitte respektiere, dass wir da Ruhe brauchen, um den Winter zu überleben.
Haben Menschen, die nicht in der Natur aufgewachsen sind, für die Bedürfnisse der Tiere zu wenig Gespür?
Ja, das ist ja auch verständlich. Das ist auch kein Vorwurf. Dafür ist man ja da, um dieses Bewusstsein zu schärfen – man lernt nie aus. Wir Naturfilmer lernen eigentlich jeden Tag etwas Neues draußen. Das ist ja eigentlich das Schöne.
Das bedeutet, man muss auch spontan bleiben, oder?
Genau. Deshalb ist mein oberstes Credo auch: Man kann so viele Drehbücher schreiben, wie man will. Aber die Natur kann erstens kein Drehbuch lesen, und zweitens kommt es anders, als man das haben will. Ich sage immer, die Natur schreibt die besten Drehbücher. Man muss sich halt darauf einstellen und das akzeptieren. Man muss die Geschichten dann eben weiterspielen, und alles drehen, was sich einem anbietet. Dann passt es halt vielleicht nicht in den geplanten Teil, aber daraus entsteht dann eine neue Geschichte. Diese Spontanität ist sicher eine meine Stärken.
Wie sieht das konkret aus?
Wenn man tage- oder wochenlang in einem Versteck sitzt und eigentlich sonst nichts zu tun hat, außer zu warten und Geduld zu haben, dann muss man sich diese Möglichkeiten durch den Kopf gehen lassen. Sich sagen, ich habe jetzt ganz andere Sachen gedreht als ursprünglich geplant, und daraus muss ich jetzt was machen. Was brauche ich da jetzt noch dazu? Und dann mache ich eine neue Geschichte daraus. Und das funktioniert in sehr vielen Fällen sehr gut.
Also fährt man einfach raus und schaut dann mal?
Nein, wir haben schon Drehbücher. Mit der Erfahrung, die ich in den Alpen habe, kann ich schon abschätzen, was ich in ein Drehbuch hineinschreiben kann. Das können wir umsetzen. Aber zu viele Details kann man da natürlich nicht reinschreiben, weil in Wirklichkeit läuft halt alles ganz anders. Deswegen ist man schon etwas gröber bei der Planung. Man ist nicht unbedingt auf der Suche nach etwas, sondern das passiert eben und dann muss man da sein. Es gibt aber bei jeder Naturdoku ein Konzept, einen roten Faden, den man versucht, durch den Film zu ziehen. Das haben wir bei diesem Film mit dem Steinadler gemacht. Aber die Sidestorys passieren, ohne dass man sie planen kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei unserer Produktion waren zum Beispiel die Grasfrösche überhaupt nie ein Thema. Wir waren auch wegen etwas ganz anderem am Berg. Auf einmal haben wir in etwa 150 Meter Entfernung kleine schwarze Haufen im Schnee gesehen, die sich bewegt haben. Dann haben wir gesehen: Das sind doch Frösche! Auf 2500 Meter Höhe. Am Schnee. Das ist so etwas Ausgefallenes, was man überhaupt nicht im Plan hatte. Da muss man dann schnell und spontan reagieren, und so ist es eine nette Geschichte geworden. Und das zeigt, dass die Natur ihre Geschichten besser schreiben kann als wir Menschen. (lacht)
Mit wie vielen Leuten sind Sie denn unterwegs?
Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort. Jäger, Wildhüter, Ranger, Wild-Biologen. Beim Dreh selber sind wir zu 60 oder 70 Prozent zu zweit, sonst maximal zu viert. Das aber auch nur, wenn es darum geht, schweres Gerät am Berg zu tragen. Da braucht man dann schon noch Träger. Aber ansonsten gilt: Je weniger wir sind, desto größer sind die Chancen, dass wir mit den Wildtieren etwas umsetzen können. Und sobald man die Dreharbeiten abgeschlossen hat, sollte man diesen Ort so schnell und so leise wie möglich wieder verlassen, und zwar so, als wäre man nie dort gewesen.
Im Tal kann man ja immer noch anstoßen und laut sein.
So ist es. Wobei das Feiern, wenn wir etwas umgesetzt haben oder wenn unsere Arbeit gelungen ist, nicht immer lautstark ausfallen muss. Unsere Belohnung ist eher ein Moment des inneren sich Zurücklehnens, dass man sich sagen kann: Das haben wir gut geplant und umgesetzt. Wir haben keine Störung am Berg verursacht. Wir haben schöne Bilder und können daraus eine tolle Geschichte machen. Da bin ich eher der ruhige Typ.
Gibt es auch Momente der Vergeblichkeit, wo man etwas lange versucht, und am Ende klappt es trotzdem nicht?
Das gibt es, jaja. Das haben wir auch einige Male in den Alpen erlebt. Da versuchst du 14 Tage lang, beispielsweise Bären zu filmen, es passiert aber nix vor der Kamera. Dann hast du natürlich im Kopf, was hast du jetzt falsch gemacht? Wo musst du dich verbessern? Haben wir dieses Jahr noch eine Chance, dass es dazu nochmal kommen könnte? Wie gesagt: Man lernt immer wieder was Neues. Aber wenn sich dann wieder etwas Unverhofftes ergibt, dann hat es sich auch gelohnt. Es ist natürlich auch eine finanzielle Frage, denn da entstehen Kosten, die so nicht geplant waren. Dafür gelingen andere Drehs aber dann wieder viel schneller, so versucht man da, für einen Ausgleich zu sorgen.
Viele unserer User fragen sich jetzt bestimmt: Wie soll ich denn Urlaub machen in den Alpen? Und soll ich es überhaupt machen?
Also, gar nicht in die Alpen fahren, das würde ich nicht aussprechen. (lacht) Jeder sollte raus, wenn es geht. Man muss halt ein bisschen Rücksicht nehmen. Am besten, man spricht mit den Menschen vor Ort. Die Einheimischen wissen über Schutzgebiete und Rückzugsräume von Wildtieren ziemlich genau Bescheid. Wenn man sich da ein bisschen erkundigt und im Zweifelsfall sagt, passt, dann geh ich da nicht hin, dann sollte man das machen – es gibt ja genug Plätze, wo man seine Freizeit verbringen kann. Was ich schon verstehe: Wenn alle an einen Punkt hinpilgern, wird der ein oder andere sagen, das ist mir zu viel, ich geh dahin, wo ich meine Ruhe habe. Das sind dann aber meistens Lebensräume von Wildtieren. Man muss also ein bisschen vorsichtig sein, aber nach wie vor ist Platz da draußen, auch für den Menschen. (lacht)
Danke für das Gespräch, Herr Penker.
Eins ist mir noch wichtig: So einen Film macht man ja nie alleine. Ob das Helfer sind, ob das mein Kamera-Assistent Sepp Weinländer ist, der Tonmann, bei denen möchte ich mich herzlich bedanken. Die müssen ja genauso das mit mir draußen tagtäglich durchstehen. Denn um das, was die Tiere draußen tagtäglich erleben, zu zeigen, musst du das selber durchmachen. Du musst einen Schneesturm mitmachen, damit du die Bilder hast. Und auch die ganzen Jäger, Ranger, Wildbiologen, Grundbesitzer – ohne die könnten wir draußen ja gar nix machen. Deshalb herzlichen Dank, dass die solche Projekte immer sehr positiv unterstützen. Das ist mir ein Bedürfnis, das mal auszusprechen.