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Bauern-Proteste: Demos sind nicht besser, als die der Letzten Generation

Bauerndemo 21.12.2023, Chemnitz, Autobahnauffahrt Chemnitz Mitte, Leipziger Stra
Bauern blockieren mit Traktoren die Straßen in Deutschland.Bild: IMAGO/Chempic
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Trecker statt Kleber? Warum die Bauern nicht besser sind als die Letzte Generation

08.01.2024, 10:24
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Was haben die Proteste der Letzten Generation und der Landwirt:innen gemein? Richtig, beide Gruppen blockieren Straßen und Städte. Die einen mit Sekundenkleber, die anderen mit Traktoren.

Und beide Gruppen haben ein ihrer Meinung nach wichtiges Anliegen: Die Letzte Generation will schnelleren und effektiveren Klimaschutz für eine lebenswerte Welt. Die Landwirt:innen woll(t)en das Streichen finanzieller Hilfen etwa für den Agrardiesel verhindern. Damit sie weiterhin wettbewerbsfähig bleiben und keine größeren finanziellen Einbußen erleiden.

"Bei den Protesten stehen tendenziell die gleichen Leute im Stau. Ob nun aufgrund von Sekundenkleber oder Traktoren."

Der Unterschied? Während die Proteste der Letzten Generation seit Monaten für Unverständnis, Wut und harsche Kritik sorgen, und die Forderungen der Aktivist:innen politisch kaum mehr Beachtung finden, ist das bei den Landwirt:innen gänzlich anders.

Reihenweise stellen sich Politiker:innen hinter die Bauern. Hinter eine Branche mit großer, mächtiger Lobby: Vom Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, bis hin zu Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hagelte es Verständnis für die Wut der Landwirt:innen.

Und das wirkte.

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Nur wenige Wochen nach der Verkündung der Ampel, Subventionen für Agrardiesel sowie die Befreiung von der Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Maschinen zu streichen, rudert die Bundesregierung zurück: Auf die Abschaffung der Kfz-Steuer wird verzichtet. Und auch die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll nur stufenweise statt auf einen Schlag gekürzt werden.

Wow. Respekt. Die Proteste haben wohl Wirkung gezeigt.

Bei der Bevölkerung kommen sie weit weniger schlecht an, als jene der Letzten Generation. Dabei dürfte es für die Zivilgesellschaft keinen Unterschied machen, immerhin stehen tendenziell die gleichen Leute im Stau. Ob nun aufgrund von Sekundenkleber oder Traktoren.

"Warum werden Wut und Ärger der einen anerkannt, während Angst und Verzweiflung der anderen auf Unverständnis stoßen?"

Und nicht nur das: Rein juristisch betrachtet kann man sowohl die Klima- als auch die Bauernproteste als "strafbare Nötigung" bewerten, wie der Kölner Strafrechtexperte Christian Kemperdick dem WDR erklärte.

Wie nur kann es sein, dass wir die Proteste dennoch so unterschiedlich bewerten? Was bitte macht die Proteste der Bauern auch nur einen Deut besser als die der Letzten Generation?

Police officers carry away an activist of the 'Letzte Generation' (Last Generation) during a climate protest against the government's climate policy in front of the chancellery in Berli ...
Die bekannte Aktivistin der Letzten Generation, Anja Windl, wird während eines Protests von der Polizei weggetragen. Bild: AP / Markus Schreiber

Warum werden Wut und Ärger der einen anerkannt, während Angst und Verzweiflung der anderen auf Unverständnis stoßen? Was macht die Proteste der Landwirt:innen legitim(er)?

"Was wäre wohl los gewesen, hätte die Letzte Generation die gleiche Aktion gestartet. Das Echo in Gesellschaft und Medien wäre ein anderes, ganz sicher."

Die Unterstützenden der Bauern argumentieren, die Traktoren-Proteste werden rechtzeitig mit der Polizei abgesprochen, während die Letzte Generation oftmals kurzzeitig – teils ohne Vorwarnung – die Straßen blockiert. Dennoch: Die Aktivist:innen sind seit jeher friedlich und freundlich geblieben. Trotzdem werden sie als "Klima-Terroristen" beschimpft.

Im Gegensatz zu so manchen Landwirt:innen, die Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der vergangenen Woche gewaltvoll daran hinderten, nach seinem Urlaub eine Fähre zu verlassen. Und ja klar, auch bei den Bauern hagelt es angesichts dieses Vorgehens Kritik seitens der Politiker:innen, einschließlich der Opposition. Doch obwohl die Landwirt:innen so unwirsch vorgingen, bot Habeck ihnen ein Gespräch an.

Was wäre wohl los gewesen, hätte die Letzte Generation die gleiche Aktion gestartet. Das Echo in Gesellschaft und Medien wäre ein anderes, ganz sicher.

Gute Proteste, schlechte Proteste.

Als Aktivist:innen der Letzten Generation im August 2021 in einen mehrwöchigen Hungerstreik traten und diesen nur beenden wollten, wenn die Kanzlerkandidat:innen Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) einem Gespräch zustimmten, stempelte man dies als Erpressung ab. Klar, über die Richtigkeit dieses Vorgehens lässt sich streiten. Trotzdem musste erst ein Aktivist ins Krankenhaus eingeliefert werden, bis Scholz einem Gespräch nach der Wahl zustimmte.

Was ist jetzt anders?

Geht es um die Lobby, das Geld und die Wähler:innenstimmen hinter den Protesten der Bauern? Anders lässt sich das politische Vorgehen der Ampel kaum erklären. Hatte die selbst ernannte "Fortschrittskoalition" doch zu Beginn der Legislaturperiode erklärt, klimaschädliche Subventionen – zu denen auch der Agardiesel der Landwirt:innen zählt – nach und nach zu streichen. Was bitter nötig wäre, um die Klimaschutzziele der Bundesregierung endlich zu erreichen.

Aber die Ampel knickt ein, wieder einmal.

Prinzipientreue jedenfalls kann man der Bundesregierung nicht unterstellen. Vielmehr wirkt das aktuelle Vorgehen opportunistisch. Haben die Koalitionäre womöglich die Ost-Wahlen im Blick und Angst davor, die AfD könnte ihnen die Bauern vom Brot nehmen? Gegen die Rechtsaußenpartei dürfte ein Rückrudern im Bereich Agrardiesel allerdings bei Weitem nicht ausreichen.

"Beide Gruppen kämpfen für eine aus ihrer Sicht bessere Welt: Wir alle wollen leben – in einer lebenswerten Welt. Und wir wollen essen – nach Möglichkeit regional und bio."

Mit Blick auf die Gesellschaft ist anzunehmen, dass mehr Menschen das Anliegen der Bauern nachvollziehen können, als das der Letzten Generation. Verständlich, schließlich denkt jede:r erstmal an den eigenen Kühlschrank. Dass auch Extremwetter durch die Klimakrise darauf Auswirkungen haben werden, geschenkt.

ARCHIV - 13.08.2022, Brandenburg, Manschnow: Ein Landwirt fährt mit einem Traktor und einer Egge über den trocken Ackerboden im Oderbruch in Ostbrandenburg. (zu dpa: «Kein Acker ohne Baum? Landwirte w ...
Auch Dürren, die aufgrund der Klimakrise häufiger auftreten, haben negative Einflüsse auf Ernten.Bild: dpa / Patrick Pleul

Anders lässt sich das unterschiedliche Maß an Kritik und Ärger nicht erklären. Was wir uns aber klar machen müssen: Die Proteste, von dem Mob an der Fähre und Drohungen gegen Politiker:innen mal abgesehen, sind weder per se gut noch schlecht. Und die Welt ist nicht schwarz-weiß.

Die Aktionen der Letzten Generation und der Landwirt:innen haben nicht nur gemein, dass sie Straßen und Städte blockieren, sie haben auch beide ihre Berechtigung. Nicht umsonst gibt es in Deutschland ein Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit, um gegen Entscheidungen der Regierung oder des Bundestages, gegen Entwicklungen, die einem nicht passen, aufzubegehren.

Beide Gruppen kämpfen außerdem nicht nur für sich, sondern für eine aus ihrer Sicht bessere Welt: Wir alle wollen leben – in einer möglichst lebenswerten Welt. Und wir wollen essen – nach Möglichkeit sogar regional und bio. Viele Höfe aber, vor allem die kleineren Betriebe, stehen schon jetzt massiv unter Druck, ihre Produkte möglichst billig zu verkaufen. Kein Wunder also, dass sie aus Angst vor dem Ruin in Panik geraten und protestieren.

Am Ende leben wir alle auf dieser Welt und sollten gemeinsam an einem Strang ziehen. Uns gemeinsam mit der Letzten Generation (oder zumindest nicht gegen sie) für schnelleren und effektiveren Klimaschutz stark machen. Gemeinsam mit den kleinen Landwirtschaftsbetrieben um ihre Existenz kämpfen.

Dass die Zukunft der Agrarwirtschaft nicht in Dieselsubventionen liegen kann, ist klar. Die Landwirtschaft muss sich, wie auch andere Wirtschaftszweige, der Transformation stellen. Dafür müssen auch die Bauern bereit sein – der Staat währenddessen muss ihnen dabei die Hand reichen. Klar aber ist auch: Bilder wie vom Fähranleger in Schlüttsiel dürfen sich nicht wiederholen.

Wetterwechsel: Sonne und Frost bedrohen Wein- und Erdbeerernte 2024

"April, April, der macht, was er will" – das bekannte Sprichwort macht sich derzeit alle Ehre. Von eisigen Temperaturen rund um den Gefrierpunkt bis zu über 20 Grad und Frühlingsgefühle war bisher alles dabei. Die Temperaturschwankungen machen Landwirt:innen große Sorgen.

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