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EU-Debatte um vegane Produktnamen: Ablenkung vom Höfesterben

Vegan woman in a cafe
Wenn es nach der Europäische Volkspartei (EVP) geht, sollte jeder Fleischersatz ein Fähnchen tragen.Bild: Getty Images / ArtMarie
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Warum die EU-Debatte um vegane Produktnamen die echten Probleme der Bauern überspielt

Während Europas Höfe ums Überleben kämpfen, streitet das EU-Parlament über die Namen veganer Produkte: ein symbolpolitischer Nebenschauplatz fernab der realen Probleme der europäischen Bäuer:innen.
11.09.2025, 17:2611.09.2025, 17:26
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Das ertragreiche Mais-Feld liegt heute brach. Der Stall, in dem ich als Kind gerne die Tiere beobachtet habe, steht nun leer: Noch gut kann ich mich an die sonntäglichen Gespräche der Erwachsenen im Dorf-Gasthaus erinnern. Die Lage sei "nicht mehr tragbar", der "Druck der Globalisierung" zu groß.

Heute, fast 20 Jahre später, sind die Folgen der Entwicklungen mittlerweile klar zu sehen: Kleine Betriebe kämpfen ums Überleben, das Höfesterben in der Landwirtschaft ist präsenter denn je. Die Zahl von rund 256.000 Höfen in Deutschland im Jahr 2022 werde auf etwa 100.000 Betriebe 2040 sinken, schätzt DZ-Bank-Branchenexperte Claus Niegsch in einem Bericht der "Frankfurter Rundschau".

Landwirtschaft: Arbeit rund um die Uhr, aber kein Gewinn

Der Beruf der Landwirt:innen funktioniert nur noch im großen Stil. Viele arbeiten zusätzlich in Teil- oder sogar Vollzeit in anderen Jobs, um sich ein Leben finanzieren zu können. Vor allem die Fleischproduktion rentiert sich nicht mehr: Laut eines Berichts des "Bundesinformationszentrum Landwirtschaft" verbuchen deutsche Landwirt:innen im Jahr 2024 nur noch 22 Euro pro Tier als Gewinn.

Schon kleine Preisschwankungen, etwa bei Futter oder Verkaufspreisen, können diesen schmalen Gewinn in einen Verlust verwandeln. Große Betriebe können solche Risiken durch Masse, bessere Einkaufs- und Verkaufspreise und effizientere Abläufe abfedern.

Zeitgleich wird das Fleisch, das auf dem Teller landet, teurer. Schuld daran sind nicht die Bäuer:innen, die auf die Barrikaden steigen, sondern die hohen Produktionskosten und das "Höfesterben" in der Landwirtschaft, das das regionale Angebot an Fleisch minimiert.

Schutz der Bauern? In der EU aktuell Fehlanzeige

Ein Teufelskreis, zu dem sich eine Debatte lohnt. Eigentlich stand am 8. September im Agrarausschuss des EU-Parlaments auch tatsächlich die Stärkung der Landwirt:innen in der Lebensmittel-Lieferkette im Mittelpunkt. Konkret ging es um die Einführung verpflichtender Lieferverträge, ein Vorschlag der EU-Kommission im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) vom Dezember 2024, dem der Ausschuss mit einigen Änderungen zustimmte.

Ein wichtiger Schritt, denn viele Bäuer:innen sind in einer schwachen Verhandlungsposition und mussten bisher oft zu Bedingungen liefern, die sie nicht beeinflussen konnten. Verbindliche Lieferverträge sollen das verhindern und ein faireres, transparenteres System schaffen.

Doch für Überraschung sorgte ein zusätzlicher Antrag der Europäischen Volkspartei (EVP): Demnach sollen klassische Bezeichnungen wie "Steak", "Schnitzel", "Burger", "Hamburger", "Wurst" oder sogar "Eigelb" künftig ausschließlich Produkten tierischen Ursprungs vorbehalten sein.

"Das Wort Schutz ist allerdings Auslegungssache. Viel mehr wirkt es wie eine reine PR-Agenda der EVP, um von den eigentlichen Problemen der europäischen Landwirtschaft abzulenken.".

Trotz Kritik von Verbänden pflanzlicher Alternativen fand die Idee eine Mehrheit im Ausschuss und wurde plötzlich ein größeres Thema als der Schutz der Landwirt:innen. Die finale Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments ist für Ende Oktober geplant. Auch die EU-Kommission will in einem Änderungsvorschlag zur GMO das Verwenden von traditionellen Bezeichnungen, die für Fleischprodukte genutzt werden, weiter einschränken.

"Die ausschließliche Verwendung dieser Bezeichnungen für echtes Fleisch sorgt für eine ehrliche Etikettierung, schützt die Landwirte und bewahrt die kulinarischen Traditionen Europas", beteuert die Berichterstatterin Céline Imart (EVP).

Das Wort Schutz ist hier allerdings Auslegungssache. Viel mehr wirkt es wie eine reine PR-Agenda der EVP, um von den eigentlichen Problemen der europäischen Landwirtschaft abzulenken.

Wer profitiert wirklich vom veganen Etikett?

Im Jahr 2013 trat die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 in Kraft, die die Bezeichnung "Milch" für pflanzliche Produkte verbot. Seither dürfen Begriffe wie "Hafermilch" oder "Sojamilch" nicht verwendet werden, stattdessen müssen diese Produkte als "Haferdrink" oder "Sojadrink" bezeichnet werden. Dies dient dem Schutz der Verbraucher:innen, um sicherzustellen, dass klar ist, woher ein Produkt stammt. Produkte wie "Scheuermilch" und "Sonnenmilch" sind von der Regelung nicht betroffen.

"Niemand verwechselt ein Seitanschnitzel mit einem Kalbsschnitzel."
Thomas Waitz (Grüne)

Nun sind die Fleischersatz-Produkte unter dem Vorwand der Stärkung der Landwirtschaft an der Reihe. Thomas Waitz, Agrarsprecher der Grünen, kritisiert im "Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt" das Vorgehen der EVP scharf. Er wirft der Europäischen Volkspartei gemeinsam mit Liberalen und Rechtsextremen vor, erneut die Wahlfreiheit der Verbraucher:innen einzuschränken.

"Dass dies unter dem Deckmantel des Schutzes von Landwirtinnen und Landwirten geschieht, ist völlig unverständlich. Niemand verwechselt ein Seitanschnitzel mit einem Kalbsschnitzel", so Waitz. Er ist überzeugt, dass die Landwirt:innen für billigen Populismus instrumentalisiert und die Verbraucher:innen für dumm verkauft werden. "Die wahre Verbotspartei ist eben die Volkspartei", urteilt der Grünen-Politiker.

EU-Debatte um vegane Produkte: Symbolpolitik statt Lösungen

In der europäischen Landwirtschaft brennt es an allen Ecken: Höfe kämpfen täglich mit steigenden Produktionskosten, wachsendem bürokratischem Aufwand und fehlender Planungssicherheit.

Währenddessen sterben Dörfer aus, Böden verlieren an Fruchtbarkeit und junge Menschen sehen in der Landwirtschaft keine Zukunft mehr. Die Biodiversität in vielen Gebieten ist nicht mehr gegeben und artgerechte Nutztierhaltung ist für kleine Betriebe mittlerweile reine Utopie geworden, wenn sie dabei nicht vergessen wollen, auch einen Gewinn aus der Produktion zu ziehen.

Die Globalisierung setzt die heimische Landwirtschaft zunehmend unter Druck: Billigimporte aus Ländern mit niedrigeren Umwelt- und Sozialstandards verzerren den Wettbewerb, während Konzerne wie Monsanto den Markt mit patentiertem Saatgut und teuren Betriebsmitteln dominieren: regionale Betriebe verlieren dadurch ihre Unabhängigkeit und geraten wirtschaftlich in eine Sackgasse.

Und ausgerechnet in dieser Lage verbeißt sich die Europäische Volkspartei (EVP) im Agrarausschuss in die Frage, ob ein veganes Produkt "Steak“ oder "Wurst" heißen darf, als sei dies das drängendste Problem der Branche. Dabei sind Vegetarier:innen und Veganer:innen nicht die Gegner:innen der Landwirtschaft, sondern oft bewusste Konsument:innen, die regionale und nachhaltige Erzeugung aktiv unterstützen.

Dass ausgerechnet im Namen der Bauernschaft echte Probleme ignoriert und symbolpolitische Scheindebatten geführt werden, ist nicht nur realitätsfern, sondern eine Frechheit gegenüber denjenigen, die tagtäglich um ihre Existenz kämpfen. Die EU hat es versäumt, frühzeitig wirksame Schutzmechanismen und faire Regeln zu schaffen, um die europäischen Landwirt:innen in diesem harten Wettbewerbsumfeld zu stärken.

Und ich frage mich, ob die Ställe heute noch voll mit Tieren und die Felder mit Herz und Verstand bewirtschaftet wären, wenn es innerhalb der EU schon früher weniger Symboldebatten und mehr echte Lösungen gegeben hätte, um den Problemen der Landwirtschaft gerecht zu werden.

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